Europa versucht den Kampf gegen sexuelle Ausbeutung – mit unterschiedlichen Rezepten. Die Bundesrepublik Deutschland gibt dabei ein schlechtes Bild ab.

Berlin. Der Menschenhandel blüht. Und Deutschland entwickelt sich zum Eldorado für Menschenhändler, die – vor allem – Frauen und Kinder dazu zwingen, sich an zahlende Kunden zu verkaufen. Nach Schätzungen der OSZE bringen Menschenhändler jedes Jahr allein zwischen 120.000 und 500.000 Frauen von Mittel- und Osteuropa nach Westeuropa und zwingen sie oft zur Prostitution. Das Bundeskriminalamt (BKA) führt für das Jahr 2011 offiziell aber nur 640 Opfer, die meisten sind jünger als 21. Fachleute gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl weit höher ist. Die meisten Fälle werden nur deshalb nicht bekannt, weil die Opfer Angst haben, sich an die Polizei zu wenden. Angst vor den Menschenhändlern.

Für die ist Deutschland ein lukrativer Markt: ein reiches Land, ein großes – mit Gesetzen, die sie kaum fürchten müssen. Während die Nachbarn ihre Gesetze verschärfen, hat es die Bundesregierung bisher weder geschafft, EU-Vorgaben konsequent umzusetzen, noch ihr Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002 nachzubessern. Jüngstes Beispiel: An diesem Freitag läuft eine zweijährige Frist ab, Deutschland müsste eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Menschenhandel und zum Schutz der Opfer umsetzen. Berlin aber wird es nicht schaffen, die entscheidenden Ministerien – Justiz, Inneres und Familie – sind in der Frage zerstritten.

Entsprechend harsch ist Kritik aus Brüssel, selbst in den eigenen Reihen. „Wir setzen teilweise Bestimmungen aus Brüssel zu Duschköpfen in Deutschland bis ins kleinste Detail um – und bei so etwas Wichtigem wie der organisierten Kriminalität wird dann nicht kooperiert“, sagt die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler. „Deutschland pocht in der Regel immer auf die Einhaltung der Verträge. Es kann nicht sein, dass man sich dann selbst bei einem so wichtigen Thema nicht daran hält.“ Die sozialdemokratische Abgeordnete Birgit Sippel sagt: „Berlin verpasst es, die Instrumente für eine bessere Eindämmung der organisierten Kriminalität zu schaffen.“ Und gleichzeitig bleibe „der verstärkte Schutz der Opfer auf der Strecke“, sagt sie. Die Grünen unterstellen der Bundesregierung, sie vertröste Brüssel. „Offensichtlich nimmt man das Thema Menschenhandel in Berlin nicht sehr ernst – entgegen aller öffentlichen Beteuerungen“, sagt die migrationspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, Ska Keller. „Ich erwarte, dass die Kommission Druck macht auf Mitgliedstaaten.“

Tatsache ist aber auch, dass es bei diesem Thema kein Vorzeigeland gibt. Es sind eher einzelne Gesetze oder Regelungen, die Experten für nachahmenswert halten. Wenn es etwa um das Aufenthaltsrecht für die Opfer geht, verweisen sie oft auf Italien. Dort erhalten Opfer ein Bleiberecht für sechs Monate – unabhängig davon, ob sie vor Gericht gegen die Täter aussagen. In Deutschland ist das derzeit die Bedingung. In Italien reicht es, wenn Betroffene bei einer anerkannten spezialisierten NGO über die Tat berichten, die die Polizei informiert. Nach einem Integrationsprogramm, zu dem auch berufliche Qualifikation gehört, bekommen sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Schweden, Frankreich und Holland stehen beispielhaft dafür, wie unterschiedlich die Länder der EU dem Problemen von Menschenhandel begegnen, vor allem der sexuellen Ausbeutung. Vom „schwedischen Modell“ ist oft die Rede. Die Regierung hat 1999 ein Gesetzespaket gegen Gewalt gegenüber Frauen beschlossen. Kern ist, dass Männer und Frauen bestraft werden können, sobald sie für Sex bezahlen. Zuhälterei ist verboten. Prostitution ist erlaubt. Allerdings setzt Schweden darauf, sie nach und nach abzuschaffen. Freier, die ertappt werden, erwartet eine Geldbuße von bis zu 3000 Euro. Wiederholungstäter müssen sogar mit bis zu einem Jahr Gefängnis rechnen.

Die Franzosen würden Prostitution am liebsten abschaffen. Seit 1946 wurden per Gesetz alle Bordelle geschlossen. Freudenhäuser und jegliche Form der Zuhälterei sind seitdem verboten. Jeder, der vom Geschäft der Frau profitiert und von ihrer Arbeit weiß, kann angeklagt werden, auch ein Lebenspartner. Menschenhandelsdelikte zur sexuellen Ausbeutung werden vor allem über die Gesetze gegen Zuhälterei belangt. Um Menschenhändlern direkt auf die Spur zu kommen, versuchen die Franzosen, kriminelle Geldströme zurückzuverfolgen. Vor zehn Jahren brachte der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy ein neues Gesetz auf den Weg: Stellt sich eine Frau in auffallend aufreizender Kleidung auf die Straße, macht sie sich schon strafbar. Es ist verboten, Sexkunden anzuwerben. Viel bewirkt haben beide Gesetze nicht: Die Straßenprostituierten sind aus den Zentren in städtische Randgebiete gezogen.

Die Niederlande gehen – wie Deutschland – davon aus, dass Frauen und Männer freiwillig als Prostituierte arbeiten. Prostitution ist erlaubt, wird aber reguliert. Der liberale Weg hat sich nicht bewährt. Die wenigsten Frauen sind angestellt. Und es gibt eine alarmierende Entwicklung: Die NGO Comensha, die eng mit der Polizei zusammenarbeitet, verzeichnete für das Jahr 2011 mehr als 1200 wahrscheinliche Fälle von Menschenhandel – ein Anstieg um 25 Prozent binnen eines Jahres. Das große Problem: Es gibt keine einheitlichen Regelungen. Jede Stadt kann selbst entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen die Lizenzen für ein Bordell vergeben werden.