Eine mögliche künftige Koalition von Union und SPD rüttelt am Ausbau der Windenergie. Gewerkschaften und Grüne greifen geplante Kürzungen bei der Windkraft an – Kritik kommt auch von SPD-Politikern.

Hamburg/Berlin. Auf der Nordsee weht ein stetiges Lüftchen, sodass die Windrotoren rund um die Uhr Strom liefern – an 350 Tagen im Jahr. Die Bundesländer im Norden haben große Pläne beim Ausbau der Windkraft auf dem Meer. Für sie ist das wie ein Konjunkturprogramm. Bislang wurden rund zehn Milliarden Euro in den Ausbau der Offshore-Windenergie investiert. Mindestens die gleiche Summe steht noch einmal an. Die Branche beschäftigt rund 18.000 Mitarbeiter.

Eine mögliche künftige Koalition von Union und SPD rüttelt nun am Ausbau der Windenergie: Damit die Kosten für die Energiewende für den Verbraucher nicht weiter steigen, wollen die Parteien die Förderung von Windstrom drastisch senken. Der Ausbau neuer Windparks an der Küste von Nord- und Ostsee soll bis 2030 fast halbiert werden. Bis 2020 sollen Windenergieanlagen mit einer Leistung von nur noch 6500 Megawatt offshore errichtet werden – ursprünglich waren 10.000 Megawatt eingeplant. Ziel sei es, den Anstieg der Strompreise zu bremsen. Zudem sollen teure Industrie-Rabatte überprüft werden. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) wertet die Pläne als Erfolg. Die Energiewende werde nun „planbarer, berechenbarer und auf Dauer bezahlbar“.

Doch aus dem Norden kommt Kritik. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) lehnt eine Drosselung des Windenergieausbaus auf See ab. „Je weniger Windkraft auf See wir haben, desto mehr und desto länger brauchen wir konventionelle Kraftwerke. Das kann nicht unser Ziel sein.“ Bei der Windkraft an Land könne die Förderung hingegen gedrosselt werden. Das entspreche dem technischen Fortschritt. Schlechte Windstandorte mehr zu fördern als gute sei volkswirtschaftlicher Unsinn.

Die Gewerkschaft IG Metall Küste fordert die norddeutschen Bundesländer auf, sich in den Berliner Koalitionsverhandlungen für einen ungebremsten Ausbau der Offshore-Windkraft starkzumachen. „Die angekündigte Drosselung ist ein vollkommen falsches Signal für die Küste“, sagte Bezirksleiter Meinhard Geiken. Und die Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, sagte der Zeitung „Frankfurter Rundschau“, dass der Strompreis durch die Maßnahmen „so gut wie gar nicht sinken“ werde, da der größte Teil der Preissteigerungen auf Ausnahmen für die Industrie und gesunkene Börsenpreise zurückgehe.

Derzeit treffen sich SPD und Union in Arbeitsgruppen und beraten die Ziele eines möglichen Koalitionsvertrags. Nicht alles wird in den Arbeitsgruppen schon entschieden – sie sind aber Wegweiser für die Politik einer möglichen schwarz-roten Koalition. Doch in der Energiepolitik sind die Linien unter den Bundesländern und auch innerhalb der Parteien unterschiedlich: Baden-Württemberg und Bayern setzen stark auf Solarenergie, der Westen sieht Kohlekraft weiterhin als wichtige Säule der Stromversorgung in Deutschland, die SPD-regierten nördlichen Bundesländer dagegen stellen die Windenergie in den Mittelpunkt.

Auffällig ist, dass innerhalb der SPD-Politiker in der Arbeitsgruppe Energie eine starke Fraktion für den Ausbau der Kohlestrom steht – allen voran Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Dort plant der Energieriese RWE ein neues Braunkohlekraftwerk. Die SPD-Politikerin führt die Verhandlungsgruppe in Berlin an. Aber auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und der saarländische Wirtschaftsminister Heiko Maas gelten in der SPD als Hüter der bestehenden Kohlekraftwerke. So sehr wie sich der Norden Arbeitsplätze und Investitionen von der Windenergie verspricht, setzen Brandenburg und Nordrhein-Westfalen stärker auf Kohleverbrennung.

Nun sieht es so aus, als habe sich der Norden bei den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen können. Dabei hatten Politiker und Wirtschaftsentscheider aus den nördlichen Bundesländern immer wieder die Bedeutung der Windkraft für die Energiewende hervorgehoben. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) äußerten sich am Montag nicht zu den konkreten Plänen einer schwarz-roten Koalition. Horch hob noch einmal die Bedeutung der Windkraft für den Standort Hamburg und das Gelingen der Energiewende hervor: „Ohne Offshore Windenergie wird die Energiewende nicht funktionieren.“

Der Senat werde den Vorsprung beim Wissen vieler Unternehmen im Norden weiter unterstützen, sagte Horch dem Abendblatt. Noch im Sommer hatte der Senator scharfe Kritik an der Bundesregierung von Union und FDP geübt. So hätte die Hamburger Sietas Werft gerettet werden können, wenn sich Schwarz-Gelb „klar zur Offshore-Windenergie bekannt hätte“.

Obwohl die bei den Koalitionsverhandlungen geplante Kürzung der Windenergie-Förderung auch Niedersachsen trifft, hält Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) den Kurs für vertretbar. „Die Energiewende muss bezahlbar bleiben. Deshalb sind Anpassungen in diesem Bereich gut vertretbar“, sagte er. Dass es bei der inzwischen sehr effizienten Windkraft an Land zum Teil bereits eine staatliche Überförderung gebe, lasse sich kaum bestreiten.

Auch Schleswig-Holsteins Energieminister Robert Habeck unterstützte die geplante Senkung der Vergütungen an guten Windstandorten an Land. Für Schleswig-Holstein würde das zwar weniger Gewinne bedeuten, aber der Ausbau ginge trotzdem weiter, sagte der Grünen-Politiker. Andere Grüne wie der neue Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, warnten dagegen, den Ausbau der erneuerbaren Energien abzuwürgen.