„Volkswirtschaftlich unsinnig“ – SPD-Regierungschef kritisiert Windkraftpläne des SPD-Wirtschaftsministers

Kiel/Berlin. „Das Windenergieland Schleswig-Holstein kommt voran“: Dieser Satz aus einer Mitteilung der schleswig-holsteinischen Landesregierung könnte schon bald Makulatur sein. Und ausgerechnet die Große Koalition in Berlin ist daran schuld – weil sie Einschränkungen der Subventionen für erneuerbare Energien plant. Sigmar Gabriel (SPD), Wirtschafts- und Energieminister im Kabinett von Angela Merkel (CDU), hat dazu am Wochenende ein Eckpunktepapier vorgelegt, mit dem der stetige Strompreisanstieg gebremst werden soll. Bei seinem Parteifreund, dem schleswig-holsteinischen Regierungschef Torsten Albig (SPD), und bei Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne) stößt Gabriel damit auf energischen Widerstand. „Volkswirtschaftlich unsinnig“ sei Gabriels Vorschlag, die Netzausbauplanung werde „chaotisiert“, heißt es wenig diplomatisch in einem Gegenentwurf von Albig und Habeck. Rot-Grün in Kiel gegen Schwarz-Rot in Berlin. Für Schwarz und Grün dürfte das kein Problem sein. Für Rot schon.

Was Gabriel da plant, muss Albig alarmieren. Windenergie ist die alles überragende Wachstumsbranche im Land zwischen den Meeren. Erst 2012 hat Schleswig-Holstein nach einem aufwendigen und zeitraubenden Planungsverfahren die Flächen, auf denen Windanlagen aufgestellt werden können, verdoppelt. Rund 13.200 Hektar „Eignungsflächen“ sind hinzugekommen, damals sprach die Landesregierung stolz vom „Windenergieland“, das vorankomme. Überall in Schleswig-Holstein wird derzeit gerechnet und geplant, überall wird über neue Bürgerwindparks debattiert. Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) könnte dem jäh ein Ende setzen. Denn in Sigmar Gabriels Eckpunktepapier heißt es: „Aus Gründen des Vertrauensschutzes gelten die alten Fördersätze des EEG 2012 für Windenergieanlagen, die bis zum 31. Dezember 2014 in Betrieb genommen werden, sofern sie vor dem 22. Januar 2014 immissionsschutzrechtlich genehmigt worden sind.“

Walter Eggersglüß war „schockiert“, als er das las. „Die meisten Windparks, die auf den 2012 freigegebenen Flächen entstehen sollen, haben noch keine solche Genehmigung – und werden sie bis morgen auch nicht mehr bekommen“, sagte der Windkraftexperte der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. Das bedeutet: Die in Planung befindlichen Anlagen werden unter ganz anderen wirtschaftlichen Bedingungen arbeiten müssen als bisher angenommen. Derzeit liegt der durchschnittliche Fördersatz für EEG-Strom (aus Wind, Sonne, Biomasse) bei 17 Cent pro Kilowattstunde. Laut Gabriel-Plan soll er ab dem kommenden Jahr auf 12 Cent sinken. Für die in Planung befindlichen Anlagen bedeutet das laut Eggersglüß: „Die Risiken für Investoren werden größer, die Banken werden mehr Sicherheiten fordern.“

Wer das noch verhindern will, muss sich beeilen. Schon am Mittwoch wird Gabriels Entwurf im Kabinett vorgestellt, am 9. April soll der Kabinettsbeschluss folgen. Ende Juni wird der Bundestag über das Gesetz abstimmen, im Juli der Bundesrat. Im August könnte das neue EEG in Kraft treten.

Albig und Gabriel stehen also unter Zeitdruck. Am Wochenende haben sie telefoniert, am Montag haben sie sich in Berlin getroffen. Dort wurde zumindest eine gemeinsame Sprachregelung gefunden. Sie lautet, reichlich unkonkret: „Beide sind sich einig, dass dem Ausbau der Windkraft an Land auch in Zukunft eine wichtige Rolle für das Erreichen unserer gemeinsamen Ziele zukommt. Gleichzeitig müssen natürlich Überförderungen dort abgebaut werden, wo sie auftreten.“ Die Differenzen sind offenbar nicht ausgeräumt. Albig und Habeck befürchten, dass der Ausbau der Windenergie an Land abgewürgt werden könnte. Gabriel strebt dafür eine Mengengrenze an. Mehr als ein Zubau von 2500 Megawatt im Jahr soll es nicht geben. Albig hält nichts von einer Deckelung der „kostengünstigsten erneuerbaren Energie“. Zuletzt seien pro Jahr 2000 bis 3000 Megawatt installiert worden. „Notwendig für eine kostengünstige Wende im Stromsektor“ seien mindestens 3000 Megawatt pro Jahr – „mit steigender Tendenz“, heißt es in Albigs Positionspapier.

Zugleich wirft er Gabriel vor, „den Prozess der Netzausbauplanung zu chaotisieren“. Der Vizekanzler will den Anteil der erneuerbaren Energien nur noch auf 40 bis 45 Prozent im Jahr 2025 anheben. Geplant wurde bislang mit einem Anteil von 50 Prozent bis 2024. Albig: „Wenn die Netzbetreiber jetzt noch einmal komplett neu rechnen müssen, droht sich der ohnehin überfällige Netzausbau weiter zu verzögern.“

In Berlin gab es ein geteiltes Echo auf den Gabriel-Vorstoß. „Ich finde es gut, dass man ambitionierter vorgeht als im Koalitionsvertrag verabredet“, sagte der CDU-Energieexperte Joachim Pfeiffer, der dem Wirtschaftsflügel der Union angehört. Die Grünen-Chefin Simone Peter kritisierte die geplante Reform – und argumentierte dabei wie Torsten Albig. Es sei „absurd, dass es dem Billigmacher Windkraft an den Kragen geht“, sagte sie. Moderate Töne kamen von Erwin Sellering (SPD), Ministerpräsident in Mecklenburg-Vorpommern. „Insgesamt geht das Eckpunktepapier von Gabriel in die richtige Richtung“, sagte er. Eine Meinung, die der Windkraftexperte Walter Eggersglüß von der Landwirtschaftskammer nicht teilt. „Vielleicht ist die beste Zeit der Windkraft schon vorbei“, sagte er.