Drei lateinamerikanische Präsidenten bieten ehemaligem US-Geheimdienstmitarbeiter Asyl. BND und deutsche Politik geraten in Affäre unter Druck

Washington/ Berlin. Viele Europäer feiern Edward Snowden als einen mutigen Informanten, der die Spionage der USA gegen ihre Länder enthüllte. Für Lateinamerikaner ist der 30-Jährige der David, der zusammen mit den Präsidenten von Venezuela, Bolivien und Nicaragua dem als Goliath empfundenen mächtigen Nachbarn die Stirn bietet. Snowden wird weiterhin im Transitbereich des internationalen Flughafens Scheremetjewo in Moskau vermutet. Von dort aus hatte Snowden zunächst 20 Asylanträge gestellt, darunter an Russland, China, Deutschland und mehrere lateinamerikanische Länder. Erfolglos.

Am Freitag boten die Präsidenten von Venezuela und Nicaragua, Nicolas Maduro und Daniel Ortega, Snowden Asyl an. Am Wochenende schloss sich Evo Morales aus Bolivien dieser Initiative an. Am Dienstag hatten offenkundig auf Wink der USA Frankreich, Spanien, Italien und Portugal einen Flug der Regierungsmaschine von Morales von Moskau nach La Paz massiv behindert, weil Snowden an Bord vermutet wurde. Morales war – nach bolivianischen Angaben – wegen verweigerter Überflugrechte und vorenthaltener Genehmigungen zum Nachtanken zur Zwischenlandung in Wien gezwungen worden. Das hatte in Lateinamerika zu wütenden Protesten und letztlich wohl zu den Asylangeboten geführt. Man habe sich entschlossen, „dem jungen Amerikaner Edward Snowden Asyl aus humanitären Gründen anzubieten, damit er leben kann ohne Verfolgung durch das Empire“, sagte Venezuelas Präsident Maduro. Er solle „in das Vaterland von Bolívar und Chávez kommen und frei von der imperialistischen Verfolgung Nordamerikas leben können.“ In Nicaragua sagte Präsident Ortega eine Spur zurückhaltender, er sei ebenfalls bereit zu einem Asylangebot, „falls die Umstände dies erlauben“. Und Morales konstatierte: „Wir haben keine Angst davor, diesem Nordamerikaner Asyl zu gewähren, der von seinen eigenen Landsleuten verfolgt wird.“

Inzwischen wurde bekannt, dass es offenbar auch in Lateinamerika massive Spionageangriffe der USA gegeben hat. In Brasilien seien Millionen von E-Mails und Telefonaten angezapft worden, berichtete die Zeitung „O Globo“. Den Artikel in dem brasilianischen Blatt hatte „Guardian“-Enthüller Glenn Greenwald gemeinsam mit „O Globo“-Kollegen verfasst. Die Eingriffe seien „über Jahre und systematisch“ erfolgt.

In der Affäre um die massenhafte Ausspähung von Bundesbürgern durch den US-Geheimdienst NSA gerät jetzt auch die deutsche Spionageabwehr unter Druck. Snowden verwies auf die internationale Zusammenarbeit seines ehemaligen Arbeitgebers: „Die stecken unter einer Decke mit den Deutschen, genauso wie mit den meisten anderen westlichen Staaten“, sagte er in einem vom „Spiegel“ veröffentlichten Interview. Weltweit werde massiv die Privatsphäre von Menschen missachtet. Bei der Zusammenarbeit der Dienste werde darauf geachtet, die jeweiligen Regierungen nicht zu kompromittieren.

„Die anderen Behörden fragen uns nicht, woher wir die Hinweise haben, und wir fragen sie nach nichts.“ Dadurch würden die politischen Spitzen geschützt, falls Aktionen publik würden. Snowden sagte in dem Interview weiter, die NSA arbeite mit Telekom-Firmen zusammen. „Generell kann man sagen, dass man multinationalen Konzernen mit Sitz in den USA nicht trauen sollte.“ Die Deutsche Telekom hat nach den Worten ihres Chefs Rene Obermann nicht mit der NSA zusammengearbeitet. „Wir kooperieren nicht mit ausländischen Geheimdiensten“, sagte er dem Deutschlandfunk.

Das Gespräch mit Snowden führten dem „Spiegel“ zufolge der amerikanische Chiffrier-Experte Jacob Appelbaum und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras mithilfe verschlüsselter E-Mails, kurz bevor Snowden die umfangreiche Spähaktionen der USA enthüllte. Der „Spiegel“ berichtete, der Bundesnachrichtendienst (BND) werte mithilfe von NSA-Technik den aus dem Nahen Osten kommenden Telefon- und Internet-Verkehr aus. Dass die Zusammenarbeit zwischen NSA und BND enger als bislang bekannt sein könnte, vermutet auch der Ex-Präsident des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz, Gert Rene Polli. Ihm sei das Spähprogramm Prism unter anderem Namen bekannt gewesen, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Daher sei es „widersinnig und unnatürlich“, wenn deutsche Behörden nicht davon gewusst hätten. Der FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle sagte der ARD, es sei schwer zu beurteilen, ob der BND von den Ausspähungen gewusst habe.

Der BND war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Der Bundesverfassungsschutz hatte bereits früher erklärt, erst aus den Medien von Prism erfahren zu haben. Nach von Snowden veröffentlichten Unterlagen soll die NSA jeden Monat auf rund 500 Millionen Kommunikationsvorgänge in Deutschland zugreifen. Dem Bericht zufolge darf der BND bis zu 20 Prozent der Daten verwerten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bemühte sich um Schadensbegrenzung und warnte davor, den Start der Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU am heutigen Montag aus Verärgerung über die angeblich systematische Auswertung der Datenströme platzen zu lassen. Merkel verwahrte sich gegen die Ausspähungen. „Abhören, das geht nicht unter Freunden“, sagte die CDU-Vorsitzende. Die Verhandlungen über die Freihandelszone sollten aber „ganz gezielt“ geführt werden. Bei der Arbeit der Geheimdienste müsse eine Balance zwischen dem Schutz vor dem Terror und dem Schutz persönlicher Daten gefunden werden. Diese Balance müsse mit den USA erörtert werden.

Mehrere Koalitionspolitiker hatten nach Bekanntwerden der Spionage-Affäre Konsequenzen für das geplante Freihandelsabkommen gefordert. „Es kann kein Abkommen geben, ohne die Frage der Wirtschaftsspionage sauber und vertrauensvoll zu klären“, sagte Brüderle. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte hingegen vor einer Verzögerung des Abkommens und verwies auf den erwarteten Schub für Wirtschaft und Arbeitsplätze durch die Freihandelszone.