Der NSA-Experte James Bamford über die Strategien des US-Geheimdienstes

Washington. James Bamford, 66, ist Bestseller-Autor und der anerkannteste Experte für die National Security Agency (NSA). Er diente während des Vietnam-Krieges in der US Navy, studierte Jura und arbeitete als Journalist für den Sender ABC. Als James Bamford sein erstes Buch zum Thema schrieb („The Puzzle Palace“,1982; deutsche Übersetzung 1986: „NSA. Amerikas geheimster Nachrichtendienst“), versuchte ihn die NSA einzuschüchtern. Unbeeindruckt davon legte der Autor zwei Werke nach. „The Shadow Factory“ wurde 2008 zum Bestseller.

Hamburger Abendblatt:

Als Sie die NSA-Dokumente lasen, die Edward Snowden in die Öffentlichkeit brachte, haben Sie da gegähnt, weil Sie schon vor Langem über die Ausspähtechniken und das Sammeln der Telefonmetadaten durch die NSA geschrieben haben?

James Bamford:

Die Informationen waren nicht neu; aber sehr wohl die Tatsache, dass er die Beweise lieferte. Immer wenn ich etwas über die NSA enthüllte, dementierte der Dienst. Voriges Jahr habe ich im Magazin „Wired“ den früheren NSA-Mitarbeiter William Binney zitiert, der mir weitgehend dieselben Dinge erzählte, über die Verizon-Metadata und über die Abschöpfung der Internetaccounts. Einige Tage später ging General Keith Alexander, der NSA-Chef, in die Öffentlichkeit, bestritt alles und sagte: „Wir sammeln keine Informationen von unbescholtenen Amerikanern.“ Viele glaubten ihm. Snowdens Dokumente beweisen jetzt, dass Binney die Wahrheit sagte und Alexander gelogen hat.

Alexander sagt, sein Dienst müsse die Daten sammeln, um die Nation zu schützen. Dadurch seien zehn Terrorattacken in den USA und 50 weltweit verhindert worden.

Bamford:

Ich stelle das infrage. General Alexander behauptete wiederholt Dinge, die sich später als unwahr herausstellten. Mir sagen Eingeweihte, diese Anschläge hätten auch ohne das Sammeln der Metadaten verhindert werden können. Im Fall von Najibullah Zazi, der 2009 einen Anschlag auf die New Yorker Metro plante, kamen etwa die ursprünglichen Tipps von den Briten.

Hat niemand die Sorge, dass diese unglaubliche Menge an Daten die wirklich wichtigen Informationen in den NSA-Akten regelrecht ertränkt?

Bamford:

Das ist ja die Ironie! Je häufiger die Politiker zustimmen, dass der Heuhaufen noch größer wird, desto schwieriger wird es für die NSA, die Nadel darunter zu finden. Zu viele Informationen zu haben ist mitunter schlimmer, als zu wenige Informationen zu haben.

Warum steht Deutschland so im Fokus der NSA? Angeblich werden bis zu 60 Millionen E-Mails und 20 Millionen Telefonate pro Tag abgefangen – in Frankreich nur zwei Millionen Telefonate.

Bamford:

Internetdaten werden über unterseeische Glasfaserkabel übertragen, und meine einzige Erklärung ist, dass es in Deutschland Knotenpunkte gibt, über die besonders viel Kommunikation läuft, nicht nur innerdeutsch, sondern in den Nahen Osten, in die Türkei, in andere europäische Länder. Die NSA hat Zugang zu diesen Knotenpunkten und Filter, mit denen sie herausfischt, was sie braucht.

Gibt es, abgesehen vom gewaltigen Etat, prinzipielle Unterschiede der NSA zu anderen Diensten, ob aus England, Israel oder Deutschland?

Bamford:

Es gibt einen riesigen Unterschied! Nämlich den, dass in Deutschland nicht die neun großen Internet-Konzerne sitzen. Sie haben nicht Google, nicht Yahoo, nicht Microsoft. Die USA sind das Zentrum der Telekommunikation. 99 Prozent der Internetkommunikation geschieht durch die USA, und ein Drittel aller Telefonate. Darum haben die USA so etwas wie eine Atombombe, wenn es ums Abhorchen geht. Der Rest der Welt hat, sagen wir, Kanonen.