Bei der Suche nach dem neuen Zwischenlager hat sich die Politik auf Brunsbüttel geeinigt. Dort aber wollen die Bürger nicht auf der „Müllhalde der Nation“ leben.

Brunsbüttel. Sie liegen auf der Kommode im Flur wie eine Drohung: die Trillerpfeife, die Anstecker mit der frechen strahlenden Sonne und dem klaren „Nein, danke!“. Martin Storm will keine Atomkraft. Und auch keinen Atommüll. Hat er nie gewollt. Auf dem Hausdach der Familie Storm in einer Nebenstraße in Brunsbüttel ist eine große Solaranlage montiert. Vor fünf Jahren haben sie 35.000 Euro investiert für ihre private Energiewende. Seitdem speisen sie ins Stromnetz ein. Auf dem Wohnzimmertisch liegt eine CD. Storm ist Pastor im Ruhestand, Logotherapeut und Musiker. Er hat ein Album produziert. „Die Antwort ist Sonne und ist Wind“, heißt es. Er singt darin gegen Giftmüll und Profite der Energiekonzerne, davon, dass die Pole schmelzen und Feinstaub die Luft zersetzt. „Es ist der Traum von schneller Kohle/ein schwarzes Kraftwerk weiß gebaut./Für Arbeit, Strom und uns zum Wohle/werden Giftwolken gebraut.“ Es gibt in seinen Texten wenig Kompromisse.

Eigentlich hat sich Storm die Lieder ausgedacht, als sie gegen die Pläne für ein Kohlekraftwerk in Brunsbüttel protestiert hatten. 2009 war das. Über mehrere Jahre wehrten sich Umweltschützer und Bürgerinitiativen gegen ein neues Kraftwerk. Erst im vergangenen Jahr wurde das Milliarden-Projekt begraben. Man muss das wissen, um Martin Stroms Wut zu verstehen.

Wenn man das Wort „Kohle“ in vielen seiner Lieder austauscht und gegen „Atommüll“ ersetzt, ist seine Musik wieder ziemlich aktuell. Brunsbüttel – das ist die Geschichte einer kleinen Stadt am untersten Ende der Elbe, einer Gemeinde mit vielen Schleusen, Schornsteinen und Schafen. In diesen Tagen ist es mal wieder die Geschichte einer Stadt und der Atomkraft. Martin Storm kann viel von dieser Geschichte erzählen. Schon in den 80er-Jahren kämpfte er im benachbarten Brokdorf gegen den Bau des AKW.

Deutschland sucht derzeit ein neues Zwischenlager für Atommüll, seitdem der Standort Gorleben vorerst ad acta gelegt ist. Und ziemlich viele wichtige Finger der Republik haben in den vergangenen Wochen auf der Landkarte nach Brunsbüttel gezeigt. Allen voran der Umweltminister Peter Altmaier (CDU). Und seit vergangener Woche auch die Politiker im Kieler Landtag.

Anfang April einigte sich Altmaier mit den Bundesländern und der Opposition auf eine neue Endlagersuche. Bis Juli soll das Gesetz von Parlament und Bundesrat abgesegnet werden. 2030 soll ein fertiges Endlager stehen, wo auch immer. Bis dahin braucht Deutschland ein Zwischenlager, denn es ist per Vertrag verpflichtet, noch 26 Castoren aus den Aufbereitungsanlagen Sellafield und La Hague aufzunehmen. Gorleben fällt vorerst weg, die meisten Bundesländer weigern sich, und die Betreiber der Kraftwerke wollen für die Lagerung des Atommülls nicht zahlen. Und hier beginnt für die Bundesregierung das Problem. Und für Atomkraftgegner wie Martin Storm.

Man sei „von der Entscheidung überrannt worden“, sagt er. „Das kam wie aus dem Hinterhalt.“ Er habe Robert Habeck zugehört, wie er sagte, es tue ihm leid für die Menschen in Brunsbüttel, er nehme die Sorgen ernst, aber Deutschland brauche eben Standorte. Schleswig-Holsteins Umweltminister. Ein Grüner. Ausgerechnet, sagt Storm. Und der zählt auf, dass in Brunsbüttel bereits eine Sondermülldeponie stehe, ein Konzern produziere mit vor Ort mit Phosgen, ein Kohlendioxid, die Emissionen durch den Schiffsverkehr seien nicht zu unterschätzen. Und jetzt noch der Atommüll? Für Storm ist die Antwort klar: Nein, danke.

„Schwarze Kiste“, nennen einige in Brunsbüttel das AKW in ihrem Ort, keine zwei Kilometer entfernt vom kleinen Elbehafen der Stadt. Seit einem Störfall 2007 liegt es still. Gleise führen direkt vom Hafen in das Kraftwerk. Wenn die Castoren per Schiff hier ankommen, hätten Atomkraftgegner es schwer, einen wirksamen Protest zu organisieren. Zu kurz ist die Strecke per Eisenbahn. Auch das wissen die Politiker, wenn sie in diesen Tagen über Brunsbüttel als Zwischenlager-Standort reden.

Gleich neben dem Reaktor steht ein senffarbener Block mit 1,20 Meter dicken Wänden aus Beton und Stahl. Das bisherige Zwischenlager, genehmigt für 80 Castoren, derzeit stehen dort neun, elf weitere kommen noch. Betreiber Vattenfall beantragte vor etwa einem Jahr, einige Lüftungsschächte zu schließen, auch zur besseren Sicherheit. Doch nun eignet sich das Lager noch maximal für 34 Castoren, sonst wird die Wärme zu groß. Und davon sind 20 für das AKW reserviert. Um die 26 Behälter aus dem Ausland aufzunehmen, fehlt nun auch in Brunsbüttel der Platz. Es ist eine der ungeklärten Fragen, die auch Stefan Mohrdieck hat, Bürgermeister von Brunsbüttel. „Falls der Platz hier nicht ausreicht, schaffen wir dann neue Räumlichkeiten für ein Zwischenlager?“ Aus seiner Sicht würde das ein langwieriges Genehmigungsverfahren nach sich ziehen. „Ich zweifele daran, dass bis 2016 ein solches Projekt realisierbar ist.“ Vor gut einer Woche haben sie in der Ratsversammlung eine Resolution verabschiedet. Die große Mehrheit spricht sich gegen fremden Atommüll in Brunsbüttel und den Transport über die dortigen Häfen aus. Die Forderung: „Die Zwischenlagerung hat jeweils an den Kernkraftwerken der einzelnen Bundesländer zu erfolgen.“ Politiker von CDU, SPD und FDP stimmten gegen Brunsbüttel als deutschlandweiten Standort. Es ist Wahlkampf in Brunsbüttel, Ende Mai sind Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein. Ein falsches Votum kann jetzt Stimmen kosten. Vor allem Grüne wie der Stadtrat-Kandidat Christian Barz befürchten nach dem Votum ihres Umweltministers für Brunsbüttel Einbußen bei den Wählern. Vor drei Monaten ist Martin Storm bei den Grünen ausgetreten. Ihm gefiel die Linie der Partei nicht mehr, vor allem in der Bildungspolitik.

Bürgermeister Mohrdieck gehört keiner Partei an. Den Kurs von CDU-Umweltminister Altmaier bei der Suche nach einem Lager für den Atommüll findet er gut. „Jahrelang sind wir in der Debatte in Deutschland keinen Schritt weitergekommen.“ Aber er sagt auch: „Brunsbüttel darf nicht die Müllhalde der Nation werden.“ Es ist der Punkt, an dem sich Atomkraftgegner Storm, Bürgermeister Mohrdieck und Menschen in der Fußgängerzone ganz nahe sind.

Wenn Mohrdieck über Atomkraft in Brunsbüttel spricht, redet er nicht nur von Risiko und Sicherheit, sondern auch von Arbeitsplätzen, Gewerbesteuer und Zulieferbetrieben. Er habe ein gutes Verhältnis zur Leitung des Kraftwerks. Die Identifikation der Menschen mit dem Kraftwerk sei hoch. Als das Kohlekraftwerk gebaut wurde, hätten viele lieber ein neues Kernkraftwerk vorgezogen. Vier Ratsherren der Stadt seien sogar Mitarbeiter des AKW, drei SPD-Politiker und ein CDU-Mann. Natürlich gebe es auch Atomkraftgegner in der Stadt, sagt er. Mohrdieck nennt sie „die mit den Sonnenblumen“. Er meint auch Menschen wie Storm.

Atommüll, das war lange ein Wort, das die Deutschen mit Gorleben verbunden haben. Der widerborstigen Gemeinde im Wendland, die für Gegner der Kernenergie zum Protest-Mekka geworden ist – und in die trotzdem über Jahre Deutschland Atomabfall gerollt wurde. Brunsbüttel, sagt Martin Storm, kann ein zweites Gorleben werden.