Regierung unter Ministerpräsident Volker Bouffier steht. Grüne bekommen zwei Ministerposten. Hamburgs Spitzenpolitiker loben das neue Bündnis

Hamburg/Wiesbaden. Heute hat Volker Bouffier Geburtstag. Er wird 62 Jahre alt – und er hat sich selbst ein Geschenk gemacht. Hessens CDU-Politiker und Ministerpräsident will die Grundlage des ungewöhnlichen Bündnisses, den Koalitionsvertrag, vorstellen. Vorangegangen war eine letzte Nachtschicht mit dem Grünen-Vorsitzenden Tarek Al-Wazir und den anderen Unterhändlern. Am Dienstagmorgen kurz nach drei Uhr wurde der Entwurf per Handschlag besiegelt. In einem Hotel in dem kleinen Kurort Schlangenbad verständigten sich fast drei Monate nach der hessischen Landtagswahl CDU und Grüne am frühen Dienstagmorgen auf einen Koalitionsvertrag für die erste schwarz-grüne Landesregierung in einem deutschen Flächenland. Nun müssen am Sonnabend nur noch Parteitage von CDU und Grünen zustimmen, damit Bouffier im Januar erneut zum Regierungschef gewählt werden kann.

Vor der Landtagswahl am 22.September hätten die beiden Landeschefs vermutlich selbst nicht geglaubt, zusammen eine Regierung zu bilden. Als die Grünen Ende November das Angebot der CDU zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen annahmen, räumte Al-Wazir offen ein: „Ich habe mir selber nicht vorstellen können, dass ich mal in Verhandlungen mit der CDU trete.“ Mit der als besonders konservativ geltenden hessischen CDU hatten sich die Grünen in den vergangenen Jahren schließlich heftige Auseinandersetzungen geliefert.

Doch die komplizierten Mehrheitsverhältnisse nach der Landtagswahl machten das unerwartete Bündnis möglich. Fünf Parteien – CDU, SPD, Grüne, Linke und FDP – schafften den Einzug ins Parlament. In mehreren Sondierungsgesprächen loteten die Parteien nicht nur die Chancen für ein schwarz-grünes Bündnis, sondern auch für eine Große Koalition aus CDU und SPD sowie ein Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linken aus. Als realistisch galten in Wiesbaden aber am Ende nur noch Schwarz-Grün oder eine Große Koalition.

Anders als im Bund, wo Union und Grüne schon bald nach der Bundestagswahl die Möglichkeit einer Zusammenarbeit wieder verworfen hatten, wagten Bouffier und Al-Wazir die neuartige Koalition. Nur in Hamburg hatte es ein solches Bündnis bislang gegeben, im kleinen Saarland hatten CDU, Grüne und FDP kurze Zeit gemeinsam regiert. Ob und wie CDU und Grüne nun in Wiesbaden fünf Jahre zusammenarbeiten, wird auch bundesweit genau beobachtet werden.

Hamburgs CDU-Landeschef und Bundestagsabgeordneter, Marcus Weinberg, lobte die Entscheidung. „Das Bündnis in Hessen zeigt: Die politische und gesellschaftliche Zeit in Deutschland ist reif für eine schwarz-grüne Regierung in einem Flächenland“, sagte Weinberg dem Abendblatt. Schwarz-Grün biete „riesige Chancen, die vermeintlichen Gegensätze von Ökologie und Ökonomie zu vereinen“. In dieser „Symbiose stecke viel Potenzial“ – nicht nur für Deutschland, sondern auch für beide Parteien. „Läuft die Regierung in Hessen erfolgreich, ist das auch ein Wegweiser für ein schwarz-grünes Bündnis auf Bundesebene.“

Hessen hat ein strukturelles Defizit von jährlich fast 1,5 Milliarden Euro

„Wichtig ist, dass beide Parteien nun die Inhalte dieser neuen Koalition eng mit den eigenen Mitgliedern abstimmen. 2008 haben wir das in der Hamburger CDU zum Beispiel beim Thema Schulreform zu wenig gemacht. Auch deshalb scheiterte das Bündnis“, hob Weinberg hervor.

Nachdem die vom Senat gewünschte Schulreform bei einem Volksentscheid im Sommer 2010 gescheitert war, trat Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zurück. Von Beust gab als Grund auch an, er sei amtsmüde. Dabei galt er in Hamburg als Integrationsfigur eines schwarz-grünen Bündnisses. Wenige Monate später kündigten die Grünen die Regierung unter von Beusts Nachfolger Christoph Ahlhaus (CDU) auf. Nach zwei Jahren endete die Koalition im Rathaus.

Auch Anja Hajduk, einst in der Koalition in Hamburg Senatorin für Umwelt und Stadtentwicklung und heute Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, begrüßte das schwarz-grüne Bündnis in Hessen. „Aus den Erfahrungen aus Hamburg kann ich beiden Seiten, Union und Grünen, nur raten, nicht zu viel in zu kurzer Zeit anzugehen. In Hamburg hatten wir uns sehr viel vorgenommen. Gerade im Bildungsbereich hat das großen Widerstand in der Öffentlichkeit hervorgerufen. Das Ergebnis war die Niederlage bei der Schulreform“, sagte Hajduk dem Abendblatt.

Auf der Bundesebene stehe den Grünen nun erst einmal die Zeit in der Opposition bevor. „Langfristig müssen die Lehren aus dem Wahlergebnis im September aber sein, dass wir uns auch im Bund Bündnissen mit Parteien wie der CDU öffnen. Wir wollen uns künftig nicht mehr nur auf ein Lager verlassen“, hob Hajduk hervor.

Noch ist die schwarz-grüne Koalition in Hessen aber nicht endgültig besiegelt. Am Wochenende könnte es auf einer Landesmitgliederversammlung noch einmal heftige Diskussionen geben. Konfliktstoff birgt etwa der Kompromiss zum Frankfurter Flughafen, einem für die Grünen gerade symbolisch wichtigen Thema. Nicht jedem dürften die geplanten Maßnahmen zu einem besseren Lärmschutz ausreichen. Auch die in der letzten Verhandlungsrunde vereinbarten Einsparungen von einer Milliarde Euro bis 2019 sind kaum dafür geeignet, Begeisterungsstürme auszulösen. Unter anderem ist ein leichter Stellenabbau geplant, der aber nicht für Lehrer gelten soll. Zudem sind Begrenzungen bei der Beamtenbesoldung und eine höhere Grunderwerbssteuer vorgesehen. Dies soll dem Land jährlich 130 Millionen Euro einbringen. Auch bei Verwaltungsausgaben und Investitionen sollen 50 Millionen Euro eingespart werden.

Hessen hat ein strukturelles Defizit von jährlich fast 1,5 Milliarden Euro. Vom Jahr 2020 an darf das Bundesland wegen der in der Verfassung festgeschriebenen Schuldenbremse keine neuen Schulden mehr machen. Die Sanierung des Haushalts galt neben dem Flughafen als schwierigster Punkt der Koalitionsvereinbarung.