Der CSU-Chef meidet den Start der Klausur in Kreuth. Er wischt zunächst die teuren Vorschläge seiner Ministerin zur Energiewende vom Tisch

München/Kreuth. Theaterdonner, Zwist und Hader gehören zum dramaturgischen Grundprinzip der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth seit jeher. Aber dem Regisseur ist in diesem Jahr offenbar die Dramaturgie entglitten. CSU-Chef Horst Seehofer verschob am Dienstag seinen Auftritt auf der sonnenbeschienen Alpenbühne. Ein Vorgang ohne Beispiel. Die Auftaktbilder vor dem gelben Schlösschen gehören eigentlich zum CSU-Kalender wie die Tanne zu Weihnachten. Seehofer verzichtete diesmal darauf. Nicht wegen einer leichten Indisposition, sondern einer ernsten Verstimmung. Er hatte die Wut im Bauch. Schuld war Ilse Aigner. Die hat sich nämlich was getraut. Das geht natürlich nicht.

Die bayerische Wirtschaftsministerin hatte am Wochenende ohne Absprache mit dem Ministerpräsidenten einen Vorschlag zur Finanzierung der Energiewende vorgelegt. Das Modell verschiebt, kurz gesagt, mittels einer Fondslösung, die Bezahlung des Ausbaus der erneuerbaren Energien in die Zukunft, entlastet aber die Stromkunden in der Gegenwart. Für Seehofer, der den schuldenfreien bayerischen Haushalt und die geplante Abzahlung der Schulden im Freistaat bis 2030 wie eine Monstranz vor sich herträgt, war dieser Vorstoß ein Affront. Wörter wie Neuverschuldung oder Kreditaufnahme sind tabu.

Beide beharkten sich dann ein paar Tage über die Presse. Die Idee sei nicht mit dem Parteichef abgesprochen gewesen, erklärte Aigner in einem Gespräch. Zudem kritisierte sie ihn: „Es reicht nicht immer, nur Nein zu sagen.“ Es war klar, wer aus ihrer Sicht der Neinsager war. Das war offenbar alles zu viel für Horst Seehofer. Der Ministerpräsident ordnete kurzerhand für Dienstag eine verlängerte Sitzung des bayerischen Kabinetts an, mit Präsenzpflicht. Die CSU-Landesgruppe musste deshalb in Kreuth auf Seehofer verzichten. Niemand aus der Münchner Führungsriege sollte in Richtung Tegernsee aufbrechen, bevor nicht klar war, wie Bayern die Energiewende organisieren will. Das Ergebnis war eindeutig: Die Fondsidee wurde vom Tisch gewischt. „Diese Überlegung wird derzeit nicht weiterverfolgt“, sagte Staatskanzleichefin Christine Haderthauer anschließend. Gemeinsam sei man zu diesem Ergebnis gekommen, abgestimmt wurde nicht. Eine glatte Abfuhr für Aigner. Um dies noch zu unterstreichen, wies Haderthauer darauf hin, dass die Fondsfrage nicht einmal zehn Prozent der Energiediskussion in Anspruch genommen habe. Mit anderen Worten: Das Ganze war nicht der Rede wert.

Außerdem sei unklar, um was für eine Art von Papier es sich eigentlich gehandelt habe, das Aigner da vorgelegt habe. Eine Kabinettsvorlage, die noch nicht fertig war? Ein Vorschlag für die Kreuther Klausur? Haderthauer konnte es nicht genau sagen. Man muss wissen: Haderthauer konkurriert mit Aigner um die Nachfolge Seehofers. Beteiligte beschreiben die Sitzung trotz der Aufwallungen als erstaunlich ruhig. „Da habe ich schon anderes erlebt“, sagte ein Kabinettsmitglied. Kein Wunder, denn es war schon vorher alles klargemacht worden: Aigner und Seehofer hatten am Wochenende miteinander telefoniert, wie Staatskanzleichefin Haderthauer sagt. Seehofer musste nicht mehr auf den Tisch hauen: „Es gab kein Machtwort.“ Die Abfuhr für Aigner war deutlich genug. Man bemühte sich nicht einmal um diplomatische Freundlichkeiten. Selbst im offiziellen Kabinettsbulletin wurde die Ablehnung des Vorschlags schriftlich festgehalten. Vordringlich sei die Umsetzung des Koalitionsvertrages, also die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und die Sicherung der sogenannten Grundlastfähigkeit. Zu Finanzierungsfragen kein Wort.

Eine vollkommene Demontage seiner wichtigsten Kronprinzessin riskierte Seehofer doch nicht. Allerdings stellte er durch die Auseinandersetzung in München und seine Ankunft nach Sonnenuntergang die Klausur in Kreuth im wahrsten Sinn des Wortes in den Schatten. Die Anwesenden bemühten sich, Gelassenheit vorzutäuschen und den Vorgang in München herunterzuspielen. „Nachdem mich der Parteivorsitzende heute Nachmittag verschmäht hat, komme ich in Begleitung dieser beiden Herren“, sagte Gerda Hasselfeld, Chefin der CSU-Landesgruppe, als sie zum eigentlich geplanten Auftrittstermin Seehofers mit dem parlamentarischen Geschäftsführer Max Straubinger und Generalsekretär Andreas Scheuer vor die Presse trat. Zu Aigners Vorschlag sagte sie, dass es richtig sei, darüber zu diskutieren. Das sei eine ganz normale Diskussion. Dem pflichtete Scheuer bei: „Das ist kein ganz neuer Vorschlag. Immerhin arbeitet die CSU schon, während Sigmar Gabriel noch mit der Analyse beschäftigt ist.“ Zu diesem Zeitpunkt stand in München schon das definitive Nein fest. Bis Kreuth war das noch nicht vorgedrungen. Erklärungen, warum Seehofer auf einen scheinbar alten und doch diskussionswürdigen Vorschlag so dünnhäutig reagiert hat, blieb man in Kreuth und München aber schuldig. „Es gab keinen Punkt, der als K.-o.-Argument empfunden wurde“, sagte Haderthauer. Dabei hatte die Partei doch auch nur darauf gewartet, dass die bisher in ihrem neuen Amt blass gebliebene Ilse Aigner endlich einmal aufmuckt. Seehofer aber ist das Aufmucken einfach nicht mehr gewöhnt. Es erscheint ihm als Majestätsbeleidigung. Profilierungsversuche potenzieller Nachfolgekandidaten, zu denen neben Aigner und Haderthauer auch Bayerns Finanzminister Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann gehören, werden nur mit Erlaubnis des Vorsitzenden geduldet.

Spätestens seit seinen Wahlsiegen im vergangenen Herbst herrscht der Vorsitzende absolut und unangefochten, legt größten Wert auf koordiniertes Vorgehen und Loyalität. Interner Streit ist verboten, weil er die Position des kleinsten Koalitionspartners in der „GroKo“ nur schwächt. Bisher hielt sich jeder an das Gebot. Zur scheinbar perfekten Dramaturgie gehörten auch die zwei Wochen vor Kreuth, in denen die CSU mit der von ihr angestoßenen Zuwanderungsdiskussion („Wer betrügt, der fliegt“) quasi Debattenhoheit genoss. Dieser erfolgreiche Vorlauf degradiert nun die Klausur als solche zu einer Kulissenveranstaltung. Es ist alles gesagt, publiziert. Das Wittelsbacher-Schloss bietet nur noch den Ort für die Wiederholung des Bekannten. Das schien Seehofer offenbar verzichtbar. Die Debatte vor Kreuth hat maximal zur Profilierung beigetragen, nun galt es, schnell Schaden vom Markenkern abzuwenden. Schulden? Nicht mit Horst Seehofer.