Der Kanzlerkandidat der SPD stellt seine ersten Teammitglieder vor – und bietet Agenda-Kritiker Wiesehügel sogar ein Ministeramt an. Damit düpiert er Andrea Nahles

Berlin. Es ist Montagmittag, kurz vor 13 Uhr, da bietet Peer Steinbrück den Posten des Bundesminister für Arbeit und Soziales nach einer gewonnenen Wahl an. Der SPD-Kanzlerkandidat steht auf einem Podest im Atrium des Willy-Brandt-Hauses, neben ihm die ersten drei Mitglieder seines Kompetenzteams. Klaus Wiesehügel, 60 Jahre, Vollbart und Vorsitzender der IG Bau/Agrar/Umwelt ist einer von ihnen. Ob denn dieser Herr Wiesehügel, der künftig für die Themen Arbeit und Soziales zuständig sein soll, wirklich Minister werde, will ein Journalist von Steinbrück wissen. Für seine Verhältnisse etwas holperig antwortet Steinbrück zunächst, spricht vom Szenario eines „gewonnenen Sieges“. Dann aber antwortet er unmissverständlich: „Ja“, sagt Steinbrück, wenn Wiesehügel, einen Kabinettsposten „gerne wahrnehmen“ wolle, „dann wird er diesen Kabinettsposten gern bekommen“. Dieses Angebot kommt so plötzlich und unvermittelt daher, das sich allerlei Zuhörer wundern, und mancher sogleich fragt, was wohl Generalsekretärin Andrea Nahles dazu sagt.

Doch der Reihe nach: Zu einer Pressekonferenz hat Steinbrück geladen, nachdem die Namen seiner ersten drei Team-Mitglieder am Freitag durchgesickert waren. Nun also tritt der Kandidat mit Wiesehügel, der Berliner Designforscherin Gesche Joost und SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann auf das Holzpodest in der Parteizentrale. Das mediale Echo auf die Nominierung des krachledernen Gewerkschaftschefs Wiesehügels war ziemlich mies. Joost und Oppermann wiederum ernteten, immerhin, Schulterzucken mit Respekt.

Natürlich weiß Steinbrück, wie angreifbar er sich mit der Berufung des ziemlich wortmächtigen Agenda-2010-Kritikers Wiesehügel macht. Ein „breites Spektrum an Wählern“ müsse die SPD an sich binden, leitet er daher sein Statement ein. „Durchschlagskraft“ besitze Wiesehügel, „Wasserverdrängung“ beherrsche er, befindet Steinbrück. Das kann man wohl sagen. Man muss sich ein wenig Augen und Ohren reiben, wenn Steinbrück nun das Loblied singt auf einen „Gewerkschafter aus altem Schrot und Korn“.

Erst einmal aber tritt Gesche Joost an das Mikrofon, zehn Minuten lang redet die junge Wissenschaftlerin mit der Neugierde weckenden Berufsbezeichnung Designforscherin über ihr Themenfeld: die Netzpolitik. „Wow, die Hütte ist voll“, startet Joost und lächelt: „Das ist meine erste Pressekonferenz.“ So macht man das. Joost und „Herr Steinbrück“, wie sie sagt, kennen sich seit sieben Jahren. Und sie präsentiert, rhetorisch galant, einen Parforceritt durch ihr Thema. Von „digital divide“ und „digital natives“ ist da die Rede und von „Cybermobbing“, von Geschäftsmodellen im Netz und geistigem Eigentum. Seit 2010 ist die 38-Jährige als Professorin an der Universität der Künste Berlin tätig, als „Beamtin des Landes Berlin“, wie sie korrekt hinzufügt. Von hier aus will sie weiterwirken, neben ihrer Aufgabe im Kompetenzteam. „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit“, endet Joost nach zehn Minuten, während Peer Steinbrück sich, erkennbar glücklich über seine Wahl, auf der Bühne verbeugt.

Anders als Joost ist Thomas Oppermann ein alter Bekannter der Berliner Journalisten. Oppermann ist ein sprachmächtiger Mann, der in den vergangenen Jahren politischen Generalismus perfektioniert hat. Als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion äußerte er sich zu allem und jedem, meist pointiert, weshalb er schon als heimlicher Generalsekretär verstanden wurde. Künftig wird sich der Jurist aus dem niedersächsischen Göttingen auf die Innen- und Rechtspolitik konzentrieren. Er soll gewissermaßen Nachfolger des gefürchteten Otto Schily werden. Doch so ganz klappt es mit der Selbstbeschränkung auf die neuen Themen an diesem Montagmittag noch nicht.

Oppermann bemängelt zunächst „Streit und Stillstand“ in der Bundesregierung und verkündet, mit ihm werde es ein Ausspielen von Freiheit und Sicherheit nicht geben. Er plädiert noch für die doppelte Staatsbürgerschaft, um sogleich aus seinem neuen Themengebiet auszubüxen. Ein „erodierendes Rechtsbewusstsein“ konstatiert Oppermann und leitet dann über zu „exzessiven Boni-Zahlungen … millionenschwerer Steuerhinterziehung … Verwandtenbegünstigung durch die CSU … verlotterten Zuständen“. Womöglich übernimmt Oppermann künftig noch stärker die Abteilung Attacke, die er so schätzt. Dass nämlich die Innen- und Rechtspolitik kein Hauptthema des Wahlkampfes werde, das spricht er frank und frei aus.

Klaus Wiesehügel bleibt sich treu und denkt gar nicht daran sich zu verbiegen. Er dürfte Steinbrück noch allerlei Freude machen. „Ich weiß gar nicht, ob ich Danke sagen soll“, sagt er über seine neue Aufgabe und zitiert von sich aus Kommentierungen seiner Berufung: „Zu alt, zu bullerig, nicht geeignet für neue Ideen.“ Aber Ideen hat Wiesehügel sehr wohl, zweimal berichtet er von seiner „privaten Schublade“. Darin liegt, wenn man ihn richtig interpretiert, ein Plan, wie die Rente mit 67 (die ja in Gänze 2029 greift) noch stärker verwässert werden kann. Angesprochen auf seine polemische Kritik an der Agenda 2010, aber auch an Riester-Rente und Rente mit 67, lässt Wiesehügel erkennen, dass er daran festhält. „Nach vorne schauen“ müsse man nun, sagt der Genosse, der einst am Stuhl von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sägte – woran dieser wiederum in seinen Memoiren entsprechend wütend erinnert. Was mag wohl Schröder über diesen Schachzug Steinbrücks denken?

Aber handelt es sich bei der Nominierung Wiesehügels überhaupt um eine Entscheidung Steinbrücks? Der Kandidat windet sich bei dieser Frage. Mit Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier habe er die Namen besprochen: „Wir haben keine Copyrights verteilt.“ Wiesehügel aber geht aufs Ganze und wird mit dem Minister-Angebot sogleich belohnt. „Hopp oder top“, sagt er, eine rot-grüne Mehrheit sei möglich, und kündigt an, im September nicht erneut für den IG-BAU-Vorsitz zu kandidieren.

„Zunächst mal stehe ich zur Verfügung für eine rot-grüne Koalition“, weicht Wiesehügel auf die pikante Frage aus, ob er wie bislang im Fall des Falles für eine rot-rot-grüne Koalition eintrete. Ein Plädoyer für Rot-Rot-Grün – das hätte Steinbrück gerade noch gefehlt. Wiesehügel weicht diesem Fettnäpfchen aus, heute zumindest. Dass Wiesehügel gegen alles protestiert hat, was Sozialdemokraten an der Macht in der Arbeitsmarktpolitik durchgesetzt haben, darüber möchte Steinbrück nicht mehr sprechen. Und doch überrascht er – mit seinem Ministerangebot. Bislang hatte Steinbrück darauf hingewiesen, das Kompetenzteam solle keinen Aufschluss geben über Personalien in einer von ihm geführten Regierung. Nun, stets vom Szenario seiner Kanzlerschaft ausgehend, bietet er Wiesehügel diesen Posten an; um sogleich die ziemlich strapazierte politische Metapher zu zitieren, wonach das Fell des Bären erst dann verteilt werde, nachdem er erlegt sei. Aber bei der Bärenjagd hilft ja nun Klaus Wiesehügel. Dieser wiederum liebäugelt sogar mit dem Gedanken, für die SPD in die Bütt zu gehen, wenn ihr Angela Merkel einen Teil des Bärenfells anbietet. Ob er bereit sein, Minister einer Großen Koalition zu werden, war Wiesehügel zuvor gefragt worden. Er hält sich das offen, will sich in diesem Fall die Frage stellen: „Soll man nur Minister werden oder kann man auch was bewegen?“

Gesche Joost hält sich da stärker zurück. Will sie Ministerin werden? „Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht“, sagt sie: „Ich habe eine tolle Professur.“ Wie er denn Gesche Joosts Premiere erlebt habe, will dann noch ein Reporter von Steinbrück wissen. „Eins plus“, ruft der Kandidat. Er wirkt ein wenig erleichtert, grinst, reckt den Daumen und kontert nassforsch: „Was dachten Sie denn?“