Gewerkschafter Bsirske und Kirchentagspräsident Robbers diskutieren über Arbeitsrecht und faire Bezahlung in christlichen Einrichtungen

Hamburg. Vor seinem Treffen mit Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, stellte Kirchentagspräsident Gerhard Robbers seine prophetischen Fähigkeiten unter Beweis. Bevor das Streitgespräch mit dem mächtigen Gewerkschaftschef am Sonnabend in Hamburg begann, sagte der Professor für öffentliches Recht und Kirchenrecht: „Ich kriege jetzt gleich Haue.“

Tatsächlich stehen die Zeichen zwischen Kirche und Diakonie auf der einen und den Gewerkschaften auf der anderen Seite auf Sturm. Es geht um das bislang verwehrte Recht, dass kirchliche und diakonische Mitarbeiter streiken können. Und es geht um offenkundiges Lohndumping in einigen religiösen Unternehmen und die Besonderheit, dass in Kirche und Diakonie nicht die Gewerkschaften über Löhne, Gehälter und Sozialleistungen mitreden dürfen. Stattdessen entscheiden innerhalb der einzelnen Betriebe paritätisch besetzte Kommissionen aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern (Dritter Weg). Im Konfliktfall entscheidet dann gegebenenfalls ein neutraler Schlichter. Rund 1,3 Millionen Menschen arbeiten bundesweit in den Kirchen, Caritas und Diakonie – sie sind nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber.

Gerade deshalb haben der Kampf um das Streikrecht und für gerechte Löhne für Frank Bsirske höchste Priorität. Es sind zu viele Arbeitnehmer von solchen Sonderregelungen betroffen. Und so zeigte er sich bei seinem Zusammentreffen mit Professor Robbers während des Kirchentages in der St. Georgskirche entschlossen und kämpferisch. „Es gibt Lohndumping in Kirche und Diakonie, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen“, rief er ins Mikrofon.

Wie aktuelle Zahlen der Gewerkschaften belegen, sind vom Lohndumping ausschließlich die unteren Einkommensgruppen von Gottes Bodenpersonal betroffen. Nach 30 Dienstjahren hat eine Erzieherin bei der Diakonie im Schnitt 12.000 Euro weniger verdient als eine Kollegin bei den Kommunen. Bei Intensiv- und Anästhesie-Pflegern beträgt der Unterschied 36.000 Euro; bei den Altenpflegehelferinnen sind es sogar 132.000 Euro. Zudem beträgt die Wochenarbeitszeit in den evangelischen Krankenhäusern nach Ver.di-Angaben 39 Stunden. Damit ist sie eine halbe Stunde länger als in allen anderen Krankenhäusern. „Sie holen sich die Spielräume von den Schwächsten!“, rief Bsirske ins Publikum, das lautstark Beifall klatschte. Kirchentagspräsident Robbers fand das auch nicht akzeptabel und entgegnete: „Ich kann nur dazu aufrufen, gerechte Bezahlung einzufordern. Die Kirchen sollen sich gefälligst an die eigenen Maßstäbe halten.“ Schließlich drehe sich dort alles um Gerechtigkeit und Nächstenliebe.

Als besonders überzeugend kam seine Argumentation bei den vorwiegend kirchlichen Mitarbeitern allerdings nicht an. Etliche sind enttäuscht darüber, dass das Bundesarbeitsgericht im vergangenen Jahr in einem Grundsatzurteil den Sonderweg bei der Festlegung der Arbeitsentgelte und -bedingungen für Mitarbeiter von Diakonie und Kirche grundsätzlich bestätigt hatte. Mit Verweis auf eine besondere christliche Dienstgemeinschaft und die paritätisch besetzten Kommissionen dürfen die Gewerkschaften nicht zum Streik aufrufen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. November 2012 – 1 AZR 179/11). Aber es wurde auch eine bessere Beteiligung der Gewerkschaften angemahnt.

Der Staatsrechtler Gerhard Robbers, der ein juristisches Fachbuch zum Thema „Streikrecht in der Kirche“ geschrieben hat, verteidigte die gängige Praxis. Die Kirche habe als religiöse Institution eine verfassungsrechtlich geschützte Sonderrolle. „Die Idee der Dienstgemeinschaft steht über allem.“ Wer das für sich nicht akzeptieren könne, solle eben „woanders arbeiten.“ Dass es die arbeitsrechtliche Kommission mit dem Dritten Weg gebe, hält der Trierer Jurist sogar für einen Glücksfall. „Eine bessere Mitarbeiterbeteiligung gibt es in Deutschland nicht. Die Betriebsräte haben dagegen weniger Mitbestimmung, zum Beispiel bei der Kündigung.“

Das Streikrecht in der Kirche, behauptete Robbers, gehöre zudem ins 19. Jahrhundert. Prompt gab es im Publikum lautstarke Proteste, bis Gewerkschaftschef Bsirske das Wort ergriff. Nach seiner Ansicht hat die Kirche zwar das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten zu verwalten. „Aber diese enden da, wo die Angelegenheiten anderer beginnen.“ Also bei der Altenpflegehelferin, die einen ungerechten Lohn für ihre Arbeit erhält.

Was nach dem 90-minütigem Disput bleibt, ist die Ankündigung der beiden Akteure, weiter auf den juristischen Weg zu setzen. Die Gewerkschaften klagen derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Urteil der Bundesarbeitsrichter. „Und wir“, kündigte Gerhard Robbers an, „werden bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen“, wenn es keine juristisch akzeptable Lösung in der Frage des Streikrechts gebe.

Bei dem Streit über das kirchliche Arbeitsrecht verfolgen beide Seiten auch eigene Interessen. Ver.di buhlt um potenziell neue Mitglieder, während Kirche und Diakonie unter starkem Kostendruck stehen. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, lobte jedenfalls die neuen Gesprächskontakte und kündigte an, dass es einen weiteren Dialog über Grundsatzfragen geben werde. „Ich habe“, sagte Robbers nach dem Streitgespräch, „eine neue Nachdenklichkeit bei Herrn Bsirske gesehen.“