Union und SPD wollen zügig ein Gesetz beschließen, damit die Beiträge nicht sinken – und ihre Wahlversprechen finanziert werden können

Berlin. Rund 52 Prozent der Wahlberechtigten sind älter als 50 Jahre. Keine andere Wählergruppe ist damit so mächtig wie die ältere Generation. Sie entscheidet maßgeblich darüber, wer in Berlin und den 16 Bundesländern an den Schalthebeln der Macht sitzt.

Deshalb will sich die potenzielle schwarz-rote Koalition mit den künftigen und heutigen Rentnern gut stellen. Bereits im Wahlkampf gingen Union und SPD mit milliardenschweren Wahlgeschenken für Senioren auf Stimmenfang. Mütterrente, Erwerbsminderungsrente, Mindestrente – die Liste konnte gar nicht lang genug sein.

Und anders als in anderen Politikfeldern sieht es nach den ersten Koalitionsverhandlungen so aus, als ob die Rentenversprechen Realität werden. Und zwar alle auf einmal. Für die Beitragszahler wird das wohl bald Folgen haben. Dank der prall gefüllten Rentenkasse müsste der Beitragssatz zur Rentenversicherung zum neuen Jahr sinken. Doch um all die neuen Leistungen zu finanzieren, wollen die potenziellen Koalitionspartner CDU, CSU und SPD die Beitragssenkung gesetzlich verhindern. Aus der Opposition hagelt es Kritik. Und Ökonomen sprechen von einem Dammbruch. Dank hoher Beschäftigung und guter Lohnentwicklung verfügt die Rentenkasse über dicke Polster. Davon sollen auch die Beitragszahler was haben. Nach gültigem Rentenrecht muss der Beitragssatz sinken, wenn die Finanzreserve das Eineinhalbfache einer Monatsausgabe übersteigt.

Nach Berechnungen der Experten dürfte die Rücklage bis Jahresende auf rund 31 Milliarden Euro anschwellen. Das entspricht 1,75 Monatsausgaben der Rentenversicherung. Damit wäre zum Jahresende eine Absenkung um 0,6 Prozentpunkte auf 18,3 Prozent möglich. Das würde Arbeitnehmer und Arbeitgeber um zusammen sechs Milliarden Euro jährlich entlasten. Ein Durchschnittsverdiener hätte im Jahr etwa 90 Euro mehr in der Tasche.

Doch daraus wird wohl nichts. Statt die automatische Senkung abzusegnen, will Schwarz-Rot sie gesetzlich verhindern. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hatte bereits angekündigt, dass „es eine weitere Senkung der Rentenbeiträge derzeit nicht geben kann, wenn wir wirksamen Schutz vor Altersarmut bieten wollen“. Die SPD begrüßte den Vorstoß. „Gröhe hat recht, wenn er die Absenkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung nicht für vordringlich erachtet“, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Die 17 Unterhändler der Renten-Arbeitsgruppe sollen sich weitgehend einig sein, die Beiträge auf hohem Niveau zu lassen und somit finanzielle Spielräume in der Rentenversicherung zu erhalten.

Denn der wird für die Umsetzung der teuren Wahlversprechen gebraucht. So will die Union Mütter durch die Anrechnung von Erziehungszeiten besserstellen, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben. Vor allem die Frauen-Union beharrt darauf, dass es ungerecht sei, dass ältere Mütter nur ein Erziehungsjahr bei der Rente angerechnet bekommen, die jüngeren Frauen hingegen drei Jahre. Verschwiegen wird allerdings von den Verfechtern der Mütterrente, dass die heutigen Rentnerinnen bei der Hinterbliebenenversorgung weitaus besser dastehen als die künftigen Rentnerinnen. Schließlich gelten heute schärfere Regelungen bei der Witwenrente. Auch wurde die Aufwertung niedriger Renten über die Rente nach Mindestentgeltpunkten 1991 abgeschafft, eine Regelung, von der zuvor gleichfalls in erster Linie Frauen profitiert haben. Allein die Mütterrente schlägt mit mindestens 6,5 Milliarden Euro jährlich zu Buche.

Die ebenfalls als sicher geltenden Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sollen zu Beginn 7,5 Milliarden pro Jahr kosten. Die Sozialdemokraten drängen zudem auf Ausnahmen bei der Rente mit 67. Wer 45 Versicherungsjahre vorweisen kann, soll künftig schon mit 63 Jahren in Rente gehen können. Kostenpunkt: drei bis fünf Milliarden Euro jährlich.

Einig sind sich beide Parteien darin, die Renten von Geringverdienern aufzustocken. Die SPD-Pläne einer Solidarrente sehen eine Untergrenze von 850 Euro nach 45 Versicherungsjahren vor. Die Union will eine Lebensleistungsrente, die nach 40 Jahren gewährt werden soll, allerdings unter der Bedingung, dass der Betroffene auch privat für sein Alter vorgesorgt hat. Kosten: rund 15 Milliarden Euro jährlich.

Alles in allem könnten sich die Rentenpläne von Schwarz-Rot auf 30 Milliarden Euro belaufen. Eine Absenkung des Rentenbeitrags kann sich die potenzielle neue Bundesregierung da nicht leisten. Sie will deshalb die automatische Absenkung zum Jahresende verhindern. Viel Zeit bleibt Union und SPD dafür aber nicht. Eine rückwirkende Erhöhung der Rentenbeiträge im kommenden Jahr wäre nicht nur aufwendig, sondern sähe auch nicht gut aus. Dann würde Schwarz-Rot als eine der ersten Entscheidungen gleich die Beitragszahler zur Kasse bitten.

Politisch lässt sich ein Einfrieren der Rentenbeiträge besser verkaufen. Überdies gilt unter Politikern das taktische Gebot: Belastungen den Wählern lieber am Anfang der Legislaturperiode als am Ende zuzumuten. Um die Absenkung des Rentenbeitrags zu verhindern, muss aber ein Gesetz bis Jahresende her. Noch während ihrer Koalitionsverhandlungen erwägen CDU/CSU und SPD ein Hauruckverfahren. Denn während der Koalitionsverhandlungen sind keine Sitzungen des Bundestags geplant. Wahrscheinlich wird das Parlament erst nach dem 16. Dezember zusammenkommen. Der Bundestag müsste das Gesetz dann innerhalb von drei Tagen über die Bühne bringen. Denn am 19. Dezember tagt letztmalig der Bundesrat in diesem Jahr.

In der Union sind die Pläne, den Beitragssatz einzufrieren, umstritten. So zeigte sich Nordrhein-Westfalens CDU-Landtagsfraktionschef Karl-Josef Laumann skeptisch. „Absenkungen – so weit sie möglich sind – sollte man schon machen“, sagte Laumann. Auch im Wirtschaftsflügel der Union treffen die Pläne auf heftigen Widerstand.

So beharrt die Mittelstandsvereinigung der Union (MIT) darauf, dass die Überschüsse in der Rentenkasse eigentlich den Unternehmen gehörten. Schließlich habe die rot-grüne Regierung vor zehn Jahren beschlossen, dass die Betriebe die Sozialabgaben vor Monatsende an die Rentenkasse abzuführen haben. Insbesondere für Mittelständler sei diese Vorfälligkeit ein Ärgernis, sagt MIT-Chef Carsten Linnemann. Denn in vielen Betrieben sei erst am letzten Tag im Monat klar, wie hoch die Sozialabgaben seien. Wenn zu viel oder zu wenig überwiesen werde, sei die Korrektur mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden. Die Mittelstandsvereinigung bestehe auf ihrer Forderung, zurück zur ehemaligen Regelung zu kommen. „Die Vorfälligkeit war in wirtschaftlich schlechten Zeiten eingeführt worden. Es handelt sich um einen Kredit, den die Wirtschaftsunternehmen der Rentenkasse gewähren. Das muss zurückgegeben werden“, so Linnemann. Dies wäre mit den Überschüssen der Rentenkasse finanzierbar.

Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, meint, Altersarmut bekämpfe man über Beschäftigungsaufbau und gute Investitionsbedingungen. „Dazu gehören niedrige Beiträge und Steuern. Der Verzicht auf die Senkung des Rentenbeitrags ist doppelt falsch.“