Norddeutschland hat die Kraft, eine Energiewende ohne Subventionen zu verwirklichen

Wie eine Volkswirtschaft idealerweise zu führen sei, das beschrieb der große Hamburger Ökonom und Bundesminister Karl Schiller (SPD) in den 1960er-Jahren mit dem „Magischen Viereck“. Preisstabilität, ein hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und ein „angemessenes und stetiges“ Wachstum waren die Eckpunkte des Modells, das im Prinzip bis heute gilt. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Umsetzung der Energiewende, bei der die Politik einem „magischen Dreieck“ folgen muss: Eine Energieversorgung, die zunehmend und irgendwann überwiegend auf erneuerbaren Energien basieren soll, muss technologisch sicher, für die Verbraucher bezahlbar und ökologisch effektiv sein.

Mit seinen Eckpunkten zu einem neuen Energiegesetz gab Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) am Wochenende den Startschuss für eine Meinungs- und Lobbyistenschlacht, die mindestens bis zum Sommer andauern wird. Dann soll das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in seiner novellierten Form vom Bundestag verabschiedet und dem Bundesrat zur Kenntnis gegeben werden. Auf der Klausurtagung in Schloss Meseberg will sich am morgigen Mittwoch das Bundeskabinett mit Gabriels Entwurf beschäftigen.

Das Papier war vom Minister noch nicht öffentlich präsentiert worden, da begann schon der Streit. Er geht quer durch alle Lager, wie bereits die ablehnende Reaktion von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) am Montag auf die Vorschläge seines Parteivorsitzenden zeigte. Etliche widerstrebende Meinungen – aus der Politik, aus den Regionen, aus der Wirtschaft und den Verbraucherverbänden – werden in den kommenden Monaten aufeinanderprallen. Zahlreiche Interessenvertreter haben bei der Energiewende kurzfristig viel zu gewinnen wie auch zu verlieren. Mittel- und langfristig aber macht die Energiewende Verbraucher, Kommunen, Unternehmen in ganz Deutschland zu Gewinnern – aber nur, wenn der Ausbau vor allem von Wind- und Sonnenkraftwerken, von Speichern und modernen Netzen professionell vorangetrieben wird.

Damit die Energiewende gelingt, müssen alle Beteiligten kooperieren. Angesichts der herrschenden Interessenlagen klingt das naiv. Ist es aber nicht: Jede Region kann eigene Stärken beisteuern. Bayern etwa ist mittlerweile in Deutschland die Hochburg bei der Erzeugung von Strom aus Solaranlagen. Hinzu kommt eine traditionell starke Position des Südens bei der Nutzung von Biomasse aus Waldbeständen und der Landwirtschaft sowie der Stromerzeugung in Wasserkraftwerken. Im Norden wiederum ist die Windkraft die wichtigste Energiequelle der Zukunft. Bayern wird die Windkraft, so zeichnet es sich mittlerweile ab, nicht im großen Stil ausbauen. Für die Windkraftbranche ist das ein Rückschlag, für das Gesamtprojekt Energiewende in Deutschland aber ein Gewinn. Denn Bayern vermeidet mit der geplanten neuen Abstandsregelung für Windparks zu Siedlungen massive Widerstände gegen die Bebauung von waldreichen Mittelgebirgen mit Windturbinen.

An den windstarken Standorten der norddeutschen Küsten werden schon bald die ersten neuen Windparks stehen, die ohne Subventionen durch Stromeinspeisevergütungen wirtschaftlich arbeiten können. Wirtschaftlich abgeschriebene Windturbinen im Norden laufen heute bereits hochprofitabel. Norddeutschland muss die technologischen und ökonomischen Durchbrüche liefern, um die Windkraft voll wettbewerbsfähig zu gestalten. Mit Windkraftwerken an Land und künftig zunehmend mit Offshore-Windparks auch auf der Nord- und Ostsee kann die Küste von der Energiewende stärker profitieren als jede andere Region in Deutschland. Vorausgesetzt, alle Beteiligten machen jetzt ihre Hausaufgaben.