Die Parteien analysieren das TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück nach ihrem Geschmack. Gegensätzliche Umfragewerte unterstützen sie dabei

Berlin. Die Christdemokraten loben den Auftritt von Angela Merkel während des TV-Duells am Sonntagabend, die SPD feiert Peer Steinbrück – am Tag danach gibt es nur Gewinner. „Sie konnte mit einem Dreiklang aus Kompetenz, sympathischem Auftreten und Glaubwürdigkeit punkten“, sagt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe über Merkel. Steinbrück habe die „eindeutig besseren Argumente“ gehabt, befindet SPD-Chef Sigmar Gabriel. Beide großen Volksparteien führen dazu argumentativ die Erhebungen von einer der beiden großen Fernsehanstalten an – die ARD sieht Steinrück als Gewinner, das ZDF Merkel. So viel Gleichgewicht des Schaulaufens war selten. Als Störenfried taucht eigentlich nur einer auf: der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, der gegen Merkels Veto am Ruf nach einer Pkw-Maut für Ausländer festhält.

Doch der Reihe nach: Kaum war das Fernsehduell am Sonntagabend beendet, begann die Schlacht um dessen Deutung. Im Studio G in Berlin-Adlershof, gut 100 Meter entfernt von dem Ort des Geschehens, wurden die Spindoktoren der Parteien tätig. Derlei „Strategen“, aber auch prominente Politiker wie Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) oder SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, verbreiteten ihre – natürlich ganz objektive – Sicht der Dinge.

Recht rasch verbreiteten die Umfrageinstitute ihre Auswertungen des Duells – und liefern Union wie SPD argumentative Unterstützung. Seither stützen sich CDU/CSU auf die Zahlen des ZDF. In dessen Auftrag hatte die Forschungsgruppe Wahlen ermittelt, für 40 Prozent der Befragten sei Merkel als Siegerin aus dem TV-Duell hervorgegangen. Nur 33 Prozent fanden Steinbrück besser, während 27 Prozent der Zuschauer keinen Gewinner ausmachen konnten. „ARD-Umfrage zeigt: Steinbrück gewinnt gegen Merkel“, heißt es in großen Lettern auf Flugblättern, die die SPD im Foyer des Willy-Brandt-Hauses auslegte. Die Sozialdemokraten stützen sich auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap, das in Steinbrück mit 49 Prozent den Gewinner gesehen hatte. Merkel lag hier mit 44 Prozent hinter ihrem Herausforderer. Einen hauchdünnen Vorsprung Merkels ermittelte Forsa für RTL. Danach sagten 44 Prozent der Befragten, die Kanzlerin habe das Duell gewonnen. 43 Prozent dagegen sahen Steinbrück als Sieger.

Ein solches Patt dominierte auch die Bewertung unter den meisten Kommentatoren. Doch auch dieses Fazit offenbart zwei grundlegend verschiedene Konsequenzen mit Blick auf den Ausgang der Bundestagswahl in knapp drei Wochen. Einerseits ist für Steinbrück ein solches Unentschieden ein Etappensieg, galt er doch bislang als der Kanzlerin hoffnungslos unterlegen. Sollte der SPD-Kanzlerkandidat nach einer weitgehend verkorksten Kampagne doch noch Boden gutmachen? Andererseits könnte sich Merkel, rhetorisch seit jeher schwach, mit einem Patt doch zufriedengeben. Für eine echte Aufholjagd hätte Steinbrück wohl einige Treffer gegen die Kanzlerin erzielen müssen. Doch erst in der vorigen Woche hatten 48 Prozent der von Infratest dimap Befragten die Erwartung geäußert, Merkel werde das TV-Duell gewinnen. Nur 26 Prozent trauten Steinbrück dies zu: Die Kanzlerin wurde überschätzt, ihr Herausforderer unterschätzt.

Mit 17,64 Millionen Fernsehzuschauer erwies sich das TV-Duell als das mit der zweithöchsten Einschaltquote. Nur das Duell zwischen Merkel und Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Jahre 2005 hatten mehr Zuschauer verfolgt. Der Marktanteil des einzigen TV-Duells im diesjährigen Wahlkampf lag bei 29,1 Prozent. Es war von insgesamt fünf Fernsehsendern übertragen worden, im Radio außerdem vom Deutschlandfunk. Nach diesem großen Interesse im bislang mauen Wahlkampf werden die in dieser Woche erscheinenden Umfragen zur „Sonntagsfrage“ mit Spannung erwartet. Sie dürften einen Aufschluss geben, inwieweit das Fernsehduell die Ausgangslage für den 22. September verändern könnte. In der vorigen Woche lag die Union bei den Erhebungen von Infratest dimap bei 41 Prozent, die SPD wurde bei 26 Prozent taxiert. Für die Grünen ermittelten die Demoskopen elf Prozent, für die Linke acht Prozent und die FDP fünf Prozent. Auf dieser Basis besäße die schwarz-gelbe Koalition im Bundestag eine knappe Mehrheit. Sollte diese Perspektive verschwinden, dürfte lauter über eine Große Koalition spekuliert werden. So wenig Kanzlerin Merkel und Kandidat Steinbrück die Neuauflage eines solchen Bündnisses ausschließen, versuchen sie dieses Modell als unwahrscheinlich zu schildern.

Das ist dem Wahlkampf geschuldet, und so konzentrieren sich Union und SPD darauf, den jeweils anderen anzugreifen. Merkels Nein zur Pkw-Maut und Steinbrücks Schlingern beim Thema Pensionen bieten Futter für den politischen Gegner. „Seit gestern Abend hat Merkel keinen Koalitionspartner mehr, jedenfalls ein wichtiger fehlt. Das ist Horst Seehofer“, ätzte SPD-Chef Gabriel. Er spielte auf Seehofers Bemerkung an, er werde keinen Koalitionsvertrag ohne eine Pkw-Maut für Ausländer unterschreiben. „Mit mir wird es keine Maut geben“, hatte Merkel sich festgelegt, nachdem ihr Steinbrück diese Klarheit geradezu abgerungen hatte. Das ist pikant, denn neben Seehofer hatte Merkels Stellvertreter im Parteivorsitz, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, die Einführung der Straßengebühr gefordert. Nähme man also Seehofer und Merkel ernst, wäre im TV-Duell nicht nur Schwarz-Gelb, sondern auch Schwarz-Schwarz gescheitert. Bereits kurz nach dem Duell, hatten Merkel und Seehofer telefoniert und entschieden, ihren Streit nicht etwa beizulegen, sondern einfach nicht weiterzuführen.

Die SPD bemühte sich derweil, Steinbrücks Plädoyer, die Entwicklung der Pensionen an die der Renten zu koppeln, zu relativieren. Gabriel argumentierte: „Das ist das, was in Deutschland längst üblich ist.“ Üblich? In den vergangenen zehn Jahren sind die Pensionen für Beamte fast doppelt so stark gestiegen wie die Renten. Eine Koppelung der Pensionen an die Renten sei nicht zulässig, sagte der Beamtenbund-Vorsitzende Klaus Dauderstädt. Steinbrück gieße „Öl ins Feuer der Leute, die mit der Mär von überhöhten Beamtenpensionen Stimmungsmache gegen die Staatsdiener betreiben wollen“.

Union wie SPD wissen, wie heikel das Thema ist. Beamte und Pensionäre gehen überdurschnittlich fleißig zur Wahl. Es sich mit ihnen zu verscherzen birgt ein hohes Risiko. An diesem Dienstag haben Merkel und Steinbrück Gelegenheit, sich über Maut und Pensionen ausgiebig zu äußern. Im Bundestag treffen sie ein letzes Mal vor der Wahl aufeinander. Das Thema der Debatte: „Zur Lage in Deutschland“.