Union und Grüne piesacken sich vor dem entscheidenden Gespräch über eine mögliche Koalition noch ein wenig. Bei moderaten Verhandlungsführern wie Kretschmann oder Özdemir stünden die Chancen besser als bei einem Hardliner wie Trittin.

Berlin. Am Donnerstag sondieren CDU/CSU und Grüne die Möglichkeit, eine gemeinsame Bundesregierung zu bilden. Diese Woche muss also die Woche der schwarz-grünen Annäherung werden, hoffen die wenigen Fans dieser Konstellation bei den Grünen – und die schon zahlreicheren Anhänger des Bündnisses in der Union. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Horst Seehofer gehört nicht zu ihnen, das machte er am Montag auf recht robuste Art deutlich.

Kaum hatte die Woche begonnen, meldete die „Bild“ nämlich: Schon am Freitag treffe sich Seehofer gemeinsam mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel erneut mit der SPD. Eine doppelte Brüskierung: einmal den Grünen gegenüber, denn die schwarz-grüne Sondierung würde damit zu einem Pflichttermin herabgestuft, den man nur hinter sich bringen müsse, bevor man wieder mit dem eigentlichen Wunschpartner, der SPD, verhandele. Die zweite Brüskierung ging gegen eine Sozialdemokratin: Hannelore Kraft, führende Skeptikerin gegen eine Große Koalition, wäre ausgeschlossen. Ihr Gegenpart, der konstruktivere Parteivorsitzende Sigmar Gabriel zum Alleinansprechpartner geadelt.

Der Rempler aus München kam gar nicht gut an. „Es gibt keine Verabredung zu einem solchen Treffen am Freitag“, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles verärgert. Und sogar aus dem Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Zentrale, kam zunächst ein Dementi. Doch Seehofer bestätigte den Termin: „Es ist in den Sondierungen vereinbart worden, dass sich auch die drei Parteivorsitzenden einmal treffen werden – und dabei bleibe ich.“ Schließlich lenkte man CDU-seitig ein. Er könne den Termin weder bestätigen noch dementieren, erklärte Generalsekretär Hermann Größe, vielleicht sei er „informell“. Tatsächlich haben sich Seehofer, Merkel und Gabriel wohl darauf verständigt, sich am Freitag auszutauschen – der bayerische Ministerpräsident ist an diesem Tag für eine Bundesratssitzung sowieso in Berlin. Das Sandkastenspielchen hatte eine Botschaft: Die Grünen sind nur zweite Wahl.

Das hat nicht allen gefallen – auch in der CDU nicht. Die im Parteipräsidium tagenden Spitzenpolitiker bekräftigen einander nämlich während und am Rande der Sitzung darin, dass sie Schwarz-Grün ernsthaft sondieren wollen. Die ideologischen Gräben zur Ökopartei sind zugeschüttet. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier verweist bei dieser Frage immer auf Fulda. Der Stadt- und Kreisverband des hessischen Städtchens gilt unionsintern wahlweise als „hundertprozentig nicht sozialismusverdächtig“ oder „schwärzer als schwarz“. Aber eben diese Fulda-CDU hat sich jetzt in Person ihres Bürgermeisters und Stadtverbandsvorsitzenden Wolfgang Dippel für Schwarz-Grün ausgesprochen. Landespolitiker wie Julia Klöckner, Armin Laschet oder Thomas Strobl wollen unbedingt bündnisfähig werden, schon um nach dem Ableben der FDP nicht strukturell gegen eine rot-grüne Mehrheit zu stehen. Anderen, wie etwa Umweltminister Peter Altmaier, gilt das Anbändeln mit den ehemaligen Feinbildern als wichtiger Schritt in die „bürgerliche Moderne“, in die sie die Union führen wollen.

Befürchtung wegen Hardliner Trittin

Unionsintern wird als entscheidend angesehen, wie sich die Grünen am Donnerstag in der Sondierung geben. Übernähme ein moderater Politiker wie Winfried Kretschmann oder Cem Özdemir die Gesprächsführung, könne man Gemeinsamkeiten ausmachen, sich gegenseitig guten Willen attestieren und – genau wie mit der SPD – einen zweiten Sondierungstermin vereinbaren. Führt jedoch ein Hardliner wie Jürgen Trittin das Wort, könne er mit der Beharrung auf der Abschaffung des Betreuungsgeld oder Steuererhöhungen rasch eine Sollbruchstelle erreichen. In diesem Fall werde es kein Wiedersehen geben.

Am Montag war noch klar, wer für die Grünen spricht: die scheidende Parteichefin Claudia Roth, wenn auch zum letzten Mal. Roth vergoss deswegen ein paar Tränchen. Auf Seehofers taktische Terminspielchen ging sie nur kurz ein: „Unser Selbstbewusstsein hängt ja nicht davon ab, wer sich am Rande des Bundesrats trifft.“ In die Sondierung gehe man „ernsthaft und gut vorbereitet“, sagte Roth. „Wir sagen aber nicht: Regieren ist per se gut. Wir gucken, wo gibt es Übereinstimmungen. Und da sind die Wege sehr weit.“ Roth, Wortführerin des linken Grünen-Flügels, sperrte sich gegen Abstriche am Grünen-Wahlprogramm etwa in der Steuerpolitik – und begründete dies sehr grundsätzlich: „Unsere Partei hat noch nie so einheitlich ein Programm erarbeitet.“ Roth verwies dabei auf die rund 2600 Änderungsanträge, die auf dem Parteitag Ende April bei der Erstellung des Wahlprogramms berücksichtigt worden waren. „Mitnichten gibt es eine Abkehr.“

Mit acht, womöglich sogar neun Vertretern wollen die Grünen in die Sondierung ziehen, kündigte Roth an: Unter Leitung der Parteidoppelspitze aus Roth und Cem Özdemir werden die beiden Ex-Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin mit verhandeln sowie der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann, die nordrhein-westfälische Vize-Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann sowie die scheidende Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke und die beiden Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, die am Dienstag gewählt werden. CDU und CSU bieten dagegen je sieben Unterhändler auf. Kraftstrotzend sollen die Grünen auftreten, so Roths Kalkül. Doch das wäre nicht mehr als eine Fassade. Bei den Grünen stehe nun eher eine Phase der Konsolidierung und des Neuaufbaus an, sagte Hessens Grünen-Landtagsfraktionschef Tarek Al-Wazir. „Ich glaube, da ist unsere Bundespartei momentan nicht in der Verfassung, in der man sein müsste, um einen solchen Weg zu gehen.“ Tatsächlich kostet die Neuausrichtung die Partei viel Kraft: Seit fast zwei Wochen liefern sich die Ex-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt und die Wirtschaftsexpertin Kerstin Andreae per Zeitungsinterviews und Fernsehauftritten ein Fernduell um den für die Realos reservierten Platz in der Doppelspitze der Grünen-Bundestagsfraktion. Andreae gilt als kompatibler mit Unions-Positionen als Göring-Eckardt. Die 44-jährige Baden-Württembergerin Andreae war schon vor Monaten gegen die Grünen-Steuererhöhungspläne für das Wahlprogramm aufgestanden. Göring-Eckardt dagegen hatte das Wahlprogramm als Spitzenkandidatin bis zum Wahlabend mit Verve vertreten

In der Grünen-Delegation gibt es aber auch Verwerfungen zwischen Trittin und Kretschmann. Die beiden streiten seit Tagen über Trittins Mitschuld an der Wahlniederlage der Grünen. Kretschmann wird von vielen in der Union als Hauptansprechpartner für die Anbahnung von Schwarz-Grün betrachtet. Roth nannte ihn aber lediglich „einen wichtigen Grünen-Politiker“.