Bundesanwaltschaft prüft Ermittlungen in der Späh-Affäre. US-Geheimdienst NSA arbeitet in seiner Sammelwut mit deutschen Kollegen zusammen

Berlin. Es ist vor allem die Zahl, die für Unruhe sorgt: Im Dezember 2012 soll der US-Geheimdienst NSA aus Deutschland 500 Millionen Daten abgesaugt haben. Das geht aus Unterlagen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden hervor. Die Zahl geistert schon seit einigen Wochen durch die Welt und wurde am Wochenende vom „Spiegel“ aufgegriffen, weil sich nun herausstellt, dass die Daten offenbar über zwei BND-Stellen in Deutschland kamen. Dabei stellt sich die Frage, ob deutsches Recht beachtet wurde. Welche Daten wurden übermittelt? Und wie eng arbeiten die NSA und deutsche Geheimdienste zusammen?

Der BND erklärte, dass es sich bei den von Snowden berichteten Daten um sogenannte Metadaten handelt. Dies sind keine Inhalte von Gesprächen, sondern Informationen, wann zwischen welchen Nummern und Internetadressen Verbindungen bestanden. Der BND erhebt solche Daten selbst im Rahmen seiner Auslandsaufklärung, weil er zum Beispiel die Kommunikation in Afghanistan überwacht. Der BND teilte mit, dass es sich nicht um Daten über deutsche Staatsbürger handele, weil diese „in einem gestuften Verfahren“ herausgefiltert würden.

Unklar ist aber auch nach der BND-Stellungnahme, was der von Snowden erwähnte NSA-Datensatz mit der Überschrift „Germany – last 30 days“ enthält: Sind dies nur vom BND erhobene Daten? Betreffen sie nur Erkenntnisse aus dem Ausland wie Afghanistan oder stammt zumindest ein Teil auch aus einer in Deutschland selbst betriebenen Ausspähung etwa der USA?

Kanzleramtschef Ronald Pofalla hatte nach der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) des Bundestags vor eineinhalb Wochen erklärt, in seiner Amtszeit seien vom BND nur zwei personenbezogene Datensätze über Deutsche an befreundete Geheimdienste übermittelt worden – beide im Zusammenhang mit Entführungen Deutscher. Der BND selbst teilte am Sonnabend mit, 2012 seien zwei Datensätze über Deutsche an die NSA übersandt worden. Ansonsten würden ausgewertete Informationen und Hinweise zu Bedrohungen, aber keine Rohdaten mit anderen Diensten ausgetauscht.

500 Millionen Daten klingen nach sehr viel. Allerdings verweisen Sicherheitsexperten darauf, es sei wichtig, diese Zahl in Relation zum Gesamtbild zu setzen. Ein Vergleich zeigt, wieso: Nach Experten-Schätzungen fielen allein in Deutschland 2012 rund 620 Milliarden Datensätze über Telefon-, E-Mail-, SMS- und Chatverkehr an – also rund 50 Milliarden pro Monat. Weltweit ist dies ein Vielfaches. Entscheidend ist also die Frage, auf welche Länder und auf welchen Zeitraum sich die Zahl 500 Millionen genau bezieht – dies würde einen Hinweis darauf liefern, ob der Vorwurf einer „flächendeckenden“ Überwachung stimmt. Die NSA hat dies mehrfach zurückgewiesen. Möglicherweise laufen die Argumente in der transatlantischen Debatte auch aneinander vorbei, weil es in den USA und Deutschland unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt, wann der Datenschutz beginnt – bei der bloßen Speicherung von Daten oder erst bei ihrer Auswertung.

Der BND arbeitet nach eigenen Angaben seit Jahrzehnten mit dem US-Geheimdienst zusammen. Dies sei durch das BND-Gesetz und das G10-Gesetz abgedeckt, das Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis regelt. Über die Übermittlung der beiden personenbezogenen Datensätze seien auch die G10-Gremien informiert worden, betonte Pofalla.

Die Berichte über grenzenlose Datenschnüffeleien des NSA haben nun auch die Bundesanwaltschaft alarmiert. Die Behörde prüft, ob sie wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zulasten Deutschlands Ermittlungen aufnimmt. Die Bundesanwaltschaft habe am 27. Juni ein „Beobachtungsverfahren“ eingeleitet, sagt ein Sprecher. Zunächst seien alle Medienberichte über die Affäre ausgewertet und anschließend die deutschen Nachrichtendienste und die zuständigen Bundesministerien um Auskünfte gebeten worden.

Der Ausgang der Vorermittlungen ist demnach offen. Die Behörde könnte aber auf Grundlage des Paragrafen 99 Strafgesetzbuch aktiv werden. Darin geht es um geheimdienstliche Agententätigkeit zulasten der Bundesrepublik. Sollte es zu einem Ermittlungsverfahren kommen, ist denkbar, dass die Bundesanwaltschaft auch den in Russland untergetauchten Edward Snowden, vernehmen will – wenn sie denn an ihn herankommt. Deutsche Innenpolitiker reagieren empört auf die angeblichen Datenweiterleitungen des BND an die NSA. „Es ist höchste Zeit, dass die Bundesanwaltschaft die Handbremse löst“, sagt das Vorstandsmitglied der Linke-Bundestagsfraktion, Jan Korte. Der BND liefere – vorgeblich streng rechtsstaatlich – Abermillionen an Daten an die NSA, und die Bundesregierung spiele seit Wochen die Unwissende. „Unglaubwürdiger geht es nicht.“

Aber auch in der Koalition selbst regt sich Unmut. „Nicht nur stellt sich die Frage, wie es überhaupt zu einer solch großen Zahl von Daten in nur einem Monat kommen kann, sondern vor allem, wie es sein kann, dass diese unvorstellbare Datenmenge angeblich übermittelt wurde“, meint die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz. Der BND dürfe nicht „Handlanger der massenhaften NSA-Datenausspähung“ sein. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe begrüßt die Vorermittlungen der Bundesanwaltschaft. Sie zeigten, „wir sind ein Rechtsstaat, der die Durchsetzung seiner Rechtsordnung sehr ernst nimmt“.