Knapp sechs Millionen Straftaten erfasst. Den größten Anteil daran haben auch in diesem Jahr wieder die Diebstahldelikte mit 39,7 Prozent. Im Süden des Landes leben die Menschen weit sicherer als im Norden.

Berlin. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat in letzter Zeit kaum Grund zur Freude. Angesichts der neuesten Affären dürfte es den CSU-Politiker mit Genugtuung erfüllen, dass der Freistaat wenigstens bei der inneren Sicherheit die Rolle des Musterknaben einnimmt. In seinem Land wurden im vergangenen Jahr 4977 Straftaten je 100.000 Einwohner registriert. Das ist erneut der beste Wert im Vergleich mit den anderen Bundesländern. In Berlin, wieder das Schlusslicht, ereigneten sich nach dieser Betrachtung 14.144 Straftaten. Neben den anderen beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg schneidet auch Nordrhein-Westfalen schlecht ab. Das verdeutlicht einmal mehr ein erhebliches regionales Gefälle in der Verteilung von Kriminalität. Der Tatort Deutschland ist zweigeteilt, im Süden lebt man weit sicherer als im Norden.

Die Zahlen stehen in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2012, die Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch in Berlin vorstellen will. Für den Ressortchef ist der Termin das wichtigste Datum des Jahres. Laut dem 70 Seiten umfassenden Dossier hat die Polizei im vergangenen Jahr bundesweit insgesamt knapp sechs Millionen Straftaten erfasst. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das eine Steigerung um 0,1 Prozent. Zugleich sank die Aufklärungsquote geringfügig auf 54,4 Prozent.

Die Gesamtkriminalität stagniert also in Deutschland. Den größten Anteil daran haben auch in diesem Jahr wieder die Diebstahldelikte mit 39,7 Prozent. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das eine Abnahme um ein Prozent auf 2,37 Millionen. Diese Verbrechen werden der Polizei in einem hohen Maß durch Anzeigen der Betroffenen bekannt, weil sie die Schäden bei den Versicherungen geltend machen wollen. Insofern gelten solche Zahlen als „härter“ als in anderen Kriminalitätsbereichen, wo das Dunkelfeld wesentlich größer ist. Ein Teil der Straftaten bleibt verborgen. Die Statistik kann die Verbrechenswirklichkeit demzufolge nicht vollständig abbilden, aber sie zeigt die neuesten Trends.

Zur Anzeige gebracht wird zum Beispiel meistens Kfz-Diebstahl. Aufgrund verbesserter Sicherheitssysteme wurden deutlich weniger Autos gestohlen. Genau 29.483 Fälle hat die Polizei registriert, was einen Rückgang um 10,6 Prozent bedeutet. Außerdem gab es 6,1 Prozent weniger Ladendiebstähle (361.759). Der Fahrradklau bewegt sich hingegen mit rund 326.000 Fällen weiterhin auf einem hohen Niveau, er nahm nur um 0,8 Prozent ab. Konjunktur hat vor allem der Wohnungseinbruchdiebstahl. Er ist um 8,7 Prozent auf 144.117 Fälle in die Höhe geschnellt. Die Zahlen gehen schon seit 2009 kontinuierlich nach oben. Bezogen auf dieses Jahr, beträgt die Steigerungsrate fast 30 Prozent. Blickt man in die Länderstatistiken, hat Niedersachsen die höchsten Zuwachsraten mit einem Anstieg um 24 Prozent im vergangenen Jahr. Deutlich über dem Bundesschnitt liegen auch Brandenburg (plus 17 Prozent) sowie die Stadtstaaten Berlin (11,7 Prozent) und Hamburg (plus 9,4 Prozent). Aber auch vor Bayern (plus neun Prozent) machte dieser Trend nicht halt, denn in dem wohlhabenden Land ist etwas zu holen.

Gleichzeitig ist die Aufklärungsquote beim Einbruchdiebstahl mit 15,7 Prozent erschreckend niedrig. Genauso wie das Risiko, erwischt zu werden. Mehr als 80 Prozent der Diebe bleiben unerkannt. Das wissen die Einbrecher, und deshalb werden sie auch immer dreister. Ermittler beobachten bei einem Teil der Täter eine neue Brutalität. Manche Opfer werden geknebelt, gefesselt und geschlagen. Sie leiden oft noch Monate später an Panikattacken, Schlaflosigkeit oder chronischer Nervosität. Das ist für viele Geschädigte wesentlich schwerwiegender als der materielle Schaden, der vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf durchschnittlich 3300 Euro pro Einbruch beziffert wird. Der Gesamtschaden 2012 beläuft sich demnach auf 470 Millionen Euro, 50 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.

Die Zahlen beim Wohnungseinbruchdiebstahl sind besonders alarmierend. Sie zeigen, dass die Polizei das Eigentum der Bürger kaum noch schützen kann. Mehr Polizei wäre nötig. Doch die Bundesländer tun nicht das, was helfen würde. Im Gegenteil: Vielerorts werden die Einbruchskommissariate personell ausgedünnt. „In einigen Ländern gibt es keine klassische Kripo mehr. Das wissen aber nur die wenigsten. Die Rechnung für diesen Irrsinn zahlen jetzt die Bürger“, sagte André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), der „Welt am Sonntag“.

Auch andere Experten kritisieren die ständig abnehmende Polizeipräsenz. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) wollen die Länder in den kommenden sieben Jahren bis zu 10.000 Polizeistellen abbauen. Vor allem in Ostdeutschland begründen die Ministerpräsidenten das mit der demografischen Entwicklung. Aus Spargründen setzt mancher Regierungschef ohnehin darauf, dass irgendwann schon die Bundespolizei einspringen wird. Aber vielleicht sind die Missstände dafür noch nicht groß genug. Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, spricht von einem „vorsätzlich organisierten Politikversagen“. Das Gerede vom schlanken Staat habe einen „schwindsüchtigen Staat“ hervorgebracht. Viele Länder hätten in „skandalöser Weise“ Personal in den Einbruchskommissariaten eingespart. Tausende von wichtigen DNA-Spuren würden deshalb einfach liegen bleiben. „Allein in Berlin waren das mehr als 8000 DNA-Proben. Eine Auswertung solcher Spuren müssen die Einbrecher also gar nicht fürchten“, klagt Wendt. Der Grund sei, dass die Beamten Prioritäten setzen müssten. Gezwungenermaßen würden sie zuerst die schweren Delikte wie Mord und Totschlag bearbeiten, danach solche wie den Wohnungseinbruchdiebstahl.

Wendt war früher Polizeihauptkommissar in Duisburg und kennt die Praxis. Nun fordert er, dass die Innenministerkonferenz (IMK) von Bund und Ländern, die sich ab 22. Mai in Hannover trifft, das Thema Wohnungseinbruch ganz oben auf die Agenda setzt. „Das muss das Top-Thema der Innenministerkonferenz sein, und zwar möglichst ständig“, sagte Wendt.