Hamburg hat Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Sie sind froh, dem Krieg entronnen zu sein – und blicken in eine ungewisse Zukunft

Eidelstedt. Die Angst lässt ihn nicht los. Auch hier nicht, zwischen den weißen Wohnzimmerwänden 3000 Kilometer entfernt von Syrien. Auf dem Tisch stehen heißer Tee und Kekse, ein Kerzenständer aus filigranem Glas, aber in ihm ist immer noch Krieg. „Mein Gesicht ist bekannt bei den Regierungstruppen und der Hisbollah. Sie vergessen nicht“, sagt Fadi al-Hay auf Arabisch. Dann zieht er ein Mobiltelefon aus der Tasche. Immer wieder bekomme er Nachrichten von unbekannten Absendern, übersetzt ein Dolmetscher. Oft sind es Fotos, die zeigen, wie Menschen von Milizen getötet werden. „Das ist eine Drohung, dass es meiner Familie auch so gehen kann, wenn ich nicht zurückkomme.“ Deshalb will er im Verborgenen bleiben. Fadi al-Hay ist nicht sein wahrer Name.

Seit gut drei Monaten ist er jetzt in Deutschland, zusammen mit seiner Frau Sarah und dem kleinen Mounser. Die Familie aus der einstigen Rebellenhochburg Al-Kusair gehörte zu den Ersten, die im Rahmen des Uno-Flüchtlingsprogramms ausgeflogen wurden. Als das Flugzeug am 10. Oktober in Hannover landete, standen Männer in Anzügen zur Begrüßung da, und ein Sozialarbeiter aus Hamburg. Er hat sie abgeholt. Insgesamt nimmt die Hansestadt im Rahmen des Uno-Kontingents 256 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf. 64 sind nach Angaben des Bundes bislang da. Am 30. Januar werden weitere Schutzbedürftige erwartet, wie viele davon nach Hamburg kommen, ist noch offen. „Wir sind sehr froh, dass wir hier sein können“, sagt Sarah al-Hay. Sie ist 21 Jahre alt, und auch wenn sie lächelt, verschwindet der Schatten auf ihrem Gesicht nicht.

Über die Flucht spricht sie nicht, das überlässt sie ihrem Mann. Er war es auch, der die Gefahr spürte, als die Regierungstruppen nach und nach in ihre umkämpfte Heimatstadt Al-Kusair an der libanesischen Grenze eindrangen. Wohnungen wurden kontrolliert. Schon wenn das Bild von Präsident Bashar al-Assad nicht an der Wand hing, galt man als Gegner, sagt Fadi al-Hay und berichtet von Zerstörung und Plünderung. „Es war egal, ob man sich politisch engagiert hat oder nicht.“ Auch bei ihnen standen sie nicht lange nach der Hochzeit vor der Tür, „mit Gewehren und langen Bärten“. Es gab Schreie und Schläge. In dem Moment habe er um sein Leben gefürchtet und das seiner schwangeren Frau, sagt der 33-Jährige. Schließlich konnten sie sich mit Schmiergeld freikaufen. 2000 Lira, das sind 50 Dollar – für eine Atempause. Die Männer befahlen Fadi al-Hay sich am nächsten Tag in der Zentrale zu melden, dann zogen sie ab. In derselben Nacht flohen die beiden mit einem Taxi über die Grenze in den Libanon. Sie schlugen sich durch, kamen in einem Abbruchhaus unter. Dort kam auch ihr Sohn zur Welt. „Wir hatten nichts, uns ging es sehr schlecht“, sagt Fadi al-Hay. Im Juni nahmen Regierungstruppen Al-Kusair ein und zerstörten es völlig. Die Bewohner flohen, auch ihre Familien. Als sie hörten, dass europäische Länder bereit seien, Flüchtlinge aufzunehmen, fuhren sie nach Beirut und bewarben sich. „Es war unsere einzige Hoffnung“, sagt Fadi al-Hay. Sie erzählten ihre Geschichte, beantworteten viele Fragen. Immer wieder. Dann warteten sie. Während die Überprüfung lief, wohnten sie in einem verlassenen Haus am Stadtrand. „Es war feucht und kalt, aber besser als die Flüchtlingslager“, sagt Sarah al-Hay. Schließlich kam die Nachricht, dass sie nach Deutschland ausreisen durften. Sie konnten es kaum fassen, so glücklich waren sie.

Was von ihrem alten Leben übrig ist, hatte Platz in zwei Koffern

Ihr neues Zuhause ist eine Wohnung mit zwei Zimmern in Eidelstedt. Der kleine Mounser versucht sich an einem Sofa aufzurichten, das sie von einem Bekannten bekommen haben. Auf den ersten Blick herrscht so etwas wie Normalität in der kleinen Familie. „Ich passe mich langsam, langsam an“, sagt Fadi al-Hay, der nach einem Unfall eine Gehbehinderung hat. Seine Frau nickt. Sie weiß, wo sie in Eidelstedt einkaufen kann. Auch am Steindamm war sie schon einmal. Sie kocht gern. Einmal waren deutsche Frauen zu Besuch und haben Haushaltssachen vorbeigebracht. Wer sie waren, haben sie nicht verstanden. Ein Sozialarbeiter des städtischen Unternehmens Fördern & Wohnen betreut sie. Wenn sie Fragen haben, hilft auch ein Nachbar. Er ist Franzose. Sie verständigen sich mit Händen und Füßen. Aber es ist alles so neu und anders, dass sie oft gar nicht wissen, was sie fragen sollten. Um die Ecke wohnen die beiden Familien, mit denen sie ausgeflogen wurden. „Das ist ein bisschen Heimat“, sagt Sarah al-Hay. Mit anderen Syrern haben sie keinen Kontakt.

Fadi al-Hay besucht einen Sprachkursus. Er kann seinen Namen sagen und „Guten Tag“. „Ich will schnell Deutsch lernen und dann arbeiten“, übersetzt der Dolmetscher. Im Moment bekommen die al-Hays Sozialleistungen, 900 Euro im Monat. „Es ist alles sehr gut“, sagen sie. „Es ist alles eingehalten worden, was versprochen wurde.“ Anders als Asylbewerber hat die Familie sofort eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre bekommen. Es ist nur eine kleine Plastikkarte, aber daran hängt ihre Zukunft. „Wir können nicht zurück“, sagt Fadi al-Hay.

Was von ihrem alten Leben übrig ist, hatte Platz in zwei Koffern. Es gibt nur die Erinnerung, und einen Stapel Fotos. Darauf sieht man die beiden nach der Verlobung, ein strahlendes Paar vor einem See draußen vor der Stadt. Das Gebiet ist jetzt von den Milizen besetzt. „Wir überlegen ständig, wie wir unserer Familie von hier aus helfen können“, sagt Fadi al-Hay. Vor allem um seinen Bruder macht er sich Sorgen. Er weiß, seine Flucht nach Deutschland bringt die Angehörigen in Syrien in Gefahr. Deswegen versuchen die al-Hays nicht aufzufallen, bleiben in ihrer Wohnung. Es ist der beste Ort, den sie haben.