Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) erwartet viele positive Effekte des schwarz-roten Koalitionsvertrags für Hamburg. Er sei „sehr, sehr froh“ etwa über den Konsens in der Energiewende, von dem Hamburg profitieren werde.

Hamburg/Berlin. Dem Gesichtsausdruck des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz war eine gewisse Zufriedenheit mit sich und den Seinen abzulesen, als er im Rathaus die Ergebnisse des Berliner Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD aus Hamburger Sicht erläuterte. Sozialdemokrat Scholz, der in der entscheidenden Schlussphase im engsten Kreis mitverhandelt hatte, trug in altbekannter, stoischer Manier Punkt für Punkt konzentriert und mit leiser Stimme vor, aber er verlieh seiner guten Laune doch auch bisweilen sprachlich Ausdruck.

Er sei „sehr, sehr froh“ etwa über den Konsens in der Energiewende, von dem Hamburg profitieren werde. Die Einführung einer Frauenquote in den Aufsichtsräten von DAX-Unternehmen, ursprünglich eine Bundesratsinitiative von Hamburgs Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD), nannte er einen „schönen Erfolg“. Scholz hatte dafür gesorgt, dass Hamburg in den diversen Arbeitsgruppen der Koalitionsgespräche überproportional vertreten war. Neben den Senatoren Detlef Scheele (Soziales und Arbeit), Jutta Blankau (Stadtentwicklung) und Barbara Kisseler (Kultur) nahmen auch mehrere Staatsräte an den Verhandlungen teil.

„Der Vertrag wird dazu beitragen, dass Hamburg in der Lage sein wird, seine Aufgaben besser zu bewältigen“, lautete Scholz’ Fazit des rund fünfwöchigen Ringens um ein Grundlage für eine Große Koalition. Nicht zuletzt finanziell dürften sich die Vereinbarungen zwischen Union und SPD für Hamburg auszahlen, wenn sie Bestand haben nach der SPD-Mitgliederbefragung.

Scholz vermied es zwar, eine konkrete Summe der Entlastungen für den Hamburger Haushalt zu benennen. Nach ersten Berechnungen könnte es aber um ein Volumen von mindestens 250 Millionen Euro gehen. Zu Buche schlagen vor allem zwei Posten: Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in das Berufsleben, die bislang nur von den Kommunen getragen wird, will der Bund nun zu einem Drittel mitfinanzieren. Die Ausgaben für diesen in den vergangenen Jahren stark angestiegenen Etatposten belaufen sich in Hamburg derzeit nach Angaben von Scholz auf rund 390 Millionen Euro. Hier wird die Entlastung also stufenweise aufwachsend nach jetzigem Stand rund 130 Millionen Euro betragen.

Außerdem sollen die Länder in den nächsten vier Jahren der Legislaturperiode bei der Finanzierung von Krippen, Kitas und Schulen um rund sechs Milliarden Euro entlastet werden. Unter anderem soll der Ganztagsausbau von Kindertagesstätten vorangetrieben werden. Nach dem zwischen den Ländern üblichen Verteilungsschlüssel („Königsteiner Schlüssel“), der sich an der Bevölkerungszahl orientiert, stünden Hamburg zwei Prozent des Betrages zu, also rund 120 Millionen Euro.

Für den Bereich Hochschulen lässt sich die Entlastung noch nicht beziffern

Zu einer weiteren Entlastung der Länder wird es auch im Bereich Hochschulen kommen. Der Bund soll nach dem Willen von Union und SPD die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, den Hochschulpakt sowie die Exzellenzinitiative mit zusätzlich drei Milliarden Euro fördern. Wegen möglicher Komplementärfinanzierungen der Länder lässt sich die mögliche Entlastung noch nicht konkret beziffern. Doch beim Thema Hochschule gab es auch sofort Kritik. „Selten habe ich einen Text gelesen, der bei einem so wichtigen Thema wie der Grundfinanzierung von Wissenschaft so vage Aussagen macht“, sagte Prof. Michael Stawicki, Präsident der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Von zentraler Bedeutung auch für Hamburg ist aus Scholz’ Sicht die Vereinbarung zur Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 2015 an. Nach Berechnungen der Hamburger Arbeits- und Sozialbehörde dürften rund 80.000 Arbeitnehmer in Hamburg von der Neuregelung profitieren und Anspruch auf den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde haben. „Mir ist besonders wichtig, dass einzelne Branchen auch eigene Mindestlöhne oberhalb von 8,50 Euro festlegen können. Ich rechne damit, dass das auch passieren wird“, sagte Scholz.

Einen starken positiven Effekt für den Hamburger Arbeitsmarkt erwartet der Bürgermeister auch von den Regelungen, die zur Leiharbeit vereinbart wurden. Höchstens 18 Monate soll ein Leiharbeitsvertrag künftig laufen. „Danach muss dem Beschäftigten der gleiche Lohn wie fest angestellten Mitarbeitern gezahlt werden“, sagte Scholz.

„Der Konsens zur Energiewende hat für Hamburg größte Bedeutung", sagte der SPD-Politiker. „Wir stehen vor einem großen Durchbruch beim Ausbau der Offshore-Windenergie.“ Hamburg als Sitz vieler Unternehmen, die sich auf diesen Bereich erneuerbarer Energien spezialisiert haben, werde davon besonders profitieren. Ausdrücklich lobte Scholz in diesem Zusammenhang die Kooperation der norddeutschen Ministerpräsidenten und den Einsatz von Senatskanzleichef Christoph Krupp.

„Die in Hamburg eingerichteten Jugendberufsagenturen werden ein Modellprojekt für Deutschland“, sagte Scholz. Die Abschaffung des Optionszwangs bei der Wahl der Staatsangehörigkeit von in Deutschland geborenen Kindern nichtdeutscher Eltern werde sich gerade in einer Stadt wie Hamburg mit einem hohen Migrantenanteil positiv auswirken.

Weit weniger positiv bewerteten Grüne und FDP den Koalitionsvertrag. „Das ist ein Papier voller Rückschritte und Enttäuschungen und voller schwammiger Formulierungen“, sagte Grünen-Bürgerschafts-Fraktionschef Jens Kerstan. Das halbierte Ausbautempo bei den erneuerbaren Energien sei für Hamburg „eine bittere Nachricht“. „Die Große Koalition lässt für Hamburg teuren Stillstand erwarten“, sagte FDP-Fraktionschefin Katja Suding. So seien die fünf Milliarden Euro, die der Bund in den nächsten vier Jahren in Sanierung und Ausbau der Straßen und Schienen investieren will, bei Weitem zu wenig.