Der SPD-Chef teilt der Kanzlerin mit, dass man frühestens Freitag über eine Koalition sprechen kann. Die Frage ist: zu welchem Preis?

Berlin. Lang sind die Gesichter bei den Sozialdemokraten am Tag danach. Ein prominenter Kopf, der für Kraftausdrücke nicht bekannt ist, spricht von einem „Scheißergebnis“. So oder so ähnlich sehen es die meisten. Die SPD leidet, vor allem unter drei Umständen: Nämlich unter ihrem enttäuschenden Ergebnis von 25,7 Prozent, der vor Kraft strotzenden Union, der nur fünf Mandate zur absoluten Mehrheit fehlen, und ihrer großen Sorgen vor der Neuauflage einer Großen Koalition.

Am späten Montagvormittag wird die Möglichkeit jenes so gefürchteten Bündnisses ganz konkret. Da nämlich ruft Angela Merkel den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel an. Kurz habe man miteinander telefoniert, berichtet der später. Sondierungsgespräche mit der Union aber darf Gabriel noch nicht vereinbaren, das könnte ihm in dieser angespannten Lage Vertrauen, vielleicht sogar sein Amt kosten. Gabriel zufolge hat er Merkel darauf verwiesen, dass man erst nach dem SPD-Parteikonvent am Freitag weitere Schritte vereinbaren könne: „Dafür hatte sie viel Verständnis“, sagt Gabriel später. Neben Peer Steinbrück, dem gescheiterten Kanzlerkandidaten, hat sich Gabriel da im Atrium der SPD-Zentrale aufgebaut. Drei Stunden lang beriet der Vorstand, nun stehen beide Rede und Antwort.

Die Sitzung des SPD-Vorstands sei recht sachlich verlaufen, ruhig, ohne größere Vorhaltungen, berichten Teilnehmer. Über die Qualität des Wahlergebnisses besteht Konsens, über die Qualität der Kampagnenführung auch: beides suboptimal. Köpfe aber werden nicht gefordert. „Alle grausen sich vor einer Großen Koalition und wollen die CDU auf Distanz halten“, fasst ein Vorstandsmitglied die Sitzung zusammen: „Aber nur Nein sagen reicht halt auch nicht.“ Wenn man eine Große Koalition nun ausschließe, sagt der saarländische Wirtschaftsminister Heiko Maas intern, dann müsse man auch eine Alternative benennen. Die meisten in der SPD erwarten, dass sie früher oder später Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU führen und die ungeliebte Angela Merkel zur Kanzlerin wählen werden. Bis dahin aber gilt es die Preise hochzutreiben. Eine Neuauflage der Großen Koalition wird in weiten Teilen der Basis abgelehnt. Das geht so weit, dass am Sonntag bei der SPD-Wahlparty einmal Beifall aufbrandete – weil ein Sender eine absolute Mehrheit der CDU/CSU vorhersagte. Da wäre die SPD fein raus. Wenig später war die Große Koalition wieder da, mehr als ein realistisches Szenario denn als Schreckgespenst.

Nicht zuletzt aber in den rot-grünen Landesregierungen gibt es viele Skeptiker. Gabriel hat die komplizierte Aufgabe, die eigenen Truppen für ein solches Bündnis zu gewinnen. „Der Ball liegt im Feld von Frau Merkel“, hatten Gabriel und alle anderen wichtigen Köpfe der SPD am Abend gesagt. Am Montag ist diese Formel wieder zu hören. Aber natürlich wissen die Sozialdemokraten, dass der Ball nicht in Merkels Feld liegen bleiben kann. Groß aber ist die Sorge, dass Merkel und die Union mit jenem Ball kein Mannschaftsspiel planen, sondern mit ihm stets auf das Tor der SPD zielen wollen. So hat die SPD schon die gemeinsamen Jahre von 2005 bis 2009 erlebt. Und hat nicht die Union eben erst ihren Partner FDP sturmreif politisch umgebracht?

Am Montagmorgen, auf der Bühne mit Gabriel und dem hessischen Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel, spricht Steinbrück gerade einmal drei Minuten lang. Er wirkt angeschlagen, sein Blick schweift durch den Raum. Dann erzählt Steinbrück eine alte sozialdemokratische Anekdote. Nach der Bonner Wende 1982/83 zu Helmut Kohl hatte der damalige SPD-Fraktionschef Herbert Wehner seinem Nachfolger, dem gescheiterten Kanzlerkandidaten Hans-Jochen Vogel, einen Zettel überreicht: „Weitermachen!“, war darauf zu lesen. „Weitermachen“, sagt Steinbrück. „Das gilt auch für uns. Die Sozialdemokratie wird weitermachen.“