An diesem Mittwoch startet in Hannover die Frühjahrskonferenz der Innenminister. Der Vorsitzende, Boris Pistorius, spricht über Chaoten beim Fußball und Alkohol beim Radfahren.

Berlin. Bei der an diesem Mittwoch in Hannover startenden Frühjahrskonferenz wollen sich die Innenminister von Bund und Ländern mit insgesamt rund 40 Themen beschäftigen. Dabei geht es um die Reform des Verfassungsschutzes – aber auch um die Sicherheit bei Fußballspielen oder die Promillegrenze für Radfahrer.

Hamburger Abendblatt: Am vergangenen Wochenende gab es in Hannover nach einem Bundesligaspiel wieder mehrere Verletzte. Wie groß ist das Ausmaß der Gewalt in deutschen Stadien?
Boris Pistorius: Die Situation lässt sich schwer überschauen. Das Hauptproblem liegt nämlich oft nicht in den Stadien, sondern davor oder bei An- und Abreise zu den Spielen. Auch mit Sieg oder Niederlage des eigenen Teams hat die Gewaltbereitschaft mancher nichts zu tun. Dennoch: Es kommt immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen. Und das können wir nicht akzeptieren.

Welche Zahlen liegen Ihnen genau vor?
Pistorius: Bundesweit waren für die Saison 2011/2012 rund 16.500 Personen dem gewaltbereiten Spektrum im Fußballbereich zuzuordnen. Alarmierend sind die neuesten Zahlen für die abgelaufene Saison in den beiden Bundesligen: Insgesamt gab es 788 Verletzte, 242 davon waren verletzte Polizisten.

Was müssen die Deutsche Fußball Liga (DFL) und der DFB dagegen tun? Die Innenministerkonferenz (IMK) diskutiert schon seit Langem mit den Fußballverbänden.
Pistorius: Für die Präventionsarbeit sind DFL und DFB mit verantwortlich. Und die Sicherheit außerhalb der Stadien müssen die Sicherheitsbehörden gewährleisten, also Bundes- und Länderpolizei. Es zeichnet sich eine Einigung auf der IMK ab. DFB und DFL wollen darlegen, was sie gegen Gewalt bereits getan haben, und was sie in Zukunft unternehmen möchten. Ich denke, dass das im Kreis der Innenminister auf Zustimmung stoßen wird. Mit beiden Organisationen sind wir uns einig, dass wir bei Prävention und Repression nicht nachlassen dürfen und alles getan werden muss, um gegen Gewalt vorzugehen.

Sollen die Vereine künftig für Polizeieinsätze zahlen?
Pistorius: Das kann nur die Ultima Ratio sein. Erst wenn sämtliche Maßnahmen von Vereinen, DFL, DFB und Sicherheitsbehörden nicht greifen, wird man das in Erwägung ziehen müssen. Ich bin jedoch der Meinung, dass das Herstellen von Sicherheit im öffentlichen Raum Aufgabe der Polizei und von niemand anderem ist.

Vor allem von Stehplätzen aus werden Steine oder Flaschen geworfen. Es gibt Brandverletzungen durch Pyrotechnik und Hörschäden durch Böllerwürfe. Sollten die Stehplätze wie in Großbritannien abgeschafft werden?Pistorius: Nein. Ich halte nichts davon, die Zuschauer auf den Stehplätzen für das Fehlverhalten Einzelner verantwortlich zu machen. Wichtig ist, dass sich die ganz große Zahl der Zuschauer von diesen Tätern distanziert und sie damit isoliert. Pyrotechnik und Böller haben in unseren Fußballstadien nichts zu suchen.

Schon bei der An- und Abreise zu den Stadien kommt es zu Ausschreitungen. Sind Alkoholverbote in Zügen und im öffentlichen Personennahverkehr nötig?
Pistorius: Sie können punktuell ein wirksames Mittel sein – aber nur dann, wenn sie auch durchgesetzt werden können. Die Frage ist daher, ob genügend Polizeikräfte zur Verfügung gestellt werden können. Ansonsten ist das ein stumpfes Schwert.

Sie sind für eine bundeseinheitliche Straffreiheitsgrenze beim Besitz von Cannabis. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich will nicht darüber diskutieren. Warum bleiben Sie hartnäckig?
Pistorius: Ich fordere weder eine Erhöhung noch eine Straffreiheit, sondern nur eine einheitliche Grenze. Meine Heimatstadt Osnabrück liegt an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Dort werden sie ab zehn Gramm straffällig, in Niedersachsen ab sechs Gramm. Das ist so logisch, als würde man in einem Bundesland ein Bußgeld erhalten, wenn man bereits 20 Kilometer pro Stunde zu schnell fährt, jenseits der Landesgrenze aber erst bei 40 Stundenkilometern.

Eine der gefährlichsten Drogen ist weiterhin Alkohol. Hamburg hat bei der IMK angemeldet, den Grenzwert bei Radfahrern von 1,6 Promille abzusenken. Muss für Radfahrer nicht der gleiche Wert wie bei Autofahrern gelten?
Pistorius: Man kann nicht unbegrenzt Alkohol trinken und dann noch sicher mit dem Rad fahren. Das muss jedem Radfahrer bewusst sein. Am Ende geht es dabei natürlich auch um einen möglichen Grenzwert. Ich glaube allerdings nicht, dass es zielführend ist, die Marke auf die für Autofahrer geltende herunterzusetzen. Doch auch darüber muss man mit Fachleuten reden.

In Hannover soll es auch um die Standards bei der Führung von V-Leuten gehen. Was muss hier verändert werden?
Pistorius: Der Verfassungsschutz muss transparenter und die parlamentarische Kontrolle gestärkt werden. Wir brauchen einen Qualitätsstandard bei der Auswahl der V-Leute, damit Verlässlichkeit so weit wie möglich garantiert werden kann. Schließlich müssen sich die Sicherheitsbehörden untereinander über ihre V-Leute austauschen. Es geht also auch um die Schaffung einer zentralen V-Leute-Datei.

Die Länder wollen die rechtsextreme NPD verbieten. Kommt Ende Juni der Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht oder ist die Sache komplizierter als gedacht?
Pistorius: Nein. Es gibt nur in der Vorbereitung immer wieder die eine oder andere verfahrenstechnische Frage, für deren Beantwortung wir länger brauchen als zunächst gedacht. Ich gehe davon aus, dass wir deutlich vor der Bundestagswahl den Antrag einbringen.