Gutachter an EU-Gericht verwirft Richtlinie zu Telefon- und Mailverbindungen. Druck auf Schwarz-Rot in Berlin wächst

Luxemburg/Berlin . Nach jahrelangem Streit könnte eine Vorentscheidung in der Frage gefallen sein, ob und in welcher Weise Verbindungsdaten zur Verbrechensbekämpfung gespeichert werden dürfen: Nach Ansicht eines Gutachters am Europäischen Gerichtshof verstößt die Vorratsdatenspeicherung gegen EU-Grundrechte. Das geht aus dem Rechtsgutachten des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón hervor. In den meisten Fällen folgt das Gericht dem Gutachter.

Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung steht somit auf der Kippe. Ein Urteil wird aber erst in einigen Monaten erwartet. In der EU müssen Telekommunikationsunternehmen seit 2006 Verbindungsdaten auch ohne konkreten Verdacht bis zu zwei Jahre lang aufbewahren. Mitgliedsstaaten der EU müssen beschlossene Richtlinien mit eigenen Gesetzen umsetzen.

Bei der Vorratsdatenspeicherung werden ohne konkreten Anlass Informationen zum Beispiel darüber aufbewahrt, wer wann mit wem telefoniert oder E-Mails hin- und hergeschrieben hat. Dabei werden zwar nicht die Inhalte gespeichert. Mit den erfassten Daten können Ermittler jedoch zum Beispiel relativ genaue Bewegungsprofile erstellen.

Der Generalanwalt kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass die Richtlinie „in vollem Umfang unvereinbar“ mit der Grundrechte-Charta der Europäischen Union sei. Unter anderem bezieht sich das Votum auf Artikel 7, wonach jede Person das „Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation“ habe.

Zudem ist laut Gutachten eine in der Richtlinie vorgesehene Speicherfrist von bis zu zwei Jahren unverhältnismäßig lang. Der Gutachter empfiehlt dem Europäischen Gerichtshof nicht, die Richtlinie direkt auszusetzen. Vielmehr sollten die EU-Gesetzgeber ausreichend Zeit erhalten, um die notwendigen Änderungen vornehmen zu können.

Unter strengen Voraussetzungen könnte die Vorratsdatenspeicherung laut Gutachten somit möglich sein. Im Text heißt es, die Richtlinie verfolge „ein vollkommen legitimes Ziel, das darin besteht, die Verfügbarkeit der erhobenen und auf Vorrat gespeicherten Daten zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten sicherzustellen“. Die Speicherfrist zum Beispiel sollte allerdings weniger als ein Jahr betragen, schreibt der Generalanwalt. In der Bundesrepublik gibt es – anders als in anderen EU-Ländern – bisher keine Vorratsdatenspeicherung: Im Jahr 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die Umsetzung der bereits vier Jahre zuvor beschlossenen EU-Richtlinie für nichtig erklärt.

Die Richter bezogen sich dabei auf Artikel 10 des Grundgesetzes. Dort heißt es: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“ Das Verfassungsgericht sprach sich damals allerdings nicht grundsätzlich gegen die Vorratsdatenspeicherung aus. Die Richter forderten einen besseren Datenschutz und höhere Hürden für den Zugriff durch Ermittler. Während die Union eine Neuregelung forderte, sperrte sich die FDP dagegen.

In einem möglichen schwarz-roten Regierungsbündnis ist von solch einer Blockade jedoch keine Rede mehr: Im Koalitionsvertrag, der noch auf die Zustimmung der SPD-Basis wartet, haben beide Seiten erklärt, die EU-Richtlinie umzusetzen und auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinzuwirken. Somit könnten in Deutschland demnächst Milliarden von Daten anlasslos gespeichert werden.

Der Plan von Union und SPD sieht vor, dass der Zugriff auf die Daten „nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben“ erfolgen darf. Aufgrund dieser Hürden weisen Union und SPD den Vergleich zu den nahezu willkürlich agierenden und unkontrollierten Datenkraken der amerikanischen NSA oder des britischen GCHQ weit von sich. Nicht der Staat, sondern die Telekommunikationsunternehmen sollen zudem in Deutschland die Informationen speichern. Diese würden außerdem nur in bestimmten Einzelfällen weitergegeben.

Ein grundsätzliches Hindernis sehen SPD und CDU selbst in dem Gutachten für das im Koalitionsvertrag geplante Instrument nicht. In einer ersten Stellungnahme sagte ein Sprecher des amtierenden Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU): „Wir sehen darin eine gute Chance, das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, einzubringen.“ Die gründliche Auswertung des EU-Gerichtsgutachtens dauerte zunächst noch an, wie Sprecher Jens Teschke weiter erklärte. In SPD-Kreisen hieß es, die Koalitionsvereinbarung müsse nicht revidiert werden. Allerdings sei bis zu einer Umsetzung das endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) abzuwarten.

Gegner der Vorratsdatenspeicherung halten die Maßnahme jedoch schon lange für unverhältnismäßig. Die geschäftsführende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte in Anbetracht des Votums, „jetzt endlich über Sinn und Unsinn der Vorratsdatenspeicherung ehrlich nachzudenken“. Die EU-Kommission sollte die Richtlinie aufheben, erklärte die Liberale.

Der scheidende Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar (Grüne) hat die von Union und SPD geplante Wiedereinführung der Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten zu Fahndungszwecken kritisiert. „Der Koalitionsvertrag verheißt in diesem Punkt nichts Gutes“, sagte Schaar den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“. Zur Überprüfung der Richtlinie durch den Europäischen Gerichtshof sagte Schaar: „Da wäre es doch fatal, die Vorratsdatenspeicherung national wieder einzuführen und dann festzustellen, dass das ganze Paket gegen europäische Grundrechte verstößt.“

Sicherheitslücken sieht Schaar im Fall eines Verzichts auf die Datenspeicherung nicht. „Die Sicherheitsbehörden wissen heute mehr über die Menschen und ihre Gewohnheiten als jemals zuvor“, sagte er den „Ruhr Nachrichten“. „Vorschläge, diesen Datenhaufen noch zu vergrößern, in der Hoffnung, man werde dann die Nadel des Terrors finden, halte ich für völlig falsch.“

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) nahm das Gutachten dagegen zum Anlass, noch einmal für die Vorratsdatenspeicherung zu werben. Man respektiere Kritik und Sorge um den Datenschutz, erklärte der BDK-Bundesvorsitzende André Schulz. Er fügte hinzu, es müsse auch die andere Seite der Medaille aufgezeigt werden: „Die Polizei kann Tag für Tag Hunderte von Fällen nicht aufklären, weil einzelne Politiker und sogenannte Netzaktivisten sachfremde Klientelpolitik betreiben.“ Opfer und Geschädigte haben ein Grundrecht auf Sicherheit, betont Schulz, auf Schutz und Aufklärung von Straftaten – nicht nur in der realen, sondern auch in der digitalen Welt. Er holt auch zu einem Seitenhieb auf Leutheusser-Schnarrenberger aus: Diese gehe mit ihrer Einschätzung an der Realität vorbei und solle „nun in Demut in sich gehen“.