Der US-Präsident verteidigt die Ausspähung des Internets und spricht von „richtiger Balance“. Merkel verlangt Verhältnismäßigkeit

Berlin. Schloss Bellevue war das erste, was US-Präsident Barack Obama von Berlin sah. Dort traf er sich am Mittwochmorgen mit Bundespräsident Joachim Gauck. Am Vorabend war er zwar recht früh mit seiner Frau Michelle und den Töchtern Sasha und Malia vom G-8-Gipfel in Nordirland kommend in Berlin-Tegel gelandet. Sein Vorgänger Bill Clinton war einst spontan mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer im Restaurant „Gugelhof“ im Stadtbezirk Prenzlauer Berg erschienen. Doch Obama blieb im Hotel und ließ die Gelegenheit zu einer Geste besonderer Vertrautheit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verstreichen.

Dafür gerät nicht nur das Gespräch im Kanzleramt, sondern auch die anschließenden Pressekonferenz besonders lang: Fast eine Stunde stellen sich die beiden den Fragen der Journalisten, wobei Barack Obama einen Redeanteil von mindestens zwei Dritteln hat. Angela Merkel ordnet den Besuch kurz historisch ein: Frühere Präsidenten hätten an einem geschlossenen Brandenburger Tor gesprochen, nun sei es „durchlässig“. Als Zukunftsaufgabe definiert sie das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU. Dies „wäre auch ein Bekenntnis zu einer globalen Welt, in der sich gemeinsame Werte und gemeinsamer Handel gestalten lassen“.

Dann sprach die Kanzlerin über das amerikanische Internet-Spähprogramm Prism . Sie habe mit Obama über „Möglichkeiten und Gefahren“ gesprochen: „Das Internet ist für uns alle Neuland, es ermöglicht unseren Feinden auch, unsere Art zu leben, in Gefahr zu bringen.“ Sie spricht die Sauerland-Gruppe von sich aus an – also einen Terrorakt, der in Deutschland durch einen Hinweis amerikanischer Nachrichtendienste verhindert werden konnte. Ein kluger Schachzug, der ihr Spielraum für Kritik bietet: „Balance“ und „Verhältnismäßigkeit“ müssten nun hergestellt werden. Im Klartext: Eure Überwachung war unverhältnismäßig.

Merkel lehnt Waffenlieferungen Deutschlands an syrische Rebellen ab

Obama, der von seinem Botschafter darauf vorbereitet worden war, dass Prism in Deutschland ein viel größeres Thema ist als in den Vereinigten Staaten, argumentiert differenziert: 50 Anschläge seien durch die Überwachung verhindert worden. Er habe sie dennoch bei Amtsantritt umstrukturiert und sei zuversichtlich, „dass wir jetzt die richtige Balance haben“. Im Klartext: Unsere Überwachung war nicht unverhältnismäßig. Auf die Frage nach dem amerikanischen Drohnenprogramm offenbarte Obama einen kleine Überraschung. Er verteidigt diese Art der Kriegführung, erklärt dann aber: „Ich kann jedoch bekräftigen, dass wir Deutschland nicht als Ausgangspunkt für bewaffnete Drohnen verwenden.“ Zwei Mal versucht Obama, die Atmosphäre der Pressekonferenz durch Scherze über das heiße Wetter und die Deutschkenntnisse eines Korrespondenten zu lockern – vergeblich. Zeitweise droht die Veranstaltung in ein Verhör abzugleiten.

Einig sind sich die beiden Regierungschefs darin, dass es in Syrien eine Zukunft ohne Präsident Assad geben muss, der nach 100.000 Toten jede Legitimität verloren habe. Uneinig ist man sich über die Mittel. Merkel schließt deutsche Waffenlieferung an die Rebellen aus – diesmal nicht mit dem Argument der möglichen Bewaffnung der Falschen, sondern nur noch mit der Begründung, die deutsche Rechtslage gebe dies nicht her. Obama hingegen hält sich die Option offen, betont aber, er wolle „keinen Krieg führen, sondern einen beenden“.

Obama spricht sich für mehr Investitionen gegen die Euro-Krise aus

Die Differenzen bei der Euro-Rettung, die seit Jahren zwischen Merkel und Obama stehen, deuten sich ebenfalls an: Der Präsident sagt, einige Staaten seien bei den Strukturreformen „weit vorgeprescht“, es gebe aber „kein Patentrezept“. Eine kaum verhohlene Kritik an der Krisenbewältigung durch Reformen, die Merkel in Europa durchsetzt. Obama sagt: „Wir müssen den Schwerpunkt beim Wachstum legen.“ Schon lange dringen die USA auf höhere Staatsausgaben Deutschlands zur europäischen Konjunkturförderung.

Der eigentlich große Auftritt erfolgt am Nachmittag vor dem Brandenburger Tor. Nach einer kurzen Ansprache von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereiet (SPD) erinnert Merkel an den bleibenden Wert der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Auch im 21. Jahrhundert gebe es „keine besseren Partner“. Merkel duzte Obama auch auf deutsch, doch der hört offensichtlich nicht immer richtig hin. Denn als die Kanzlerin ihn ganz zu Beginn ihrer Rede offiziell begrüßt, glaubt er, schon an der Reihe zu sein, und steht auf. „Not yet“, noch nicht, kann Merkel ihn lachend abwehrend.

Obama zieht sein Jackett aus und versucht seine Vision in die große Erzählung vom freien Berlin einzuweben. Dies wirkte etwas bemüht. Das Versprechen, das amerikanische Nuklearwaffenarsenal zu reduzieren, ist in der Sache bemerkenswert. Die transatlantische Freihandelszone, in die Merkel so viel Hoffnung setzt, erwähnt der Präsident nicht. Am Ende seiner Rede, die insgesamt 28 Minuten dauert, wirkt der Gast aus den USA erleichtert.