Merkel belauscht von Obamas Agenten. Das Unvorstellbare scheint Wirklichkeit. Analyse eines politischen Desasters

Hamburg. Es ist der wohl gravierendste Vertrauensbruch in der Nachkriegsgeschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten – und er berührt das ganz persönliche Verhältnis von zwei der wichtigsten politischen Führer der Welt zueinander: Angela Merkel, offensichtlich belauscht vom Geheimdienst des Barack Obama. Das sollen Freunde sein?

Das in gedrechselten Formulierungen vorgetragene Dementi aus Washington, man spähe derzeit das Handy der Kanzlerin nicht aus und werde dies auch in Zukunft nicht tun, verstärkt eher den Verdacht, dass die deutsche Regierungschefin zumindest in der Vergangenheit abgehört wurde. Für Merkel, die einen erheblichen Teil ihres politischen und privaten Nachrichtenaustauschs per Mobiltelefon bewältigt, ist das Handy – auch das in diesem Fall betroffene CDU-Parteihandy – Teil einer kommunikativen Intimzone. Aufgewachsen in einem Staat, der „das Leben der anderen“ notorisch ausspähte, dürfte Merkel nun ganz persönlich vom US-Präsidenten enttäuscht sein. „Wer braucht denn noch Feinde, wenn er solche Verbündeten hat?“, brachte es der Londoner „Guardian“ auf den Punkt.

Die „New York Times“ sorgt sich um schwere Schäden in den deutsch-amerikanischen Beziehungen: Schon nach den Enthüllungen über die Ausspähung von Abermillionen Deutschen hätten hochrangige Vertreter der Berliner Regierung zur Vorsicht in der weiteren Kooperation mit den USA gewarnt. Inzwischen hat sich auch die Bundesanwaltschaft eingeschaltet, was dem Skandal eine offizielle rechtliche Komponente verleiht.

Für Obama, der von einer ungehaltenen Merkel angerufen wurde – und vorher bereits den Zorn der ebenfalls abgehörten Präsidenten von Frankreich, Brasilien und Mexiko zu spüren bekam – ist der Vorgang ein Desaster. Mitten in einer finanziellen und politischen Krise verliert er das Vertrauen seiner wichtigsten Partner, die sich als Feindstaaten behandelt fühlen.

Die Frage ist nun, inwieweit Obama die Machenschaften der NSA deckt oder ob die NSA sich längst der politischen Kontrolle entzogen hat. Die aus 17 Geheimdiensten bestehende US-„Intelligence Community“ sammelt offiziell Daten zur Terrorabwehr: ein schwer zu entkräftendes Argument in den von 9/11 traumatisierten USA. Ein fast paranoider Sicherheitswahn hat die Supermacht zu einer sehr offensiven Auslegung der eigenen Interessenlage geführt, in der die Verletzung der souveränen Rechte anderer Staaten von untergeordneter Bedeutung ist.

Obama wird Entgegenkommen signalisieren – aber einen Stopp der NSA-Spionage wird es nicht geben. Doch auch für Merkel ist der Skandal ungemütlich. Man kann ihr den Vorwurf machen, sie habe nicht reagiert, als Millionen Deutsche betroffen waren – sondern erst, als es sie selbst traf.