Angela Merkel lässt sich in der Wahlnacht kurz feiern und gibt am nächsten Tag die Parole aus: Nichts überstürzen nach dem Triumph!

Berlin. Als Volker Kauder wenige Minuten vor 9 Uhr morgens den Ludwig-Erhard-Raum im fünften Stock der CDU-Parteizentrale betrat, brandete spontaner Applaus auf. Aber feierten die dort versammelten Präsidiumsmitglieder den braven Badener dafür, dass er vier Jahre die Unionsfraktion mit Schweiß und (einmal) Tränen zusammengehalten hatte? Oder bejubelten sie den Partykönig? In der Wahlnacht nämlich hatte sich Kauder auf der Bühne im Adenauer-Haus ein Mikrofon geschnappt und Wange an Wange mit der Sängerin einer Coverband den Song einer Düsseldorfer Punkband gegrölt: „An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit.“

Nicht nur Kauder ließ es raus an diesem für die Unionsfamilie denkwürdigen Abend. Auch den Generalsekretär Hermann Gröhe hat man niemals zuvor so gelöst gesehen. Seine Sprecherin vergoss gar echte Freudentränen. Als am Wahlabend gar für 48 Minuten die Hochrechnungen eine absolute Mehrheit voraussagten und sich jeder zweite Partygast schon als parlamentarischer Staatssekretär fühlte, fielen für die CDU emotional Weihnachten und der Gewinne der Fußballweltmeisterschaft zusammen.

Kühl blieb nur eine: die Chefin. Sie hatte schon am Wahlabend Sang- und Tanzeinlagen gedämpft und Gröhe sogar eine ihm gereichte kleine Deutschlandfahne aus der Hand genommen, weil sie keine Fotos produzieren wollte, die übermütig wirken. Erst noch später am Abend, im Kreis von Vertrauten, nicht mehr im Adenauer-Haus, entspannte auch Merkel. Und am Tag danach führte sie, selbstverständlich, schon wieder das Kommando.

Ihre Ansage in den internen Sitzungen der Führungsgremien waren klar: Erstens, sie werde Kauder wieder zum Fraktionsvorsitzenden vorschlagen. Kauder seinerseits wird erneut Michael Grosse-Brömer als Parlamentarischer Geschäftsführer nominieren. Zweitens, die Union soll jetzt Ruhe bewahren. Nichts überstürzen lautet die Parole nach dem Triumph. In dieser Woche sollen noch nicht einmal Sondierungen beginnen. Merkel möchte in großer Ruhe abwarten, wie sich SPD und Grüne nach ihren Niederlagen neu aufstellen. Die alte und nach Lage der Dinge auch neue Kanzlerin verhehlte nicht, dass sie eine Große Koalition anstrebt. Sie hatte bereits vor den Gremiensitzungen mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel telefoniert. Mit den Grünen hat sie noch nicht geredet – wird dies aber noch tun. In der Präsidiumssitzung fragte die Vorsitzende explizit, ob jemand Einwände dagegen habe, dass auch mit der Ökopartei Gespräche geführt werden – niemand meldete sich.

In der anschließend stattfindenden, größeren Vorstandsrunde erklärte der Europaabgeordnete Peter Liese, die Bevölkerung erwarte eine Große Koalition. Das jüngste Vorstandsmitglied, Younes Quaquasse, widersprach und meinte, die Union solle auch den Grünen ein konkretes Angebot machen. Aber eine echte Koalitionsdebatte entzündete sich daran nicht. Die Länderfürsten und -fürstinnen hatten sich schon im Präsidium darauf konzentriert, den Beitrag ihrer jeweiligen Landesverbände am Erfolg herauszustellen. Nordrhein-Westfalen werde die Rekordzahl von 63 Abgeordneten in den Bundestag entsenden, rechnete der stellvertretende Bundesvorsitzende Armin Laschet vor: Mehr als die CSU! Der zuletzt so traurige Landesverband von Baden-Württemberg habe 15 Prozentpunkte mehr als SPD und Grüne gemeinsam erreicht, protzte der andere Vize, Thomas Strobl. Und Julia Klöckner, Merkel-Vize aus Rheinland-Pfalz, freute sich: „Es gibt keinen Malu-Dreyer-Effekt!“ Die neue Ministerpräsidentin nutzte der SPD nicht.

Einige, die schon länger an führender Stelle Verantwortung tragen, lächelten: Denn tatsächlich zeigt eine erste Auswertung der Zahlen nur eine Ursache für den Erdrutschsieg der CDU: Merkel. Schon am Wahlabend hatte der Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler einen Trend kaum glauben können: Die CDU gewann neun von zeh Direktmandaten in Brandenburg. Dieses Bundesland, in dem seit der Wiedervereinigung die SPD regiert, galt für die CDU lange als ungewinnbar. Jetzt nicht mehr.

Annegret Kramp-Karrenbauer, die Ministerpräsidentin des Saarlandes, argumentierte, das Ergebnis läge nicht nur an der Kandidatin, sondern auch an dem „zu ihr passenden“ Programm. Die CDU habe sich als einzige Volkspartei etabliert. Damit verteidigte Karrenbauer implizit die Übernahme von klassisch sozialdemokratischen Forderungen wie Mindestlohn, Mietpreisbremse, Frauenquoten. Auch Merkel selbst hob auf die Breite des Wahlerfolges ab: „Wir sind wirklich Volkspartei. Bis auf die Gruppe der Arbeitslosen sind wir in allen Schichten und Altersklassen die stärkste Partei.“ Auf der Pressekonferenz nach den Gremien drängten sie die zahlreich erschienenen internationalen Journalisten schnell aus der Rolle der Parteivorsitzenden in die Funktion der Kanzlerin. Ob sie ihre Euro-Politik nun ändern würde? Nein. „Wie werden Sie Ihre neue Position als politische Riesin nutzen?“ „Wie immer.“ Ob sie bald Kroation besuchen werde? Mal sehen …

Der andere Wahlsieger, Horst Seehofer, musste sich fast zeitgleich in München Fragen zur Koalitionsbildung erwehren. „Warten wir’s ab“, war die Parole des CSU-Vorsitzenden, freilich mit einem anderen Akzent als Merkel. So sagte Seehofer, es gebe in seiner CSU-Spitze „überhaupt keine Bereitschaft für ein Bündnis mit den Grünen“. Er habe jedenfalls niemanden gehört, der ihn aufgefordert hätte, mit den Grünen zu reden. Im Grunde war die CSU aber bemüht, Angela Merkel alle Verhandlungsoptionen offenzuhalten. So müssen auch die Äußerungen im Hinblick auf die Grünen interpretiert werden: Darin ging es mehrheitlich um das Spitzenpersonal, erst danach um die inhaltlichen Differenzen. In der Vorstandssitzung hätten die Koalitionsoptionen auch keine tragende Rolle gespielt, berichten Teilnehmer. Einige Beobachter gehen allerdings davon aus, dass der CSU eine Große Koalition freilich gar nicht so schmeckt. Wäre sie darin doch die kleinste Partei. In einem Bündnis mit den geschrumpften Grünen bliebe ihre Rolle gewichtiger.

Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt hält von solchen Rechenspielen nichts: „Die CSU hat kein Problem damit, in einer möglichen Großen Koalition der rein rechnerisch kleinste Partner zu sein. Es kommt auf die Kraft der Argumente an. Der Einfluss Bayerns ist wieder gewachsen, und er wird nicht kleiner werden.“