Brüssel untersucht den hohen Exportüberschuss. Koalitionsunterhändler weisen Vorstoß der EU-Kommission zurück

Brüssel/Berlin. Brüssel und Berlin geraten wegen der riesigen deutschen Exportüberschüsse aneinander. Die EU-Kommission will bis zum Frühjahr ermitteln, ob der Überschuss ein wirtschaftliches Ungleichgewicht und damit ein Problem für die ganze Euro-Zone darstellt. Die Behörde fordert von einer neuen Großen Koalition, das Wachstum anzukurbeln und offene Märkte zuzulassen. Ein Verfahren eröffnete die Kommission vorerst nicht. Deutschland muss im Falle eines Verstoßes gegen EU-Regeln eine Milliardenstrafe fürchten.

Die angehenden Koalitionspartner in Berlin wiesen den Brüsseler Vorstoß umgehend zurück. Die Exportstärke sei „ein Eckpfeiler unseres Wohlstandes“, erklärte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Sein CSU-Kollege Alexander Dobrindt betonte: „Man kann Europa nicht stärken, indem man Deutschland schwächt.“ Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, sie sehe keinen Handlungsbedarf.

Auch die „Wirtschaftsweisen“ wiesen die Kritik an den deutschen Handelsüberschüssen mehrheitlich zurück. Die Regierung entscheide nicht über Exporte oder Importe: „Man sollte dem Markt seinen Raum lassen“, sagte Ökonom Volker Wieland. Sein Kollege Lars Feld sagte indes, es sei richtig, dass es mehr private Investitionen geben müsse. Die Diskussion über höhere Steuern, Mietpreisbremse oder Mindestlöhne schrecke Investoren jedoch ab. Der gewerkschaftsnahe „Weise“ Peter Bofinger betonte, der hohe Leistungsbilanzüberschuss sei problematisch, weil sehr viel Geldvermögen angehäuft und zu wenig öffentlich und privat investiert werde. „Wir sparen sehr viel, und das Ersparte wird in ausländischen Geldanlagen angelegt.“

Bundesbankpräsident Jens Weidmann mahnte, die Antwort könne nicht sein, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu verschlechtern oder schuldenfinanzierte Strohfeuer zu zünden: „Sie kann nur darin liegen, die Wettbewerbsrückstände in den Defizitländern zu beseitigen und in Deutschland das Wachstum auf eine breite Basis zu stellen.“

Deutschland – Nummer vier der Weltwirtschaft und hinter China Export-Vizeweltmeister – hat 2012 Waren im Wert von 1097 Milliarden Euro ins Ausland verkauft. Dem standen Importe von 909 Milliarden Euro gegenüber – ein Handelsüberschuss von 188 Milliarden Euro.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso unterstrich, es gehe nicht darum, die größte Volkswirtschaft der Euro-Zone zu schwächen: „Es ist sehr gut für Europa, dass Deutschland solch eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft bleibt. Wir bräuchten mehr Deutschlands in Europa.“ Der Portugiese forderte Deutschland aber auf, mehr für das Wachstum zu tun. EU-Währungskommissar Olli Rehn sagte, es gehe auch darum, dass viele Deutsche ihre Ersparnisse im Ausland anlegten. „Die Frage ist, ob das effizient ist, auch aus der deutschen Perspektive.“

Ein Verfahren wegen wirtschaftlicher Ungleichgewichte könnte die Kommission frühestens im kommenden Jahr eröffnen. In letzter Konsequenz droht ein Bußgeld von 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bei einem Bruttoinlandsprodukt Deutschlands von über 2,6 Billionen Euro (2012) würde eine Milliardenstrafe fällig. Die verstärkte Wirtschaftsüberwachung wurde von den EU-Staaten nach den schweren Turbulenzen der Euro-Schuldenkrise eingeführt. Es soll verhindert werden, dass insbesondere im gemeinsamen Währungsgebiet Volkswirtschaften immer weiter auseinanderdriften.

Während die Wirtschaftsweisen in der Frage des Exportüberschusses sich schützend vor die Exporteure stellten, meldeten sie sich am Mittwoch mit solch geballter Kritik an der deutschen Politik wie seit Jahren nicht mehr zu Wort. Zentrale Pläne der angestrebten Großen Koalition werden von ihnen im Jahreswirtschaftsgutachten, das sie am Mittwoch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übergaben, zerpflückt. Das Gutachten ist eine Art Generalabrechnung mit den Ideen beider Parteien.

Die Regierungsberater richten einen Appell an die schwarz-roten Verhandlungspartner, die Reformen der Agenda 2010 nicht zu verwässern. Heftige Kritik üben die Ökonomen an den Arbeitsmarktplänen. Ein Mindestlohn sei als „wachstums- und beschäftigungsfeindlich“ abzulehnen. Auch alle Rentenpläne, das Betreuungsgeld, mögliche Steuererhöhungen und die Mietpreisbremse sind in den Augen der Wirtschaftsweisen schädlich.

Merkel sagte zu, die harte Kritik der Top-Ökonomen in den weiteren Koalitionsverhandlungen zu berücksichtigen. Sie stellte aber auch klar: Nicht alle Forderungen könnten eins zu eins umgesetzt werden.