In Wandsbek kommt es zum Zweikampf zwischen Frank Schira (CDU) und Aydan Özoguz (SPD). Steilshoop ist für den CDU-Politiker ein Heimspiel.

Da sind ja meine Freunde von der Linken“, sagt CDU-Direktkandidat Frank Schira und überspringt locker alle ideologischen Gräben. In fünf Meter Entfernung zum Sonnenschirm mit dem CDU-Emblem bauen die Linken ihren Tapeziertisch auf. Doch hier, vor dem Einkaufszentrum Steilshoop, bahnt sich kein schwarz-tiefrotes Bündnis an. Dass Schira so freundlich auf die Konkurrenz reagiert, hat einen einfachen Grund. „Jede Stimme für die Linke ist keine Stimme für die SPD“, sagt Schira lachend. Es geht um viel.

Steilshoop ist für den CDU-Politiker ein Heimspiel – jedenfalls im wörtlichen Sinn. Hier ist er aufgewachsen, hier war er Ministrant in der katholischen Kirche St. Johannis. Schiras Mutter lebt auch heute noch ganz in der Nähe des Einkaufszentrums in einem der Hochhäuser, die die SPD-Senate in den 70er-Jahren hier aus dem Boden stampfen ließen. Heute gilt die Großsiedlung, geplant für 22.000 Menschen, als Problemfall. Spuren des Niedergangs sind unübersehbar.

„Das Einkaufszentrum können Sie abreißen. Sind doch kaum noch Geschäfte drin“, sagt ein Rentner, der mit seinem elektrischen Rollstuhl vor Schira angehalten hat. Tatsächlich ist der Leerstand beträchtlich. Aldi, Kik, Woolworth und die „Preis-Oase“ mit ihren Sonderposten halten die Stellung. Der Zahn der Zeit nagt beträchtlich an dem Gebäudekomplex. „Anfang der 70er-Jahre war es nett hier“, sagt Schira und weiß auch nicht so recht. „Aber ich wohne gerne hier. Bei uns in Steilshoop ist Ruhe und Frieden“, sagt der Mann noch und fährt weiter.

Die meisten Menschen reagieren freundlich auf Schira, auch wenn längst nicht alle das Wahlkampfmaterial annehmen, das er ihnen anbietet. „Ich gehe demnächst in Rente. Meine drei Kinder sind vor 1992 geboren“, sagt eine Frau („Ich bin seit Jahren CDU-Wählerin“). Schira erläutert ihr das CDU-Konzept der Mütterrente, das Frauen wie ihr ein paar Euro mehr Rente bescheren soll. Immerhin. Man geht freundlich auseinander.

Steilshoop ist nach wie vor eine SPD-Hochburg. Vor vier Jahren holten die Sozialdemokraten hier mit Abstand die meisten Stimmen, und die Linken erzielten beinahe ein so gutes Ergebnis wie die CDU. Aber im Wahlkreis Wandsbek ist es insgesamt traditionell eng zwischen SPD und CDU, und doch hatte die SPD immer die Nase bei den Direktkandidaten vorn, nur einmal nicht: Zuletzt, bei der Bundestagswahl 2009, setzte sich Christdemokrat Jürgen Klimke gegen Ingo Egloff (SPD) durch.

Und hier beginnt Schiras Problem: Der Weg zu seiner Direktkandidatur war dornig und verlustreich, die Vorgänge im CDU-Kreisverband Wandsbek erschütterten die Partei monatelang, von Intrigen war die Rede. Am Ende setzte sich Schira knapp gegen Klimke durch. Der wiederum revanchierte sich mit seinen Anhängern bei der Aufstellung der Landesliste. Nachdem Schira schon das Rennen um Platz vier gegen den Bundestagsabgeordneten Dirk Fischer verloren hatte, musste er auch auf Platz fünf Klimke den Vortritt lassen. Eine parteiinterne Demütigung für den Mann, der noch vor drei Jahren als Fraktions- und Parteichef einer der mächtigsten Christdemokraten war.

Schira kämpft nun ohne Absicherung auf der Landesliste, also ohne Netz und doppelten Boden. „Das Direktmandat zu holen ist seine letzte Chance“, sagen Parteifreunde über ihn. Es sind alte Rechnungen, die derzeit in der CDU beglichen werden. Ausgestellt wurden sie in der turbulenten Phase 2010 und 2011, als die CDU die Macht im Rathaus verlor. Ein Mann kämpft also um das politische Überleben. Und er hat eine sehr professionelle Gegnerin: Aydan Özoguz, stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD und auf Platz eins der Landesliste.

Die 46 Jahre alte Sozialdemokratin, Mutter einer Tochter und mit Innensenator Michael Neumann (SPD) verheiratet, wirkt wie der politische Gegenentwurf zu Schira: Während der CDU-Mann zuletzt gegen den Widerstand in den eigenen Reihen ankämpfen musste, erfuhr Özoguz praktisch nur Rückenwind – und legte eine Parteikarriere im Rekordtempo hin. Erst seit 2004 ist die frühere Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in der SPD und gehört heute als als Vize-Bundesparteichefin zum engsten Führungskreis der Sozialdemokraten.

„Olaf Scholz hat mich 2000 gefragt, ob ich Politik machen wollen würde“, erzählt Özoguz Oberstufenschülern des Gymnasiums Buckhorn in Volksdorf. „Er war einer der Ersten, der erkannt hatte, dass Integration ein wichtiges Thema ist.“ Özoguz, deren Eltern einst aus der Türkei nach Hamburg kamen und die hier geboren wurde, zog 2001 als Parteilose in die Bürgerschaft ein und sitzt seit 2009 im Bundestag.

Aydan Özoguz kennt auch die hässliche Kehrseite der Bereitschaft zur Integration – das Ressentiment. „Früher wurde schon manchmal gefragt, ob ich überhaupt geradeaus Deutsch sprechen kann“, erzählt Özoguz den Gymnasiasten. „Der Name entscheidet immer noch über Chancen in der Schule“, sagt sie. Das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen ist nach wie vor das Hauptthema der Politikerin Aydan Özoguz. Aber sie weiß, dass sie allein mit der Integrationskarte keinen Wahlkreis gewinnen kann.

„Der Wahlkampf um ein Direktmandat ist eine echte Herausforderung“, sagt Özoguz, für die das wie für Schira eine Premiere ist. Vor vier Jahren war die SPD-Frau über die Landesliste in den Bundestag eingezogen. Und Özoguz hat sich ein strammes Programm verordnet: Rund 1000 Hausbesuche hat sie gemacht. „Einfach irgendwo klingeln“ – das sei ihr Prinzip. So lerne sie Probleme und Lebensumstände der Menschen kennen. „Ich weiß, in welchem Zustand die Häuser der Menschen im Wahlkreis sind. Sonst kenne ich das nur aus Statistiken.“

Özoguz ist im Straßenwahlkampf eher zurückhaltend. Die meisten Menschen reagieren freundlich – und manche skeptisch. „Sind Sie das auf dem Plakat?“, fragt ein Junge vor dem Einkaufszentrum Steilshoop. Özoguz bejaht. „Was bedeutet das?“, fragt der Junge weiter. Die SPD-Frau erzählt, wer sie ist und was sie macht. Das ist Politikunterricht praxisnah – auch wenn der Junge etwas ungläubig davonzieht.

Der FDP-Direktkandidat Klaus-Dieter Abend ist das Kontrastprogramm. Der bodenständige Kfz-Mechanikermeister ist nie um einen Spruch verlegen, auch wenn er sagt: „Ich bin Handwerker, kein Mundwerker.“ Wenn sich jemand bei ihm über den Fluglärm am Wandsbeker Himmel beklagt, dann kontert Abend mit der Frage: „Und wie häufig fliegen Sie im Jahr nach Mallorca?“ Der Liberale sieht sich als Ombudsmann der kleinen Leute. „Mit mir kann man wie mit einem Blöden reden“, sagt er und schiebt schnell noch seinen Wahlspruch nach: „Am 22. September morgens den Abend wählen!“

Cornelia Kerth von den Linken setzt auf ein klares Profil, das sich von den anderen Parteien abhebt. „Das Gerede von den Leistungsträgern, die hohe Gehälter abstauben, geht mir gewaltig auf den Keks“, sagt sie vor den Volksdorfer Schülern, und ein Hauch von Klassenkampf weht durch die Aula. Kerth tritt für die Schule für alle ein und fordert, dass Rüstungsunternehmen alternative Produkte entwickeln.

Katja Husen, Direktkandidatin der Grünen, freut sich über Argumentationshilfen beim Volksentscheid zum Netze-Rückkauf. „Ältere Ehepaare informieren sich manchmal zuerst bei SPD und CDU. Dann kommen sie zu uns und sagen: Jetzt möchten wir auch Ihre Meinung hören“, erzählt Husen. Aber sie hat auch die Erfahrung gemacht, dass ein Thema für viele Wähler , besonders für Frauen, sehr wichtig ist, das bei den Hamburger Grünen nicht ganz obenan steht: der Tierschutz und die Umsteuerung der Landwirtschaft.

Husen kämpft um möglichst viele Zweitstimmen. Sie betrachtet den Zweikampf zwischen Schira und Özoguz entspannt. „Ich schätze den Pragmatismus von Frau Özoguz. Herr Schira macht einen netten Eindruck“, sagt Husen. „Das wird ein knappes Rennen.“