Der Bundesumweltminister tritt in Hamburg als Motivator auf. Für die steigenden Strompreise aber seien andere verantwortlich, sagt er.

Hamburg. Peter Altmaier steht auf der Bühne im Saal der Hamburger Handelskammer und tupft sich mit einem Tuch die glänzende Stirn ab. Der Bundesumweltminister hat gerade eine Dreiviertelstunde für die Energiewende geworben, so wie er es seit Monaten macht. Mit lauter Stimme für die Chancen der Innovationen, für die Pflicht zum Handeln im Kampf gegen den Kohlendioxid-Ausstoß, gegen den steigenden Strompreis und zu hohe Belastungen für die Industriebetriebe. Seine Anekdoten hat er parat, seine Spannungsbögen auch, er spricht ohne Manuskript. Jetzt geht es in die Schlusskurve. „Stellen Sie sich vor, Deutschland müsste in wenigen Jahren den gesamten Flugverkehr vom Flughafen in Frankfurt umsiedeln nach Hamburg. Und das alles ohne Verspätungen und Zusammenstöße.“ So ungefähr müsse man sich den Kraftakt der Energiewende vorstellen. Altmaier findet, dieses Bild passt gut. Die Leute verstehen, dass das mit den Flügen aufwendig ist. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sitzt in der ersten Reihe im Saal. „Wir haben in Hamburg Kapazitäten“, ruft er Altmaier zu. Lachen im Saal. Altmaier schmunzelt.

Es ist ein lockerer Moment in einer Debatte, die in den vergangenen Monaten vor allem an Verbissenheit gewonnen hat: Die Energiewende stocke, die Preise für Strom stiegen an, die Industrie befürchte den Verlust von Arbeitsplätzen und die Hersteller von regenerativer Energie seien verunsichert, ob sich Investitionen in Strom aus Sonne, Wasser und Wind künftig noch lohnen – das sind die weniger stimmungsvollen Töne, die die Energiewende derzeit begleiten. Altmaier sagt in Hamburg: „Ich bin nach einem Jahr als Umweltminister mehr denn je überzeugt von der Energiewende.“ Er weiß, er ist nicht nur Minister. Altmaier will Motivator sein.

Bei der Diskussion in Hamburg ist der Strompreis das beherrschende Thema

Vor allem ein Thema dominiert die Diskussion in der Handelskammer: der Strompreis. Der CDU-Politiker hebt hervor, dass die Energiewende nicht „zum Nulltarif“ zu haben sei. Doch der Preisanstieg sei enorm. Auch dafür hat Altmaier in der Handelskammer eine Geschichte parat: Früher hieß es, der Stromkunde kriege für den Preis einer Kilowattstunde eine Kugel Eis. „Heute kriegen Sie die ganze Eis-Palette“, sagt Altmaier. Und Altmaier warnt, der Energiewendezuschlag und damit der Preis für jede Kilowattstunde Strom werde für den Verbraucher weiter steigen. Der Minister rechnet mit etwa 6,4 Cent Zuschlag 2014, derzeit sind es 5,3 Cent.

Altmaier sieht vor allem zwei Ursachen für die steigenden Preise: Zum einen gehe der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller voran als anfangs vorhergesagt. Das führe dazu, dass die vom Staat zugesagten Vergütungen für Produzenten von Windkraft, Sonnenenergie und Wasserkraft nun schneller und im höheren Umfang ausgeschüttet würden. Zum anderen lehnten die Bundesländer eine von Altmaier vorgeschlagene Strompreisbremse ab. Altmaiers Ziel war es, die Umlage bei 5,3 Cent pro Kilowattstunde zu halten. Die Erzeuger erneuerbarer Energien sollten geringere Zuschüsse erhalten, die Industrie sollte stärker als bisher die finanziellen Lasten der Energiewende mittragen und die privaten Haushalte so entlasten. Die Opposition und einige Wirtschaftswissenschaftler hatten diese Art der Preisbremse als wenig effektiv kritisiert. Die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), argumentierten die Kritiker, sei deshalb so hoch, weil der Emissionshandel in Europa nicht funktioniere und das die Preise an der Strombörse drücke. Fällt der Erlös an der Börse, muss der Staat den Produzenten von Erneuerbaren mehr zahlen, um die zugesagten Einspeisevergütungen einzuhalten.

Von den Bundesländern wünscht sich Altmaier mehr Bereitschaft zu Kompromissen, um zügig ein bundesweites Konzept für den weiteren Ausbau der verschiedenen erneuerbaren Energieformen zu erzielen. Gerade bei der Entlastung sogenannter energieintensiver Industriebetriebe von der EEG-Umlage würden die Landesregierungen kaum die Standorte in der eigenen Region prüfen. Die Opposition kritisiert, dass auch Hähnchenmastbetriebe, Braunkohlekonzerne und Rechenzentren von der EEG-Umlage weitestgehend befreit sind. 2012 mussten bundesweit 979 Firmenstandorte die Umlage gar nicht zahlen, 2013 sind es mittlerweile mehr als 2200.

Bürgermeister Scholz sagt bei der Diskussion in der Handelskammer: „Ich habe die Unternehmen geprüft. Alle Hamburger Betriebe auf der Liste verdienen die Entlastung bei der Umlage.“ Martin Iffert, der Vorstandsvorsitzende der Trimet Aluminium AG, sitzt neben Scholz auf dem Podium. Er sagt: Würde sein Unternehmen die volle EEG-Umlage zahlen, stiegen die Kosten für Energie um 250 Millionen Euro – das Zehnfache des Betriebsgewinns. „Wir könnten sofort Insolvenz anmelden“, sagt Iffert.

Nach der Debatte in der Kammer fährt der Minister zum „Haus der Zukunft“ an der Osterstraße. Altmaier ist zu Besuch beim „Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management“, B.A.U.M. e.V. Das Symbol des Vereins verbindet einen Baum mit einem Zahnrad, Umwelt mit Wirtschaft also. Der Verein ist mit 550 Mitgliedern die größte Umweltschutzinitiative der Wirtschaft in Europa. Vom Traditionsunternehmen bis zum Bio-Pionier sind dort Firmen vertreten. Aus Hamburg etwa Airbus, Beiersdorf oder Fielmann. Der Raum an der Osterstraße ist eng gefüllt, viele sind gekommen, die Luft ist warm. Obwohl Altmaier eigentlich schnell weiter muss zu einer Konferenz nach Paris, hört er sich die Ideen der Unternehmer an, wie das mit der Energiewende schneller und günstiger funktionieren kann. Sie überreichen dem Minister Studien, Broschüren und Zeitschriften. Neben dem Pult wächst Altmaiers Stapel. Der Minister lächelt, schüttelt Hände, posiert für die Kameras. Einige Zuhörer stellen Altmaier ihre Ideen vor, und wie Iffert von Trimet Aluminium warnen auch sie: nur in die andere Richtung. B.A.U.M. wünscht sich noch stärkere Investitionen in energieeffiziente Techniken und Klimaschutzprojekte. „Allein der Austausch von etwa 15 Millionen veralteten, ineffizienten Heizungsanlagen würde für die deutschen Heizungsbauer einen Umsatz von circa 90 bis 120 Milliarden Euro und den Staat eine zusätzliche Mehrwertsteuereinnahme von 17 bis 23 Milliarden Euro bedeuten“, sagt der Vorsitzende des Vereins, Professor Maximilian Gege. Ein junger Unternehmer kritisiert, dass vor allem eines in der Debatte über den hohen Strompreis fehle: Die enormen Steuergeschenke an Betreiber von Kohle- und Atomkraftwerken.

Altmaier stellt sich darauf ein. Er spricht diesmal viel von der Kraft der Innovation durch die Energiewende und die Risiken durch den Hunger nach Wachstum in China. Ein Professor habe ihn neulich beeindruckt, erzählt er. „Der überlegt, ob man nicht Oberleitungen für Strom über Autobahnen bauen könnte.“ So wie es schon bei der Bahn funktioniert. Laster führen nicht mehr mit Diesel, sondern mit Ökostrom. Das seien wunderbare Ideen, mit denen Deutschland Vorreiter sein kann. Altmaier ist jetzt wieder der Motivator.