Kritik an deutscher Haltung zu Protesten. Beitrittsverhandlungen nach nächstem Fortschrittsbericht

Luxemburg. Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei scheinen trotz der Proteste in Istanbul weiterzugehen. Deutschland hat vorgeschlagen, am Mittwoch das Kapitel über Regionalpolitik zu eröffnen, sagten deutsche Diplomaten. Die Verhandlungen sollten aber erst im Licht des nächsten Fortschrittsberichts der EU-Kommission über die Lage in der Türkei beginnen. Dieser Bericht wird üblicherweise im Oktober vorgelegt.

Nachdem der Konflikt um die EU-Annäherung der Türkei zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Berlin und Ankara geführt hat, bemühte sich Deutschland um diesen Kompromiss. Bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Luxemburg sagte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP), es müssten die „strategischen, langfristigen Entwicklungen gerade im Verhältnis zur Türkei“ berücksichtigt werden. Der türkische Europaminister Egemen Bagis beteuerte, seine als Drohung Richtung Berlin aufgefassten Äußerungen seien „komplett falsch verstanden“ worden.

„Für uns ist völlig klar, dass die Eskalation, die in den letzten Wochen stattgefunden hat, alles andere als gut gewesen ist“, sagte Westerwelle. Er erneuerte damit zwar seine Kritik an dem harten Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen regierungskritische Demonstranten. „Auf der anderen Seite ist aber ebenso klar, dass wir den Gesprächsfaden zur Türkei weder abreißen lassen noch dass wir ihn ausdünnen.“ In Beratungen der EU-Botschafter hatten es Deutschland und die Niederlande als einzige EU-Länder abgelehnt, am Mittwoch erstmals seit drei Jahren wieder ein neues Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu eröffnen. Die Entscheidung hatte bei der Regierung in Ankara Empörung hervorgerufen.

Aus anderen Ländern war zuvor Kritik an einer Blockade der Beitrittsgespräche laut geworden. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte vor einem „Stillstand“: „Meine Meinung ist, dass wir diesen Fehler nicht machen dürfen.“ Denn das schade weniger der Regierung als den „Millionen von Menschen“ in der Türkei, die ihre Hoffnung in die EU setzten, sagte Asselborn.

Schwedens Außenminister Carl Bildt forderte, den bisherigen Verhandlungskurs nicht aufgrund „kurzfristiger Launen“ aufzugeben: „Die EU ist eine strategische Einheit, die strategische Politik macht. Wir werden nicht durch kurzfristige Ereignisse geleitet.“ Dagegen mahnte der österreichische Außenminister Michael Spindelegger: „Der wesentliche Punkt ist, dass die Situation in der Türkei einfließt in unsere Beratungen, da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“

Der türkische Europaminister Egemen Bagis bemühte sich ebenfalls um einen versöhnlicheren Tonfall. „Wir brauchen die EU, und die EU braucht uns“, sagte Bagis der „Süddeutschen Zeitung“. Bagis stellte jedoch auch klar, dass die Türkei an einer „Antwort“ arbeite, falls das Beitrittskapitel nicht eröffnet werde. Er könne zwar nicht preisgeben, wie diese aussehen werde: „Nur so viel, die Türkei hat auch noch andere Optionen“, sagte der türkische Europaminister.