Die Richter in München tragen im NSU-Verfahren auch politische Verantwortung

Es geht um Mord, zehnfachen Mord sogar. Und um die Frage, ob der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) eine terroristische Vereinigung nach Paragraf 129a StGB gewesen ist. Im Strafprozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des NSU regelt das Strafgesetzbuch den Tatbestand. Den Rahmen regelt die Strafprozessordnung. Daran sind die Richter gebunden. So weit jedenfalls die Theorie aus dem Jura-Hörsaal.

Wenn - nun erst im Mai - am Münchner Oberlandesgericht der Prozess beginnt, trifft diese Theorie auf eine politische Wirklichkeit in Deutschland. Die Richter müssen für diese Wirklichkeit endlich sensibel sein. Denn sie tragen auch eine politische Verantwortung. Doch davor versuchen sie bisher sich zu drücken. Und das ist ein fatales Signal der deutschen Justiz. Sie hat in der Aufdeckung und Aufklärung bereits mehrere schwere Fehler gemacht.

Nun ist der Prozessauftakt verschoben, die Plätze für die Journalisten werden neu vergeben. Das hat das Münchner Gericht erst nach der Klage einer türkischen Zeitung und auf Druck der Verfassungsrichter entschieden. Die Neuvergabe ist richtig. Und doch beweisen die Verantwortlichen eines: Sie handeln vor allem wie das Klischee eines deutschen Beamten. Strikt nach Vorschrift.

Bisher stehen sich in der Debatte um den NSU-Prozess zwei Positionen gegenüber: Die einen sagen, das Gericht ist unabhängig, muss frei sein von politischer Einflussnahme, gar Parteipolitik. Die Richter dürften sich im Urteil nicht leiten lassen von Wut und Trauer der Angehörigen, aber auch vieler Deutscher, über das frühere Versagen der Sicherheitsbehörden. Der Prozess muss fair, rechtsstaatlich sauber sein. Beate Zschäpe gebührt eine starke Verteidigung. Gerade weil es Ziel des rechtsterroristischen NSU war, den deutschen Rechtsstaat zu erschüttern. Das ist die eine Position.

Die andere zielt auf die politische Bedeutung des Prozesses ab. Im Gerichtssaal wird nicht über Verfahren Thüringischer Verfassungsschützer oder Nürnberger Polizeibeamter geurteilt. Der Prozess ist kein Untersuchungsausschuss. Und doch sind Trauer, Enttäuschung und Unsicherheit vieler Menschen im Gerichtssaal präsent - vor allem durch die Anwesenheit von Angehörigen der Ermordeten. Zudem waren die Taten des NSU politisch: Mit ihnen zementierte die Gruppe ihre menschenverachtende Ideologie. Es geht nicht nur um Mord. Es geht auch um die Gefahr von Terrorismus von rechts.

Eine Verurteilung im Sinne der Anklage wäre wichtig. Genauso wichtig aber ist, wie dieser Prozess gegen Zschäpe und die NSU-Helfer abläuft. Und dabei ist die Forderung nach unabhängiger Justiz einerseits und das Erfüllen der großen Erwartungen von Öffentlichkeit und Politik andererseits kein Widerspruch. Im Gegenteil. Sie gehen Hand in Hand, bedingen einander. Das hat das Münchner Gericht bisher ignoriert: Es verpasste die Vergabe von Plätzen an türkische Medien (acht von zehn Opfern kamen aus türkischen Familien), das Gericht sieht auch nicht die Möglichkeit, einen größeren Saal in München zu finden. Man sei besorgt über die Sicherheit des Prozesses, würde man einen Saal anmieten. Dabei hat die Polizei schon ganz andere Großprozesse geschützt.

Der Prozess wird Rechtsgeschichte schreiben. Und die Sprecher der Münchner Justiz tun auf der Pressekonferenz immer noch so, als ginge es um einen Nachbarschaftsstreit. Das ist traurig. Denn die Richter haben eine große Chance: Sie können einen Teil des verlorenen Vertrauens in den Staat zurückgewinnen. Sie können den Familien der Opfer mit dem Verfahren auch einen Raum bieten, um Trauer zu verarbeiten. Und sie können beweisen, dass deutsche Beamte auch Fingerspitzengefühl besitzen. Ja, es geht um Mord, Paragraf 211 StGB. Aber es geht auch um viel mehr.