Neue Generalsekretärin Fahimi: „Erfolge für uns beanspruchen.“ Schulz Europa-Spitzenkandidat der Sozialdemokraten

Berlin. Erst stockt er, dann verhaspelt sich Martin Schulz sogar. Ausgerechnet Schulz, der Mann, der sonst nie um ein Wort verlegen ist, der mit seiner schlagfertig-ironischen Zunge demonstriert, was rheinische Eloquenz bedeutet. Am Sonntagmittag steht Schulz am Rednerpult in der Berliner „Arena“. Eben haben ihn die Europadelegierten der SPD zum Spitzenkandidaten gewählt, mit 97,3 Prozent der Stimmen. Schulz wirkt verlegen, wenige Augenblicke jedenfalls, er ist gerührt. Für einen „nicht alltäglichen Vertrauensbeweis“ dankt er, das klingt ungelenk. Erst einige Wochen zuvor, im November, hatte die SPD Schulz mit ebenfalls gut 97 Prozent zu ihrem EU-Beauftragten gewählt. Derlei Honecker-Ergebnisse gelten in der SPD als verdächtig. Sie straft ihre erfolgreichen Macher zuweilen ab. Schulz indes wird in der Sozialdemokratie geliebt.

In den kommenden Monaten geht es für den Präsidenten des Europäischen Parlaments um viel, in der Karriere des 58-Jährigen vielleicht sogar um alles. Am 1. März wird er in Rom zum Spitzenkandidaten aller Sozialdemokraten in Europa gewählt; diese Funktion ist ein Novum. Europaweit wird Schulz auftreten, Wahlkampf machen, er wird das Gesicht von Europas Sozialdemokraten sein. Dann will er auch noch Präsident der EU-Kommission werden: der erste Deutsche nach Walter Hallstein (CDU) vor 50 Jahren. Eine „historische Chance“ beschwört der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel: „Wir werden einen Europawahlkampf führen, wie wir ihn noch nie geführt haben.“ Gabriel zieht auch eine selbstbewusste Zwischenbilanz der letzten Monate. Die politische Konkurrenz schaue neidisch auf die SPD. Deren sechs Ressortchefs „werden die Motoren dieser Bundesregierung sein“. Er hätte nichts dagegen, wenn auch die Unionsminister diese Rolle ausfüllten.

So viel zu den Plänen, Wünschen, Visionen. Noch aber ist eine linke Mehrheit im nächsten Europaparlament nicht sichtbar. Die SPD schwächelt traditionell bei diesen Wahlen: 20,8 Prozent fuhr sie vor fünf Jahren ein. Dieses Mal, am 25. Mai, soll alles anders werden. „Mit einem Trend sollten wir Schluss machen“, ruft – der inzwischen wieder gefasste – Schulz den Delegierten zu: „Bisher war die SPD die Europapartei, und andere bekamen die meisten Stimmen. Diesmal machen wir’s umgekehrt.“ Er werde alles dafür tun, sagt Schulz, dass am Abend der Europawahl der Balken der SPD nach oben zeigen werde. Schulz spannt einen Bogen von aktuellen Ereignissen über die Geschichte Europas zu Wahlkampfparolen. Dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch ruft er zu: „Stopp die Gewalt und rede mit deinem Volk!“ Der Präsident des Europaparlaments echauffiert sich über den „Brüsseler Drang, der alles entweder regulieren oder deregulieren will“ – bis hin zum Wasserverbrauch von Toilettenspülungen. Den Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso schätze er zwar persönlich, es gebe indes „fast nichts, wo ich mit ihm übereinstimme“.

Barroso habe vor seiner Benennung kein Programm vorgelegt und „nirgendwo zur Wahl gestanden“. Schulz’ Plan sieht anders aus. Er setzt auf eine Mehrheit der EP-Abgeordneten zu seinen Gunsten. „Ich will als Kommissionspräsident das Resultat eines Wahlvorgangs sein, nicht eines Würfelvorgangs hinter verschlossenen Türen.“ Er werde in diesem Amt zur Bekämpfung von Steuerkriminalität den Staats- und Regierungschefs ein europäisches Finanzministerium vorschlagen.

Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Zuletzt hatte die Listenaufstellung der SPD Verärgerung innerhalb der Partei ausgelöst. Die ostdeutschen Landesverbände fühlten sich vernachlässigt. Gabriel organisierte eine kosmetische Korrektur: Auf Platz zehn (nicht mehr 16) kandidiert mit der Berlinerin Sylvia-Yvonne Kaufmann die erste Ostdeutsche. Iris Hoffmann, die Kandidatin aus Mecklenburg-Vorpommern, wurde von Rang 28 auf 26 gehievt. Ein Erfolg dieser Kandidatin ist mehr als fraglich; derzeit stellt die SPD 23 Parlamentarier. Künftig wird Deutschland nur noch 96 (bisher sind es 99) Abgeordnete nach Straßburg entsenden.

Längst wird der SPD-Europawahlkampf von Gabriels Vertrautem Matthias Machnig organisiert. Formal zuständig indes ist nun die neue Generalsekretärin der Partei, Yasmin Fahimi. Die 46-jährige Niedersächsin wurde am Sonntag zur Nachfolgerin von Andrea Nahles gewählt, die ins Kabinett wechselte. Auf Fahimi entfielen 88,5 Prozent der Stimmen (Nahles zuletzt: 67,2 Prozent). Neuer SPD-Vize ist Ralf Stegner (78,3 Prozent), der ursprünglich Generalsekretär werden wollte. Zum Schatzmeister wählte die SPD den Bundestagsabgeordneten Dietmar Nietan (84,3 Prozent); er beerbt Barbara Hendricks, nunmehr Umwelt- und Bauministerin.

Drei Aufgaben machte Fahimi für ihre Arbeit aus: die SPD nach innen stark und nach außen zu einer modernen Volkspartei zu machen, dazu gute Regierungsarbeit. „Dialog statt Populismus“ und „Neugierde statt Besserwisserei“ versprach sie. Mit Blick auf das Regierungsbündnis erinnerte sie: „Wir koalieren mit unserem politischen Gegner.“ „Dieses Mal“ werde man die Erfolge des Regierens für sich beanspruchen, verkündete Fahimi.