Der SPD-Vorsitzende baut Brücken zum potenziellen Koalitionspartner Union

Berlin. Es war im August, inmitten des Wahlkampfes, als der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel befand: „Ich finde Steuern zahlen nicht sexy.“ In einer konzertierten Aktion relativierten Gabriel und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück das Vorhaben ihrer Partei, diverse Steuern zu erhöhen. Das Wahlprogramm und noch mehr das ihm zugrunde liegende Steuerkonzept, hieß es seinerzeit bei der SPD, sei eben zu einer Zeit formuliert worden, als die Steuern noch nicht derart sprudelten wie zuletzt.

Nun, zwei Tage nach dem ersten Sondierungsgespräch zwischen Union und SPD, baute Gabriel mit einem Interview in der „Bild am Sonntag“ dem potenziellen Koalitionspartner eine Brücke. Seine Partei habe im Wahlkampf gesagt, dass „die Steuern sehr wohlhabender Bürger etwas erhöht werden müssen“. Gabriel fügte hinzu: „Für uns sind Steuererhöhungen kein Selbstzweck. Wenn CDU/CSU das nicht wollen, müssen sie erklären, welche Alternativen es dann zur Finanzierung dieser Aufgaben gibt.“

Im SPD-Wahlprogramm liest sich das ganz anders. „Steuerpolitik ist für uns Gesellschaftspolitik“, heißt es darin. Steuerpolitik begreife man „als ein wichtiges Mittel, das solidarische Miteinander in unserem Land zu ermöglichen und zu fördern und der sozialen Spaltung entgegenzuwirken“. Die SPD verlangt bislang offiziell, den Spitzensteuersatz von 42 bzw. 45 Prozent auf 49 Prozent für zu versteuernde Einkommen ab 100.000 Euro (Singles) und 200.000 Euro (Ehepaare) zu erhöhen. Sie kündigte an: „Wir werden die Vermögenssteuer auf ein angemessenes Niveau heben.“ Bei der Erbschaftssteuer wolle man „die missbräuchliche Ausnutzung von steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten einer geringen Zahl reicher Erben nicht länger hinnehmen“. Zudem verlangt das SPD-Wahlprogramm, die Abgeltungssteuer von 25 auf 32 Prozent zu erhöhen. Nötig sei zudem „eine Finanztransaktionssteuer mit einer möglichst breiten Bemessungsgrundlage“.

Die diversen Steuerpläne seien in einer möglichen schwarz-roten Koalition nicht durchsetzbar, hieß es schon vor der Wahl in SPD-Kreisen. Ein höherer Spitzensteuersatz gilt als der wichtigste Hebel, nicht zuletzt, um die eigenen Truppen zu befrieden. Höhere Einkommenssteuern für Spitzenverdiener hatten auch schon CDU-Politiker wie die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer gefordert. Die üblich vieldeutigen Signale von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) kurz nach der Wahl wurden in der SPD daher mit Genugtuung aufgenommen. Die Debatte darüber wiederum hat die SPD irritiert. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hatte gar Steuererhöhungen vor einer Woche ausgeschlossen („Die Bürger haben mein Wort darauf!“) In der SPD aber weiß man – wie in der Union – um die Flexibilität Seehofers. Gabriels Äußerungen stießen in der Union auf Zustimmung. Vor dem für Donnerstag vereinbarten Sondierungsgespräch mit den Grünen aber halten sich die führenden Köpfe von CDU/CSU alle Optionen offen.

„Herr Gabriel hat recht, wenn er darauf hinweist, dass Steuererhöhungen kein Selbstzweck sind“, sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl. Er fügte hinzu: „Wir sollten versuchen, die dringenden Aufgaben im Bereich von Bildung und Infrastruktur mit den vorhandenen finanziellen Mitteln zu lösen.“

In der SPD aber wird vor einem Abrücken von den Steuererhöhungsplänen gewarnt. Der Juso-Vorsitzende Sascha Vogt verwies darauf, dass dieses Vorhaben eine Gerechtigkeitskomponente habe. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Parteibasis einem Koalitionsvertrag zustimmt, in dem keine Steuererhöhungen für die fünf Prozent Reichsten vereinbart sind. Wir brauchen das Geld, aber es geht hier auch um eine zentrale Frage der Gerechtigkeit“, sagte Vogt. Weite Teile der SPD sehen das ebenso.

Gabriel vermeidet es dieser Tage – ebenso wie seine Verhandlungspartner in den eigenen Reihen und bei der Union –, politische Differenzen herauszustellen. In seinem jüngsten Interview benennt er als „große Aufgaben“ für eine künftige Bundesregierung: Europa, Arbeitsmarkt, Rente, Pflege, Infrastruktur, Bildung und Kommunen. Diese Stichworte waren nach der Sondierung sowohl von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles als auch von ihrem Kollegen Hermann Gröhe (CDU) aufgelistet worden. Während Gabriel das Wort „Mindestlohn“ mied, rief er nach einer „Begrenzung der Leih- und Zeitarbeit“ und einer „Pflegereform“.