Der Vorsitzende Manfred Götzl ließ von Anfang an Sensibilität bei der Organisation des Mammut-Verfahrens vermissen. Die Folge ist eine Pannenserie.

Berlin/München. Ein „brillanter Jurist“, akribisch, neugierig, urteilssicher: Was wurde nach der Anklageerhebung gegen die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe nicht alles an Lob über Manfred Götzl ausgeschüttet, jenen Münchner Richter, der das von vielen als „Jahrhundertprozess“ bezeichnete Verfahren gegen die Zwickauer Terrorzelle am Oberlandesgericht leiten soll. Doch dann kam der ungeschickte Umgang mit der türkischen Botschaft und den ausländischen Reportern. Die Konflikte kratzten am Ruf des 59 Jahre alten Franken: Er sei „stur“, hieß es plötzlich, ohne Fingerspitzengefühl, unbelehrbar. Weil sich Götzl nie äußerte zu den Vorwürfen, wurde ihm vorgehalten, sich in der Wagenburg zu verbarrikadieren. Die drei Verteidiger von Zschäpe beschwerten sich dann auch noch per Brief über Diskriminierung, weil die Anwälte, anders als Richter, Ankläger und Polizisten, auf Waffen durchsucht werden sollen.

Und als man dachte, es könne kaum schlimmer kommen, wurde jetzt auch noch der Prozessauftakt verschoben, um die Presse neu zu akkreditieren. Die Nebenkläger sind entsetzt, das Chaos scheint perfekt. Dennoch glauben Beobachter nicht, dass Manfred Götzl den Vorsitz über das Verfahren abgibt oder verliert. Am Freitag hatte das Bundesverfassungsgericht den Staatsschutzsenat, wie Götzls 6.Strafsenat genannt wird, per Eilentscheidung aufgefordert, mindestens drei türkischen Reportern einen Platz frei zu räumen. Götzl, seit 2010 Vorsitzender dieses Senats, hätte den Zuschauern einfach drei Plätze wegnehmen können. Die von ihm nun gewählte Radikallösung, den Wettlauf um die 50 Reportersitze neu zu starten, wird ihm wieder Ärger bescheren, das ist absehbar. All jene, die den Eintritt in den Saal A101 sicher glaubten und dann leer ausgehen, werden Zeter und Mordio schreien.

Und auch Anwälte der Angehörigen der NSU-Opfer kritisieren nun das Gericht. Es sei bezeichnend für den „fahrlässigen Umgang des Gerichts mit diesem bedeutenden Verfahren“, dass die Richter „keinen Plan B für eine Vergabe der Medienplätze hatten“, sagt die Hamburger Juristin Gül Pinar, die gemeinsam mit drei weiteren Anwälten die Familie des 2001 in Hamburg ermordeten Süleyman Tasköprü vertritt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Gericht bisher nicht einen größeren Saal für das Verfahren angemietet habe, hob Pinar hervor. Auch die Hamburger Anwältin Doris Dierbach kritisiert: „Insgesamt wird in der Vorbereitung und Organisation des Verfahrens durch das Oberlandesgericht deutlich, dass es dem Vorsitzenden ein wenig an Fingerspitzengefühl fehlt.“ Dierbach wird in München gemeinsam mit zwei weiteren Anwälten aus Hamburg die Familie des 2006 in Kassel mutmaßlich durch den NSU ermordeten Halit Yozgat vertreten. Erst am Montagmittag hatte die Kanzlei von der Verschiebung des Prozesses erfahren. „Unsere Mandanten nehmen die Verschiebung des Prozesses mit gemischten Gefühlen auf“, sagt Dierbach. Einerseits ziehe sich die Anstrengung und Anspannung vor dem Verfahren für sie noch einmal in die Länge. Andererseits sei ihnen die Teilnahme türkischer Journalisten ein wichtiges Anliegen, sodass sie sich durchaus darüber freuen würden, dass das Bundesverfassungsgericht dies durch seine Entscheidung ermöglicht habe.

Beobachter: Richter wird wohl nicht ausgetauscht

Trotz der heftigen Kritik an dem Gericht glauben Beobachter wie der Münchner Strafverteidiger Peter Witting nicht, dass der Vorsitzende Richter nun ausgetauscht wird. Witting, der Mitinhaber einer renommierten Kanzlei in Schwabing und seit 1982 Strafverteidiger an der Isar ist, kennt das Oberlandesgericht gut. Er ist dort Gastdozent bei der Referendarausbildung und hat Manfred Götzl schon in dessen Tagen als junger Staatsanwalt erlebt. Dass sich am Richtertisch des Terrorprozesses noch etwas ändert, erwartet Witting nicht. Das Verfahren sei von der Bundesanwaltschaft nach München verwiesen worden. Laut Geschäftsverteilung sei dort der 6. Senat zuständig, und dem sitze nun einmal Götzl vor. Mit der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat Götzl gleichwohl die schmerzlichste Ohrfeige seiner jahrzehntelangen Karriere erhalten.

Erfahrung kann ihm niemand absprechen. Er hat in seinem Gerichtssaal schon fast alles über Verbrechen gehört und gesehen, was vorstellbar ist, hat über Islamisten, Mörder, Sexualverbrecher oder Nazi-Verbrecher geurteilt. Der Prozess wegen des Mordes am Münchner Modekönig Rudolph Moshammer fiel ebenso in seine Verantwortung wie das Verfahren gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier und Kriegsverbrecher Josef Scheungraber. Götzl gilt denn auch als Richter, der seine Urteile „sturmfest“ gegen Revisionsvorwürfe zu machen versteht. Nur ein einziges Urteil soll bisher aufgehoben worden sein, und selbst das nur teilweise. Viele bezeichnen ihn deshalb als „brillanten Richter“.

Einige Juristen wie Peter Witting können das nicht nachvollziehen. Der Strafverteidiger, der unter anderen den des Mordes an einer Parkhausbesitzerin angeklagten Bence T. vertrat, hält Götzls Verfahrensführung im Gegenteil sogar für problematisch. „Ein guter Richter ist für mich einer, der geduldig und aufmerksam zuhören kann, sorgfältig abwägt und stets auf Distanz zu den Akten geht.“ Götzl neige aber dazu, Verfahrensbeteiligten über den Mund zu fahren und allzu akribisch an den Akten, etwa den Protokollen von Zeugenaussagen, zu kleben. „Er tut sich daher schwer, neue Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen.“

Unter den Verteidigern macht sich zudem auch deshalb Sorge breit, weil der 59-jährige Götzl seine Hauptverhandlungen gern im Eiltempo durchzieht. Die Taktung der Zeugenladungen ist eng, und das bedeutet: Mancher Zeuge soll nicht einmal eine Stunde lang vor der Richterbank sitzen. Nun haben aber neben den Richtern ein Dutzend Verteidiger, vier Bundesanwälte sowie 77 Nebenkläger mit 53 Anwälten ein Fragerecht, dürfen sich also zu Wort melden. Zugleich muss alles simultan übersetzt werden. Wie dies alles reibungslos funktionieren soll, ist ungewiss.

Im Übrigen ist nicht nur die Verschiebung des Prozesses denkwürdig. Auch das Verhalten des Münchner Gerichts bleibt haften. Das Auftreten etwa von Margarete Nötzel war in den vergangenen Wochen überaus selbstbewusst. Sie ist die Sprecherin des Gerichts – doch sagen wollte sie zu den ganzen Querelen um die Akkreditierung fast nie etwas. Man könnte annehmen, dass der Paukenschlag der Verfassungsrichter die Münchner ein wenig demütig gemacht hat – doch Fehlanzeige. Das zeigte die Pressekonferenz am Montagnachmittag. Nötzel saß vor den Journalisten und blieb ihrem Stil treu. Auf die Nachfrage, ob es eine Entschädigung für diejenigen geben würde, die nun umsonst die Anreise und ein Zimmer gebucht hätten, antwortete Nötzel: Normalerweise müssten auch die Hinterbliebenen die entstandenen Nebenkosten selbst tragen. Und dann fügte sie noch an: „Ich hoffe doch, dass noch nicht allzu viele angereist sind.“