Hamburger Theatermacher Corny Littmann gerät in der Aufarbeitung der Pädophilievorwürfe in den Fokus

Hamburg. Es war die Zeit, als der Hamburger Publizist Olaf Stüben, Mitglied einer Päderastengruppe, in der Tageszeitung „taz“ öffentlich bekannte: „Ich liebe Jungs“ und das linksalternative Blatt 1979 zur sexuellen Revolution aufrief. Auch bei einigen Grünen gab es damals Bestrebungen, Pädophilie zu legalisieren und die Paragrafen 174 des Strafgesetzbuches (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) und 176 (Sexueller Missbrauch von Kindern) zu streichen.

In welchem Umfang und gesellschaftlichen Kontext das alles parteiintern geschah, erforschen derzeit Wissenschaftler vom Göttinger Institut für Demokratieforschung. Professor Franz Walter und Dr. Stephan Klecha analysieren seit zwei Monaten die Auswirkungen pädophiler Forderungen in den Milieus der Neuen Sozialen Bewegung sowie der Grünen. In einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) schreiben die Experten jetzt, dass sich die Grünen 1980 in ihrem ersten Grundsatzprogramm für eine weitgehende Legalisierung sexueller Beziehungen von Erwachsenen mit Kindern und Schutzbefohlenen ausgesprochen haben. Auftraggeber der neuen Göttinger Studie ist Bündnis 90/Die Grünen, die Licht in die Schattenseiten ihres Gründungsmythos bringen wollen.

Vieles davon ist in Vergessenheit geraten. Die Hamburger Grünen-Politikerin Krista Sager, inzwischen Mitglied des Bundestages, sagt etwa: „An die Auseinandersetzungen über dieses Thema habe ich keine persönliche Erinnerung. Ich erinnere mich nur dunkel an einen absurden Parteitagsauftritt der Indianer-Kommune, den ich als Psycho-Terror empfunden habe.“ Diese Gruppe sprach sich für die Legalisierung sexueller Kontakte zu Kindern aus.

Bei den zeitgeschichtlichen und sozialwissenschaftlichen Göttinger Studien gerät nun auch ein bekannter und anerkannter Hamburger Theatermacher in den Fokus: Cornelius „Corny“ Littmann, Besitzer von Schmidts Tivoli auf der Reeperbahn und ehemaliger Vereinspräsident des FC St. Pauli. Littmann, der den Grünen angehörte und Teil des gesellschaftlichen, nicht ökologisch orientierten Flügels war, soll nach Recherchen der Göttinger Demokratieforscher dafür gekämpft haben, dass die Debatte über die umstrittene Streichung der Paragrafen 174 und 176 nicht beendet wird, sondern ergebnisoffen weitergeht.

In einer dem Abendblatt vorliegenden zeitgeschichtlich relevanten „Stellungnahme von Corny Littmann“ an den „Arbeiterkampf“, dem Organ des Kommunistischen Bundes, heißt es am 5. Mai 1980 (Nummer 174): „Dies kann selbstverständlich zur Folge haben, dass unsere weitergehende Forderung nach ersatzloser Streichung dieser beiden Paragrafen dann beschlossen wird.“ Corny Littmann, 60, am Dienstag vom Abendblatt zu den damaligen Vorgängen befragt, sagte, er weise die Vorwürfe der Göttinger Wissenschaftler zurück. „Ich habe als Teil des gesellschaftlichen Flügels der Grünen stets dafür gekämpft, dass die Anliegen der Schwulen und Lesben ins Programm kommen. Ich war nie auf der Seite der Pädophilen. Pädophilie muss strafbar bleiben. Das ist meine Haltung damals gewesen. Und das ist sie heute.“

Littmann, einer Ikone der modernen Schwulenbewegung, ging es nach eigenen Angaben um die Abschaffung des Paragrafen 218 und um mehr Rechte für Schwulen und Lesben. „Zwar habe ich 1980 als symbolischer Kandidat der Schwulen und Lesben als Grüner für den Bundestag kandidiert. Aber seit 1982 habe ich aus Zeitgründen meine Mitgliedschaft bei den Grünen ruhen lassen. Die Göttinger Forscher hätten, bevor sie mich zitieren, auch direkt befragen können.“

Weitere Dokumente, die dem Abendblatt vorliegen, zeigen aber, mit welcher rhetorischen Leichtfertigkeit und Lässigkeit Littmann über das Thema Pädophilie in den grünen Zirkeln debattierte. „Littmann“, sagte Stephan Klecha, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung, dem Abendblatt, „ging es dabei anscheinend um den Schulterschluss von Schwulen- und Pädophiliebewegung.“ Littmann sei kein Pädophiler, so die Einschätzung aller Leute, die ihn etwas zu kennen scheinen, betont Sozialwissenschaftler Klecha.

Um damals diesen Schulterschluss zu erreichen, rief ein „Corny“ aus Hamburg die taz-Leser im Februar 1980 dazu auf, ein Vorbereitungstreffen in Hannover zum Thema Anti-Diskriminierung zu besuchen, „zu dem möglichst viele Lesben, Schwule (und zwar auch und gerade die, deren Freund/innen unter 14 sind) kommen sollten.“ Die Göttinger Forscher gehen davon aus, dass es sich bei „Corny“ um Cornelius Littmann handelt. An dem Haupttreffen mit Vertretern verschiedener Bundestagsparteien in der Bonner Beethovenhalle 1980 nahm auch der Hamburger Entertainer teil.

In einem Bericht der Schwulen-Zeitschrift „Don“ vom September 1980 über eine kleine Runde im Kleinen Saal der Beethovenhalle heißt es: „Littmann von den Grünen erklärte daraufhin, ziemlich unrealistisch, dann sollten eben alle Homosexuellen, die Partner unter 18 Jahren liebten, in einer Art öffentlichen Massenbekenntnis und als Selbstbezichtigung erklären, sie hätten Verkehr mit Minderjährigen gehabt – ähnlich der Frauenaktion ‚Wir haben abgetrieben!‘ Die Polizei werde kapitulieren müssen; alle zu verhaften, würde selbstverständlich die Gefängnisse überquellen lassen. Mit solch einer unwirksamen Strafverfolgung sei dann der § 175 StGB jetziger Fassung einschließlich §§ 174 und 176 zu Fall gebracht.“ Er, so schreibt „Don“ über Littmann, „fange damit gleich an.“

Das Bonner Treffen endete übrigens im Chaos, weil die „Indianer-Kommune“ die Veranstaltung störte. Zum Glück ist sie heute nur noch Geschichte.