Der 47 Jahre alte niedersächsische CDU-Politiker wechselt in die Industrie. Die Opposition gibt sich empört. Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt allerdings gelassen.

Berlin. Wenn Politiker aus einem Regierungsamt beruflich umsteigen, dann können sie was erleben. Denn dann werden sie von der jeweiligen Opposition gejagt, die ihnen Verquickung von Staats- und Wirtschaftsinteressen vorwirft – und die eigennützige Verwendung von Erfahrungen und Kontakten, die in einem steuerfinanzierten Amt gewonnen wurden. So ging es Gerhard Schröder bei seinem Wechsel zur Nordstream-Pipeline, Roland Koch bei seinem Wechsel zu Bilfinger und Norbert Röttgen bei seinem gescheiterten Wechsel zum BDI.

So ergeht es nun auch dem 47 Jahre alten niedersächsischen CDU-Politiker Eckart von Klaeden, Staatsminister im Kanzleramt und ein enger Vertrauter Angela Merkels. Der künftige Daimler-Cheflobbyist für den Weltmarkt außerhalb Europas könne seine Regierungsaufgaben ab sofort nicht mehr unbefangen wahrnehmen, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, im Team Steinbrück zuständig für Innen- und Rechtspolitik. Es gebe eine „absolute Unvereinbarkeit“; unabhängige Entscheidungen seien nicht mehr möglich, „wenn man sich schon privat verpflichtet hat“. Die Kanzlerin müsse ihn umgehend entlassen.

Angela Merkel konterte mit dem Verweis auf eine Amtsvorgängerin Klaedens, Hildegard Müller. Die 45 Jahre alte nordrhein-westfälische CDU-Politikerin war im Juli 2008 aus familiären Gründen als Hauptgeschäftsführerin zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft gewechselt. Ihre Tochter war damals knapp eineinhalb Jahre alt, und die Zeit für sie wurde kostbar. Merkel verwies darauf, dass damals die SPD „mit am Regierungstisch“ gesessen und mit Blick auf Müllers Wechsel „in keiner Weise irgendetwas anstößig dabei gefunden“ habe. Beide Fälle seien vergleichbar. „Das, was damals galt, sollte auch heute gelten.“

In der Tat sind die Fälle in gewisser Weise vergleichbar. Eckart von Klaeden, dessen Bruder für die Axel Springer AG arbeitet, gehört wie Hildegard Müller zum Kreis der jüngeren CDU-Politiker, die Merkel seit 1990 kennt und seit der Übernahme des CDU-Vorsitzes 2000 gefördert hat. Klaeden hat drei junge Töchter, die er in seinem Doppelamt als Staatsminister und Bundestagsabgeordneter kaum zu Gesicht bekommt. In einem Brief an seinen Hildesheimer CDU-Kreisverband schrieb Klaeden: „In den letzten Jahren habe ich im Durchschnitt lediglich zwei Nächte pro Woche in Hildesheim verbringen können. Die wenigen Tage zu Hause waren mit zahlreichen Wahlkreisterminen gefüllt. Auch wenn ich in meiner neuen Aufgabe viel arbeiten und unterwegs sein werde, besteht doch die Möglichkeit, Arbeits- und Wohnort zusammenzuführen und so mehr Zeit mit meiner Familie verbringen zu können.“

Die drastisch eingeschränkte Zeit für die eigene Familie ist ein oft übersehener Aspekt des politischen Lebens, das unterscheidet Politiker auch von den vielen üblichen Wochenend-Ehen. Sonnabend und Sonntag sind Arbeitstage mit Freizeitblöcken. Wie sehr auch immer eine Politikerfamilie anfangs beschließt, die Aufgaben schon meistern zu können – nach einer gewissen Zeit, und angesichts der Erfordernisse beim Älterwerden der Kinder setzt nicht selten ein Umdenken ein. Die privaten Lasten sind ungleich verteilt. Und wer glaubte, politisch aktive Mütter und Väter suchten sich gezielt eine Aufgabe, in der sie ihrer Familie entkommen können, hätte ein trügerisches Weltbild. Eckart von Klaeden liebt seine Familie, aber die Realität ließ ihm bisher nicht allzu viel Raum dafür.

Die frühzeitige Bekanntgabe des Wechsels begründete der Jurist damit, dass er seine Parteigremien nicht als gerade wiedergewählter Abgeordneter vor vollendete Tatsachen stellen wollte. Er halte es den Wählern gegenüber für „unredlich, anzutreten und dann relativ kurz nach der Wahl das Mandat aufzugeben, wie es einige andere, bekanntere Politiker getan haben“, schrieb Klaeden. Natürlich sorgt sein Ausscheiden aber trotzdem für Spekulationen. Angela Merkel verliert allmählich ihren ganzen politischen Nachwuchs – so ungefähr lässt sich das zusammenfassen.

Kurz vor einer Wahl, deren Aussichten für Merkel derzeit als gut, aber nicht als glänzend empfunden werden, sieht der Abgang eines engen Vertrauten aus wie ein Zeichen, rechtzeitig Land gewinnen zu wollen. Klaeden verwies in seinem Schreiben an den CDU-Kreisverband darauf, dass der Chef des Umfrageinstituts Forsa die Ausgangslage für die Union als „sehr gut und deutlich besser als bei der letzten Wahl 2009“ einschätze. Forsa gilt in manchen Kreisen als SPD-geneigt. Dennoch aber wird der Abgang des ehemaligen außenpolitischen Sprechers der Unionsfraktion aufmerksam registriert. Geht er, weil ein Ministeramt nicht in Sicht ist? Geht er, weil er sich mit der Bundeskanzlerin überworfen hat?

Nach allem, was zu hören ist, kann das mit einiger Sicherheit ausgeschlossen werden. Ministrabel war er, so wie auch Hildegard Müller. Es ist auch nicht bekannt, dass Klaeden je seine Loyalität zur Kanzlerin infrage gestellt hätte. Man war nicht bei allen Themen immer hundertprozentig einer Meinung, das wäre für einen Abgeordneten auch ungewöhnlich. Aber es ist nie bekannt geworden, dass Klaeden auf eine ähnliche Weise hinter Merkels Rücken gestichelt hätte wie manche andere. Und in Berlin werden solche Sticheleien gern eifrig weitererzählt, da gibt es tolle Geschichten.

Man kann manche Betrachtungen daran knüpfen, ob die Themenbereiche des Staatsministers Klaeden – Bürokratieabbau und Bund-Länder-Koordinierung – auf Dauer für einen außenpolitisch interessierten Politiker erfüllend sein konnten. Man kann auch das eine oder andere Puzzlesteinchen mit Blick auf innerparteiliche Kräftebalancen der CDU hin- und herbewegen und sich fragen, was das für die Ministerpersonalien der nächsten Amtsperiode bedeuten könnte – vorausgesetzt, Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin. Es ergibt aber mehr Sinn, sich tatsächlich zu vergegenwärtigen, was ein 47-Jähriger mit 20 Jahren Politikerfahrung denkt, wenn er seine Familie de facto ohne ihn aufwachsen sieht. Und wenn dann ein Angebot kommt, das finanziell so attraktiv ist, dass man der Familie künftig manches bieten kann, was zuvor außer jeder Reichweite gelegen hat.