Kanzlerin nach der Späh-Affäre für europäisches Datenschutzrecht. Opposition kritisiert Amerika-Reise von Innenminister Friedrich

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert von den USA weitere Aufklärung in der Späh-Affäre. „Ich erwarte eine klare Zusage der amerikanischen Regierung, dass man sich auf deutschem Boden an deutsches Recht hält in Zukunft. Wir sind befreundete Partner. Wir sind in einem Verteidigungsbündnis, und man muss sich aufeinander verlassen können“, sagte Merkel am Sonntagabend in der ARD. Zwar gelte es, im Kampf gegen den Terrorismus zusammenzuarbeiten. „Der Zweck heiligt hier aus unserer Sicht nicht die Mittel“, sagte Merkel.

Die Kanzlerin betonte, viele Menschen seien zu Recht beunruhigt, was mit ihren Daten außerhalb Deutschlands geschehe. Die Bundesregierung werde darüber weiter mit den USA und auch Großbritannien sprechen. Es gehe um die Verhältnismäßigkeit. Der Datenschutz müsse auch im Kampf gegen den Terrorismus gewährleistet sein. „Nicht alles, was technisch machbar ist, darf auch gemacht werden“, betonte Merkel.

Deutschland werde dazu eine sehr strikte Position vertreten, kündigte die Kanzlerin an. Dies gelte auch für die Verhandlungen über ein gemeinsames europäisches Datenschutzrecht. Dabei sei unter anderem strittig, ob Internetkonzerne wie Google und Facebook den Staaten Auskunft darüber geben müssten, an wen sie ihre Daten weiterreichten. Bisher gebe es noch keine Einigung. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) werde sich beim Treffen der EU-Innen- und Justizminister erneut für eine Auskunftspflicht starkmachen. „Wir haben zwar ein tolles Bundesdatenschutzgesetz“, sagte Merkel. „Aber wenn Facebook in Irland registriert ist, dann gilt das irische Recht, und deshalb brauchen wir hier eine einheitliche europäische Regelung.“

Zugleich plädierte die Kanzlerin für ein internationales Datenschutzabkommen. Sie schloss sich dem Vorschlag von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an, den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 durch ein Zusatzprotokoll zum Datenschutz zu ergänzen.

Auch Ilse Aigner (CSU), Bundesministerin für Verbraucherschutz, sprach sich in der „Welt am Sonntag“ für ein globales Datenschutzabkommen aus. „Wir brauchen einen Vertrag, an den sich alle Staaten halten und der dann für alle Unternehmen verpflichtend wird. Es wäre ein historischer Fehler, das jetzt nicht anzupacken.“ Am besten mache man das im Rahmen der Vereinten Nationen: „Beim Klimaschutz hat man auch geglaubt, ein internationales Abkommen sei unrealistisch – und dann ist Kyoto gelungen.“

Aigners Kabinettskollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat bereits am 7. Juli ein 13-Punkte-Programm für besseren Datenschutz vorgelegt, in dem sich eine vergleichbare Forderung findet. Die Liberalen seien für „ein internationales Übereinkommen auf Uno-Ebene, das ein Zusatzprotokoll in den Artikel 17 des Uno-Pakts für politische und bürgerliche Rechte einfügt“, heißt es darin. Es verwundert also nicht, wenn die Justizministerin Aigners Vorstoß jetzt begrüßt. „Wir brauchen neben der europäischen Ebene mit einer guten neuen Datenschutzregelung auch internationales Handeln“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Ihre Vorschläge dazu lägen ja bereits vor.

Freuen dürfte sich die FDP-Politikerin auch darüber, dass Aigner sich die Vorstellungen der Liberalen zur Vorratsdatenspeicherung zu eigen macht – und damit einen Kurswechsel der Union verlangt. „Die jüngsten Spionagefälle geben Anlass dazu, die Speicherung von Daten auf den Prüfstand zu stellen“, sagte Aigner. „Wir sollten darüber reden, ob eine Speicherdauer von sechs Monaten wirklich notwendig ist.“ Entscheidend sei auch, genau zu regeln, wer Zugriff auf die Vorratsdaten habe und unter welchen Bedingungen. „Das kann nur nach richterlichem Beschluss geschehen und muss über das Parlament gesteuert werden“, forderte sie. „Dafür brauchen wir eine neue EU-Richtlinie.“ Die Balance zwischen dem Bestmöglichen an Sicherheit und dem bestmöglichen Schutz der Freiheit müsse immer wieder neu ausgelotet werden, sagte Aigner. Deshalb gebe sie Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger recht, dass Deutschland die geltende Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in dieser Wahlperiode nicht mehr umsetzen solle.

Das entspricht der jüngsten Anregung des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), der ebenfalls eine Überprüfung der Unionsposition zur Vorratsdatenspeicherung gefordert hatte. Es widerspricht allerdings der Haltung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Dieser will an der sechsmonatigen Mindestspeicherfrist festhalten und hat dabei die große Mehrheit der Innenpolitiker von CDU und CSU an seiner Seite.

Auf diesen Widerspruch weist die Opposition hin. Man brauche zweifellos internationale Datenschutzvereinbarungen, sagte SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil. Aber dass Aigner aktiv werden wolle, zeige eben auch, „dass sie anders als Innenminister Friedrich eine Notwendigkeit zum Handeln sieht“.

Schärfer formulierten das die Grünen. Aigners Vorstoß sei ein „durchsichtiges Ablenkungsmanöver“, sagte Parteichef Cem Özdemir. Friedrich habe bei seiner USA-Reise vorigen Freitag keine Aufklärung über die Späh-Affäre erreicht. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf Bundesinnenminister Friedrich im ZDF-Sommerinterview am Sonntag vor, er rechtfertige millionenfachen Rechtsbruch. Man könne „Totalüberwachung nicht mit einzelnen Maßnahmen der Terrorabwehr begründen. Das ist das Ende der Freiheit.“ Die Balance von Freiheit und Sicherheit sei bei einer „Totalüberwachung jeder Kommunikation“ nicht mehr gegeben. „Das ist nach allen Regeln, die wir uns in Deutschland gegeben haben, nicht vereinbar“, sagte Trittin.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hielt sich nur kurz mit Kritik an Friedrichs Reise auf („blanker Hohn“), er nahm die Bundeskanzlerin persönlich ins Visier. Merkel habe geschworen, „Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Jetzt kommt heraus, dass Grundrechte der deutschen Bürger massiv verletzt wurden. Also: Schaden vom Volke abzuwenden – das stelle ich mir anders vor“, so Steinbrück in der „Bild am Sonntag“.

Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) nannte den Vorwurf absurd: „Er offenbart die ganze Hilflosigkeit eines Kanzlerkandidaten, der im Wahlkampf bislang nicht punkten konnte und nun wild um sich schlägt.“ (HA)