Europäischer Gerichtshof verhandelt über Vorratsdatenspeicherung. Kläger sehen Datenschutz verletzt

Luxemburg. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Dienstag in Luxemburg über die Rechtmäßigkeit der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verhandelt. Die Kläger aus Österreich und Irland vertreten die Ansicht, dass die anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten von Telefon- und Internetnutzern gegen ihre Grundrechte verstößt (Rechtssachen C-293/12 und C-594/12).

Ein EU-Gesetz aus dem Jahr 2006 legt fest, dass Firmen Verbindungsdaten zu Telefonaten oder E-Mails aufbewahren. Diese sind Name und Anschrift sowie Rufnummer, Uhrzeit, Datum und Dauer einer Telefonverbindung – bei Handys auch der Standort zu Gesprächsbeginn. Auch Verbindungsdaten zu SMS, Internetnutzung und E-Mails sollen die Firmen aufbewahren. Den Inhalt der Gespräche oder E-Mails speichern die Telekommunikationsunternehmen demnach nicht. Deutschland hat die Richtlinie bislang nicht umgesetzt, derzeit gibt es keine gesetzlichen Vorkehrungen zur Vorratsdatenspeicherung. Das Bundesverfassungsgericht hatte die deutsche Regelung 2010 gekippt. Seitdem streiten die Regierungsparteien Union und FDP über eine Neufassung. Im Frühjahr 2012 verklagte Brüssel die Bundesregierung dann vor dem EuGH wegen der schleppenden Umsetzung der EU-Gesetzgebung. Das entsprechende Verfahren läuft. Die Luxemburger Richter fragten Vertreter der EU-Kommission nun, ob mit den Daten Persönlichkeitsprofile zu Gewohnheiten und dem sozialen Umfeld von Bürgern erstellt werden könnten – und ob solche Eingriffe in deren Grundrechte gerechtfertigt seien. Zudem forderten sie Aufklärung darüber, ob Eingriffe „auf das absolut Notwendige“ beschränkt würden.

Die klagende irische Organisation Digital Rights warf der EU vor, die Folgen der Richtlinie nicht ausreichend abgeschätzt zu haben. Es seien nicht genügend Tatsachen dafür vorgetragen worden, warum die Speicherung der Daten „nützlich“ sein solle. Auch sei der Zeitraum der Speicherpflicht von mindestens sechs Monaten „exzessiv“. Rechtsanwalt Gerald Otto, Vertreter eines österreichischen Klägers, kritisierte, dass mit den Vorratsdaten Persönlichkeitsprofile erstellt werden könnten. Der Vertreter des Landes Österreich wandte hingegen ein, dass im vergangenen Jahr 56 Fälle maßgeblich mithilfe von Vorratsdaten aufgeklärt worden seien. Auch der Vertreter Irlands sagte, die Daten spielten zur Verbrechensaufklärung eine wichtige Rolle. Im Fall Österreich gibt es demnach 6000 bis 10.000 Anträge auf Datenabruf jährlich. Viele davon beziehen sich aber auf Fälle von Diebstahl und Stalking – nach schweren Verbrechen oder Terrorverdacht suchten die Richter vergeblich. Auf die Frage, ob diese Delikte in Österreich zur schweren Kriminalität zählten, gestand der Vertreter des Landes ein: „Terrorismus dezidiert ist hier nicht aufgeschienen.“ Zu organisierter Kriminalität könne er auf Basis der Zahlen auch nichts sagen.

EU-Innenkommissarin Cecilia Malström will die Nutzung der gespeicherten Daten künftig nur noch zur Bekämpfung von Terrorismus und schweren Verbrechen zulassen. Nach derzeitigem EU-Recht können die Daten nämlich auch zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ genutzt werden. Das in einigen Monaten erwartete Urteil aus Luxemburg könnte tiefgreifende Änderungen der EU-Richtlinie nach sich ziehen – und somit auch das weitere Verfahren wegen deren schleppender Umsetzung durch die Bundesrepublik maßgeblich beeinflussen.

Die Innenminister von CDU und CSU erklärten indes nach einem Treffen in Nürnberg, Extremismus und Kriminalität könnten in einer globalisierten Welt nur durch adäquate Mittel bekämpft werden. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte der „Bild“-Zeitung, zum Schutz der Bürger müssten die Verbindungsdaten eine Zeit lang gespeichert werden. „Dabei muss der Schutz vor unberechtigtem Zugriff in der Privatsphäre stets gewährleistet werden.“ Im Unionswahlprogramm ist der Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ inzwischen durch den der „Mindestspeicherfrist“ ersetzt worden. Die Liberalen bekräftigten hingegen ihr Nein zur anlasslosen Datensammlung: Die Vorratsdatenspeicherung gehöre „in die Geschichtsbücher und nicht in die nationalen Gesetze“, hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gesagt.

Ähnlichkeiten zwischen den Überwachungsprogrammen von amerikanischen sowie britischen Geheimdiensten einerseits und der Vorratsdatenspeicherung nach EU-Richtlinie andererseits gibt es zwar bei der Art der gespeicherten Daten. Doch es gibt zugleich einen großen Unterschied: Die Geheimdienste zielen darauf ab, anlasslos möglichst umfassend Zugriff auf Daten zu bekommen. Nach der EU-Richtlinie ist eine staatliche Verwendung der Daten – etwa durch die Polizei – hingegen nur möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.