Millionenförderung des US-Verteidigungsministeriums an deutsche Hochschulen entfacht Debatte. Hamburger Politikerin fordert Zivilklausel

Washington/Hamburg. An der Technischen Universität in Harburg (TUHH) befassten sich zuletzt zwei Professoren und fünf Mitarbeiter damit, welche Einflüsse Wind oder Wasser auf das Ruder oder den Propeller von U-Booten haben können. Die Forscher testeten dabei Antriebssysteme in einem Windkanal. Das Projekt kostete 1,5 Millionen Euro in den vergangenen fünf Jahren, finanziert auch von den Rüstungsunternehmen ThyssenKrupp Marine Systems und Rheinmetall. Das geht aus einer Anfrage der Hamburger Grünen hervor, die dem Abendblatt vorliegt. Was die Forscher herausfinden, nützt der Containerwirtschaft und der Schifffahrt. Es nützt aber auch dem Militär. Fachleute sprechen von sogenannter Dual Use – zivil und militärisch einsetzbar. Zwei Prozent aller Forschungsprojekte haben an der TUHH diesen doppelten Nutzen.

Auch das US-Verteidigungsministerium lässt an deutschen Hochschulen und Instituten forschen. Seit dem Jahr 2000 seien über zehn Millionen Dollar (7,4 Millionen Euro) für Rüstungs- wie Grundlagenforschung an 22 Einrichtungen geflossen, berichten der Norddeutsche Rundfunk (NDR) und die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ). An der TUHH finanziere das US-Militär keine Projekte. „Mit dem US-Verteidigungsministerium haben wir nichts zu tun“, sagte Sprecherin Sarah El Jobeili dem Abendblatt. Andere Hamburger Forschungsstätten jedoch schon: So finanzierte das Pentagon ein Projekt zur Krebsforschung am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) mit 900.000 Dollar. Auch die Universität Hamburg erhielt Förderung vom Verteidigungsministerium der USA – wofür genau, bleibt unklar. Bisher hebt der Senat hervor, dass an keiner der staatlichen Hamburger Hochschulen „nach Kenntnis der zuständigen Behörde“ eine Rüstungsforschung „im eigentlichen Sinne gab und gibt“.

Andere Hamburger Hochschulen oder Forschungsinstitute gaben auf Nachfrage an, keine US-Gelder bezogen zu haben. „Das US-Verteidigungsministerium gehörte und gehört nicht zu unseren Fördermittelgebern“, sagte Udo Gawenda, Kaufmännischer Geschäftsführer des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, dem Abendblatt. „Nach Informationsstand des Präsidiums befasst sich die HAW Hamburg nicht mit militärischer Forschung. Einen Zusammenhang mit der derzeit genannten Auftragsforschung für die USA gibt es nicht“, sagte HAW-Pressesprecher Dr. Ralf Schlichting.

Anders die Universität München: Sie hat laut Recherchen von NDR und „SZ“ vom US-Pentagon 2012 mehr als 470.000 Dollar erhalten, um militärische Sprengstoffe zu verbessern. Die Fraunhofer-Gesellschaft forschte für die US-Armee an Panzerglas und an Sprengköpfen, die Universität Marburg an Orientierungssystemen für Drohnen und „präzisionsgelenkte Munition“. Zudem erhielten ein Max-Planck-Institut, die Fraunhofer-Gesellschaft, das Alfred-Wegener-Institut und ein Leibniz-Institut Mittel des US-Verteidigungsministeriums in Höhe von zusammen 1,1 Millionen Dollar.

Nun beginnt in Deutschland eine Debatte über den Umgang mit Förderung von deutschen Wissenschaftlern durch das US-Militär. Die Fraktionschefin der Hamburger Linken, Dora Heyenn, fordert eine Zivilklausel für die Hamburger Hochschulen und die Universität. „Die Hochschulen sollten sich der reinen zivilen Forschung verschreiben – und dies nicht nur mit Lippenbekenntnissen, sondern durch eine Klausel“, sagte Heyenn dem Abendblatt. Bisher haben sich verschiedene Hochschulen im Bundesgebiet der Forschung zu ausschließlich zivilen Zwecken mit einer Klausel verpflichtet. Laut Hamburger Wissenschaftsbehörde verfügen die Universität Hamburg, die TUHH und HAW über Gremien, die sich mit ethischen Fragen in der Forschung beschäftigen. Aufgrund der Freiheit von Forschung und Lehre könne eine „Zivilklausel“ jedoch nur eine begrenzte Wirkung entfalten. Insbesondere könne einzelnen Wissenschaftlern durch eine „Zivilklausel“ keine Forschung für militärische oder militärnahe Zwecke verboten werden, so die Behörde.

Hamburgs CDU-Landeschef und Bildungsexperte Marcus Weinberg warnt vor zu schnellen antiamerikanischen Reflexen. Man dürfe jetzt nicht jede Kooperation mit den USA unter Generalverdacht stellen, sagte er dem Abendblatt. „Von der engen Zusammenarbeit mit unseren amerikanischen Partnern profitiert auch der Forschungsstandort Deutschland.“

So hat die Kooperation zwischen dem Pentagon und amerikanischen wie ausländischen Universitäten eine lange Tradition. Bereits im Januar 1961 warnte US-Präsident Dwight D.Eisenhower in einer prophetischen Abschiedsrede vor einem „unbefugten Einfluss“ der Verteidigungsindustrie auf Universitäten. Damals hatte erst eine Handvoll ziviler Lehranstalten Verträge mit dem US-Verteidigungsministerium. 2007 veröffentlichte ein Wissenschaftler der Universität von Oregon, Brian Bogart, eine detaillierte Auflistung aller Universitäten im In- und Ausland, die mit dem Pentagon Verträge abgeschlossen hatten. Demnach war zwischen 2000 und 2006 ein Anstieg der Vertragsabschlüsse um satte 900 Prozent zu verzeichnen. 2006 umfasste der Gesamtwert der Verträge eine Summe von fast 47 Milliarden Dollar. Allerdings hat die Zahl der Forschungsprojekte, die als streng geheim eingestuft werden, in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen – und diese Projekte erscheinen nicht auf öffentlichen Listen.

Das Pentagon kooperierte 2006 in der Kategorie 1, bei der es um Verträge mit militärischem Forschungscharakter ging, mit 533 US-Universitäten und in der Kategorie 2, die unterstützenden wissenschaftlichen Charakter hat, mit weiteren 413. Die Kategorie 3, die Verträge mit ausländischen Lehranstalten und Universitäten umfasst, listete 161 solcher Anstalten in 33 Staaten auf, darunter neun in Deutschland, sieben in Italien, 19 in Australien, 25 in Japan, 15 in Großbritannien, 23 in Südkorea, vier in Tschechien, zehn in Taiwan und eine in Russland.

Neben dem Pentagon unterhält jede der vier amerikanischen Teilstreitkräfte – Heer, Luftwaffe, Marine und Marineinfanterie – eigene Forschungseinrichtungen. Diese sind in sechs Direktorate aufgeteilt: Computer- und Informationswissenschaften, Forschung über den Menschen und seine Arbeitswelt, Sensoren und elektronische Geräte, Überlebensfähigkeit und Letalität, Fahrzeugtechnologie sowie Waffen- und Materialforschung.

Nicht bei jedem Projekt ist auf Anhieb der militärisch nutzbare Charakter erkennbar. Das United States Army Research Laboratory hat etwa an der Universität Saarbrücken mit 126.000 Dollar ein Projekt zur mathematischen Verarbeitung von Sprachstrukturen finanziert. Es geht dabei um die rasche Erfassung von Informationen über Sprachbarrieren hinweg. Derartige Modelle können bei der Entwicklung von amerikanischer Abhörtechnologie für den Einsatz im Ausland Anwendung finden. Einen klaren militärischen Bezug hat das von der US-Luftwaffe mit gut 68.000 Dollar kofinanzierte Projekt der Universität Marburg „Nächtliche visuelle Orientierung von Fluginsekten: Ein Richtwert für die Entwicklung von sichtbasierten Sensoren für Mikro-Luftfahrzeuge“. Offenbar geht es hier um die Entwicklung von winzigen Drohnen für die militärische Luftüberwachung. Beteiligt an dem Projekt ist auch die europäische Behörde für die Forschung in der Luft- und Raumfahrt.