Arbeitnehmer könnten bei Zahlungen an Rentenkasse entlastet werden, doch Schwarz-Rot finanziert Wahlversprechen

Berlin. Zwei Tage nach Vereidigung der neuen Bundesregierung haben Union und SPD im Bundestag einen Stopp der Beitragssenkung in der Rentenversicherung auf den Weg gebracht. Der Bundestag beriet am Donnerstag in erster Lesung über den Entwurf des Gesetzes, das den Beitragssatz bei 18,9 Prozent belässt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer entgehen so allein 2014 sechs Milliarden Euro an Entlastung. Die neuen Koalitionspartner brauchen Milliardenbeträge, um ihre teuren Rentenversprechen erfüllen zu können. Dazu zählen die verbesserte Mütterrente, die abschlagfreie Rente ab 63 Jahren für langjährig Versicherte und höhere Erwerbsminderungsrenten.

Weil das Gesetz aber nicht mehr rechtzeitig zum Jahresende in Kraft treten kann, wählt die Koalition ein bisher einmaliges Vorgehen. Der Beitragssatz für 2014 wird schon am heutigen Freitag im „Bundesanzeiger“ bekannt gemacht, obwohl das Gesetz erst im Februar im Bundesrat verabschiedet werden kann.

Grüne und Linksfraktion warfen der Koalition „Trickserei“ und „Plünderung der Rentenkasse“ vor. Die neue Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) verfolgte die Debatte auf der Regierungsbank, meldete sich aber – wie bei der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs üblich – nicht selbst zu Wort. Sie überließ es ihrer parlamentarischen Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) und den Sozialpolitikern der Regierungsfraktionen, die Rentenpläne gegen die Attacken der Opposition zu verteidigen.

Nach geltendem Recht hätte der Beitragssatz 2014 auf 18,3 Prozent sinken müssen, da die Reserven der Rentenversicherung Ende 2013 mit etwa 31 Milliarden Euro weit über dem vorgeschriebenen Höchstmaß liegen. Um diesen Mechanismus auszuhebeln, legte die Koalition den Gesetzentwurf vor.

„Sie tricksen“, warf der Linken-Abgeordnete Matthias Birkwald der Koalition vor. „Warum haben Sie es nicht korrekt gemacht“, fragte er die Koalitionäre. „Erst im Januar werden sie rückwirkend mitteilen können, dass die Rentenversicherungsbeiträge nicht sinken.“ Die stellvertretende Grünen-Fraktionschefin Kerstin Andreae kritisierte: „Das ist mitnichten ein geordnetes Verfahren.“ Wenn das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens schon jetzt veröffentlicht werde, könne man sich ja die zweite und dritte Lesung sowie die Beratungen im Ausschuss und die Anhörung von Sachverständigen sparen. Die Grüne zeigte sich „geschockt“. Allein die höheren Renten für Mütter mit vor 1992 geborenen Kindern würden in den nächsten vier Jahren 26 Milliarden Euro kosten. Für Bildung und Kindererziehung nehme Schwarz-Rot dagegen gerade einmal sechs Milliarden Euro in die Hand.

Die Linken-Abgeordnete Sabine Zimmermann sagte, hinter dem „Sammelsurium von Maßnahmen“ sei kein Konzept zu erkennen. Statt die Rentenkassen zu plündern, müsse die Mütterrente aus Steuermitteln bezahlt werden. Und die abschlagsfreie Rente ab 63 sei eine „Mogelpackung“, da zwei Drittel der Rentner die 45 erforderlichen Beitragsjahre nicht erreichen könnten.

Die Sozialpolitiker der Union, Peter Weiß und Karl Schiewerling, hielten dagegen. Man halte den Rentenbeitrag „stabil“ und sorge für Planungssicherheit, betonte Weiß. „Es wird niemandem etwas weggenommen.“ Schiewerling sprach von einem „ordnungsgemäßen Verfahren“. Manche Aufregung könne er nicht nachvollziehen. Arbeitgeber und Versicherte wüssten schon seit November, dass der Rentenbeitragssatz 2014 unverändert bleiben würde. Mit der ersten Lesung und der Ankündigung im Bundesanzeiger werde das noch einmal bekräftigt. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hatte die Aussetzung der Rentenbeitragssenkung kritisiert. „Die Große Koalition läuft Gefahr, mit einem verfassungswidrigen Gesetzesvorhaben in die 18. Legislaturperiode zu starten“, hieß es in einer BDA-Stellungnahme. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte Zweifel am Verfahren angemeldet.

Die Redner der Regierungsfraktionen verteidigten das Einfrieren des Beitragssatzes auch mit den geplanten Rentenverbesserungen. „Wir wollen die Gerechtigkeitslücken auch in der Rentenversicherung schließen“, sagte die SPD-Abgeordnete Katja Mast. CSU-Kollege Paul Lehrieder (CSU) pflichtete bei: Die Beitragszahler seien bereits massiv entlastet worden. „Jetzt sind die Mütter an der Reihe.“

Vom 1. Juli 2014 an sollen Mütter für vor 1992 geborene Kinder einen zusätzlichen Rentenpunkt bekommen, der derzeit im Westen 28,14 Euro und im Osten 25,74 Euro wert ist. Die jährlichen Kosten steigen von etwa 6,5 Milliarden Euro nach Berechnungen der Rentenversicherung bis 2030 auf etwa acht Milliarden Euro. Die Gesamtbelastung durch die höheren Mütterrenten betrüge demnach bis 2030 rund 130 Milliarden Euro.

Trotz ihres Scheiterns bei der Bundestagswahl am 22. September kam auch die FDP in der Parlamentsdebatte zu Wort. Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) sprach als Ländervertreter. Er geißelte die Rentenpläne als „Jobvernichter“, weil die Koalition die Chance nicht nutze, Arbeit durch eine Beitragssenkung in der Rentenversicherung billiger zu machen. „Sie belasten die Menschen, die jeden Morgen aufstehen, die sich krumm machen und im Beruf engagieren, um ihre Familien zu ernähren.“ Kurios war dabei, dass er seine Kritik zulasten der Redezeit der Union vortrug, die ja das Einfrieren des Beitragssatzes befürwortet. FDP und CDU bilden in Sachsen eine Koalition. Und Morlok zitierte den CDU-Wirtschaftspolitiker Christian von Stetten. Dieser sprach nicht, hatte die Rentenpläne aber jüngst als „Verbrechen an der nächsten Generation“ bezeichnet.