Deutsche Geheimdienste sind in ihren Möglichkeiten begrenzt und abhängig von den USA. Das wird sich nicht ändern

Berlin. Während sich deutsche Politiker von Regierung und Opposition über die Spähangriffe des US-Geheimdienstes NSA empören, betrachten die hiesigen Geheimdienste die Debatte mit gemischten Gefühlen. Grund dafür ist eine seit Jahrzehnten bestehende, fast hilflose Abhängigkeit von amerikanischen Partnern. Die hat sich in vielen Fällen bewährt – zum Preis, dass man inzwischen auch zum Opfer geworden ist. Wenn die deutschen Nachrichtendienste wissen wollen, welche Terrorverdächtigen gerade einreisen oder welche Spione sich in der Bundesrepublik aufhalten, sind sie in vielen Fällen auf Informationen der amerikanischen Geheimdienste angewiesen. Sie verfügen selbst weder über die technischen, personellen oder rechtlichen Voraussetzungen, um im internationalen Maßstab umfassend tätig zu sein.

Der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) August Hanning hatte bereits 2008 gefordert, alle technischen Kompetenzen der deutschen Nachrichtendienste, des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei am Standort Köln zusammenzulegen. Das wäre dann eine Behörde nach dem Vorbild der NSA, bei der die technische Aufklärungskompetenz der USA gebündelt ist. Unterstützt wurde er vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Das Projekt scheiterte an politischem Widerstand. BND-Chef Gerhard Schindler sagte jüngst auf einer Nachrichtendienstkonferenz: „Die internationale Zusammenarbeit ist Alltag, ist Routine geworden. Wir haben gemeinsame Operationen, wir tauschen unsere Analysen aus und manchmal auch unsere Rohdaten.“ Ohne die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Geheimdiensten könne der BND seinen gesetzlichen Auftrag nicht einmal mehr ansatzweise erfüllen: „Die anderen westlichen Dienste im Übrigen auch nicht.“

Und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesbehörden, die für die Spionageabwehr verantwortlich sind, müssen nach wie vor auf Informationen der US-amerikanischen Geheimdienste setzen. Die 2007 im Sauerland verhaftete Gruppe von islamistischen Terrorverdächtigen oder die Enttarnung des russischen Agentenpaares Anschlag, das mehr als 20 Jahre illegal in Deutschland gelebt hatte, wäre ohne die Hilfe der Dienste aus Übersee nicht möglich gewesen. Dass die Bündnispartner diese Informationen nur haben konnten, weil sie über ganz andere technische Fähigkeiten verfügten, war den Deutschen längst klar. Auch wenn die Namen der Spähprogramme, wie beispielsweise Prism, möglicherweise nicht bekannt waren, gab es keine Zweifel an den Fähigkeiten der Briten und Amerikaner. Neu ist lediglich die Dimension.

Dennoch hatte der Verfassungsschutz die Bündnispartner als mögliche Spione nicht im Fokus. Man konzentrierte sich beispielsweise auf China, Russland und Iran. Zudem tarnt sich die NSA bei ihren Spionageaktivitäten offenbar so gut, dass den deutschen Sicherheitsbehörden vor der NSA-Affäre kaum konkrete Belege für Spähangriffe aus den USA vorlagen. Diese lieferten erst die Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden im Laufe dieses Jahres.

Wer glaubt, dass sich an dem internationalen Zusammenspiel nun durch die Empörung über den amerikanischen Bündnispartner etwas ändern könnte, dürfte sich getäuscht sehen. Die deutsche Seite hat kein ernsthaftes Interesse daran, die derzeitige Kooperation aufzukündigen. Oder wie es Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen im August in einem Interview zusammenfasste: „Es gibt auch angesichts einer derzeit aufgeregt geführten Debatte keinen Anlass, die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Partnern in den USA und Großbritannien grundsätzlich infrage zu stellen.“ Angesichts der neuen Erkenntnisse könnte sich die Kritik vor allem auf Maaßens Bundesamt für den Verfassungsschutz und die Landesämter konzentrieren, nachdem der Inlandsgeheimdienst bereits bei den Mordanschlägen der rechtsradikalen Terrorgruppe NSU versagt hatte. Allerdings war ein engagiertes Vorgehen gegen die amerikanischen Angriffe weder gewollt noch technisch möglich.

Zudem dürften die Enthüllungen Snowdens dazu führen, dass die Kommunikation unter Politikern und Geschäftsleuten sich weltweit verändert. „Wer über sensible Informationen verfügt, muss wissen, dass diese niemals elektronisch kommuniziert werden sollten“, erklärt ein Verfassungsschützer. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Kanzlerin Merkel derartig intensiv ihr Handy nutzen konnte. Die Kanzlerin ist bekannt dafür, gern über Kurznachrichten (SMS) zu kommunizieren. Gerade diese sind leicht abzufangen. Entweder war die Kanzlerin nicht richtig informiert, oder sie hat Sicherheitsbedenken ignoriert. Während sich die politische Empörung derzeit auf den Bündnispartner konzentriert, beobachtet die deutsche Spionageabwehr seit Jahren einen starken Anstieg der Aktivitäten der chinesischen und russischen Geheimdienste. So ist bekannt, dass der chinesische Nachrichtendienst mithilfe von Hackern im Regierungsnetz der Bundesregierung immer noch spioniert. Die Chinesen gelten in manchen technischen Bereichen inzwischen sogar als versierter als die amerikanischen Geheimdienstler.