Beteiligung der Einleger an der Zypern-Rettung zeigt neue Richtung in Europa auf

Brüssel. Für einen Finanzminister ist Jeroen Dijsselbloem ein junger Mann. Mit 46 Jahren ist der Niederländer 24 Jahre jünger als sein deutscher Kollege Wolfgang Schäuble (CDU). Auch dem rutschen manchmal Sätze raus, die er später lieber nicht gesagt hätte. Und so mag es jetzt auch dem im Vergleich unerfahrenen Dijsselbloem gehen, nachdem er in seiner neuen Funktion als Chef der Euro-Gruppe der "Financial Times" (FT) ein Interview gegeben hat, das hohe Wellen schlägt.

Denn Dijsselbloem schlägt in dem Gespräch Töne an, die jeder Steuerzahler sofort unterschreibt, die Investoren und Bankkunden aber zutiefst verunsichern müssen. Auf die Frage, ob die in Beteiligung zyprischer Bankkunden beim Sanierungspaket für das Land die Blaupause für den Umgang mit künftigen Bankpleiten ist, gibt sich der Niederländer offenherzig: In einer Situation wie jetzt, in der die Finanzmärkte stabiler seien, sollten die Staaten im Interesse ihrer Steuerzahler die Übernahme der Risiken ablehnen. "Wenn es ein Risiko in einer Bank gibt, sollte unsere erste Frage sein: 'Was kannst du, Bank, dagegen tun? Was kannst du tun, um dich zu rekapitalisieren?' Wenn die Bank das nicht kann, werden wir zu den Aktionären und Anleihe-Gläubigern gehen. Wir werden die um ihren Beitrag zur Rekapitalisierung der Bank bitten. Und wenn nötig, die unversicherten Besitzer der Spareinlagen."

Was Dijsselbloem sagt, sollte in einer Marktwirtschaft eine Selbstverständlichkeit sein. Zunächst einmal müssen Besitzer und Gläubiger eines angeschlagenen Unternehmens für dessen Probleme haften, nicht der Steuerzahler. Gelaufen aber ist es in der Vergangenheit anders.

Nachdem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers wackelte die Wirtschaftswelt so, dass die Pleite jedes weiteren, auch nur halbwegs großen Geldhauses für eine Katastrophe hätte sorgen können. In dieser Situation übernahmen die Regierungen in vielen westlichen Industrieländern die größten Wackelkandidaten auf ihre Bilanz. Der Steuerzahler haftet seitdem für ihre Probleme. "Too big to fail" - zu groß, um fallen gelassen zu werden - führte dazu, dass die Länder sich hoch verschuldeten, um ihre Banken aufzufangen. Die Liste ist lang: Allein in Deutschland haftet der Steuerzahler für Riesenfälle. Hypo Real Estate, Commerzbank, Bayern LB sind nur drei Namen in der Liste. Dijsselbloems Vorgehen ist der erste Schritt, einen Weg aus dieser Falle zu finden.

Nötig ist das. Zypern ist nur das Extrembeispiel für eine ungesunde Entwicklung im Finanzbereich. Andere Länder haben ähnliche Probleme, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß. Irland etwa hängt nur am Tropf von EU und EZB, weil sich seine Banken mit Immobilienfinanzierungen so aufgebläht haben, dass sie das Platzen der Blase nicht überlebt hätten. Dafür kommt nun über viele Jahre der irische Steuerzahler auf. Und in Spanien, immerhin eines der großen Länder der Währungsunion, ist die Lage ähnlich. Auch hier hat sich eine gesamte Branche verzockt, indem sie Häuser finanziert, die heute keiner braucht. Auch für deren Sünden steht der europäische Rettungsschirm ein. Bei dem die Spanier nun in den kommenden Jahren ihre Schuld abtragen müssen.

Dijsselbloem hat diese Probleme alle im Hinterkopf, wenn er Zypern zum neuen Trend für die EU-Bankenrettung aufruft. Und er lässt es nicht nur in der Fremde krachen. Auch zu Hause, in den Niederlanden, geht der Finanzminister nach diesen Vorstellungen zur Sache. Die SNS-Bank, ebenfalls in einer Schieflage, wurde verstaatlicht. Aktionäre und Anleihebesitzer wurden zur Kasse gebeten. Das Risiko der Privatwirtschaft dem Steuerzahler aufzudrücken, sei der falsche Ansatz, erklärt er dieses Vorgehen in seinem Interview. Der Euro-Gruppenchef weiß also, wovon er spricht.

Nur an den Märkten kommt so viel Offenheit nicht gut an. Unmittelbar nachdem Dijsselbloems Worte bekannt wurden, fielen die Aktienkurse. Die Aktionäre und Gläubiger europäischer Banken realisierten, dass sie künftig immer zur Kasse gebeten werden können, wenn das eigene Haus wackelt. Dieses Risiko wollen viele nicht tragen. Von nun an werden sie die Aktien europäischer Banken anders bewerten, weil das Risiko deutlich größer geworden ist.

Aus Sicht der Europäer hat Dijsselbloem mit seinem Vorgehen dennoch einen Fehler gemacht. Man kann vieles denken, muss es aber nicht immer aussprechen, lautet die Devise seit Beginn der Krisenzeit in den Jahren 2007/2008. Entsprechend harsch fiel auch die Reaktion bei Dijsselbloems Kollegen aus. Benoít Coeuré, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, bürstete den Niederländer ab: "Es war falsch von Herrn Dijsselbloem zu sagen, was er gesagt hat", sagte der Franzose in einem Rundfunkinterview. "Die Erfahrung mit Zypern ist kein Vorbild für den Rest der Euro-Zone, weil die Situation ein Ausmaß erreicht hatte, das mit keinem anderen Land vergleichbar ist."

Inzwischen dürfte der so Gescholtene erkannt haben, dass er dieses eine Mal besser den Mund gehalten hätte. "Ich habe ein neues Wort gelernt", sagte er in einem Heimatsender. Gemeint ist das englische Wort "template", auf Deutsch: Blaupause. Er habe das nie gesagt, sondern lediglich von einem Trend gesprochen. Zypern sei ein besonderer Fall mit "einmaligen Herausforderungen", sagte er. Die Anpassungsprogramme der Beobachtermission von Internationalem Währungsfonds (IWF), EU und EZB seien auf die Lage eines Landes "maßgeschneidert". "Modelle oder Schablonen" würden natürlich nicht verwendet.

Die "Financial Times" hat das Protokoll des Interviews nach all dem Hin und Her nun veröffentlicht. Dijsselbloem hat recht. Das Wort "Blaupause" hat er nicht in den Mund genommen, sondern der Fragesteller. Weil der Minister dem aber nicht widersprach, sondern mit Ausführungen sogar beipflichtete, ändert das im Grundsatz nichts an seiner Aussage.