Die Streitkräfte werben in Konkurrenz mit der Wirtschaft um Fachkräfte. Doch die sind allerdings nicht immer für die Truppe geeignet.

Wilhelmshaven. Nach einem Jahr war Hauptgefreiter R. "combat ready", wie sie bei der Bundeswehr sagen. Kampfbereit. Er hat schießen gelernt, seine Spezialwaffe ist das Maschinengewehr, Kaliber 7,62. R. hat in Seminaren die afghanische Geschichte und Kultur kennengelernt, er hat Bücher gelesen, sich körperlich und psychisch trainiert. Dann, an einem Tag im September 2012, stand der Soldat R. vom Objektschutzregiment der Luftwaffe aus dem niedersächsischen Schortens auf dem Wüstenboden Afghanistans. Seine Truppe sicherte die Landebahn des Bundeswehr-Camps in Masar-i-Scharif gegen mögliche Angriffe der Taliban. Gerade wenn ein Flugzeug im langsamen Anflug ist, liegt es wehrlos in der Luft. Die Soldaten am Boden schützen den Anflugsektor. Manchmal nachts bei minus 15 Grad, manchmal stundenlang tagsüber in der Hitze der Sonne.

R. schwitzte in der Uniform, sein Maschinengewehr auf dem Panzerfahrzeug Dingo wog zwölf, seine Schutzweste 18 Kilo. "Die letzte Zeit der fünf Monate in Afghanistan habe ich mich vor allem damit motiviert, dass der Einsatz bald vorbei ist", sagt R. Aber er sagt auch, er habe sich für die Bundeswehr entschieden, um auch in den Kampfeinsatz zu gehen. "Ich wollte das Beste aus den beiden Jahren machen."

Hauptgefreiter R. macht das alles freiwillig. Er zieht in den Krieg, obwohl er es nicht muss. Und die Bundeswehr brauchte ihn nicht einmal zu überzeugen. Gäbe es nur Menschen wie R., die deutsche Armee hätte wenig Sorgen.

2011 war eine Zeitenwende für die Bundeswehr. Ausgerechnet ein CSU-Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg, schaffte die Wehrpflicht ab. Die Rekruten kommen nicht mehr per Gesetz in die Kasernen, der Truppe fehlen 15.000 Wehrpflichtige. Seitdem muss die Bundeswehr um junge Menschen werben - auf dem freien Arbeitsmarkt. Die Streitkräfte brauchen jetzt bessere Jobangebote als konkurrierende Unternehmen in der Wirtschaft.

Die Bundeswehr hat R. für ein Interview ausgesucht, sie zeigt ihn gerne vor. Aber sie will junge Soldaten wie ihn auch schützen, deshalb soll sein Name nicht in der Zeitung stehen. Ein Vorgesetzter ist bei dem Gespräch dabei. Politisch zur Situation in Afghanistan darf sich der Hauptgefreite nicht äußern. Sonst redet er frei. R. trägt eine Uniform, kurzes Haar, und wer genau darauf achtet, hört einen leichten Akzent in seinem Deutsch. 1990 wurde R. in Russland geboren, mit neun Jahren kam die Familie nach Deutschland, R. lernte die Sprache, ging hier zur Schule, machte sogar das Fachabitur. R. spielte Fußball, ging ins Fitnessstudio. Dass er zur Bundeswehr wolle, sei ihm früh klar geworden. "Ich wollte einen Job, bei dem der Körper gefragt ist." R.s Vater war Soldat in der russischen Armee, als die Welt noch im Kalten Krieg kämpfte und Russland noch Sowjetunion hieß.

Der Freiwillige Wehrdienst dauert sieben bis 23 Monate, jeder Bewerber wählt das selbst. Anfangs erhält jeder Rekrut 777 Euro, in den letzten Monaten sind es 1146 Euro - steuerfrei. Wer länger als sieben Monate bleibt, verpflichtet sich auch für den Auslandseinsatz. Als R. im September 2012 mit gepacktem Rucksack und in Uniform nach Afghanistan zog, weinte seine Mutter. Sein Vater sagte: "Du bist ein erwachsener Mann. Es ist deine Entscheidung." Sicher, sagt R. heute, hätte sein Vater auch gerne gesehen, wenn er nach der Schule studiert. "Aber Freundin und Familie haben mich immer unterstützt, als ich im Einsatz war." Wenn Politiker wieder darüber streiten, wie sinnvoll der deutsche Einsatz am Hindukusch ist, und Linke dagegen demonstrieren, brauchen junge Soldaten Halt. Bestätigung, dass sie auf der richtigen Seite stehen. Sie finden das vor allem bei Freunden und der Familie.

R.s Kaserne in Schortens liegt knapp 20 Kilometer entfernt vom Stützpunkt der Marine in Wilhelmshaven. Am Eingang stehen Wachen, die Gebäude sind aus rotem Backstein, sie sehen aus wie Vorstadtbauten. Vor Haus 41 steht "Karrierecenter der Bundeswehr Wilhelmshaven". Das Zentrum ist eines von acht Standorten in Deutschland, an denen die Bundeswehr in einem "Assessment Center" Soldaten und zivile Mitarbeiter gewinnen will. 4500 Bewerber begrüßten die Mitarbeiter 2012 in Wilhelmshaven, testeten in der Sporthalle ihre Fitness und am Computer ihr Wissen. Ärzte prüften die Gesundheit. Das Karrierecenter ist das Ende eines Werbefeldzugs der Bundeswehr, der mit Karriere-Trucks auf Messen und Videos im Internet beginnt und in 110 Karriereberatungsbüros im Land fortgesetzt wird.

In den Karrierecentern arbeiten 9500 Angestellte. Irgendwann während der Zeit im Zentrum in Wilhelmshaven sprechen die jungen Menschen mit Männern wie Heiko Rottmann oder Frauen wie Britta Jacobs - auch darüber, was sie erwarten von der Bundeswehr. Und darüber, was sie erwarten wird bei der Bundeswehr.

Rottmann ist Fregattenkapitän und Jacobs Truppenpsychologin. "Rückhalt bei Familie und Freunden ist zentral bei der Frage, ob sich ein junger Mensch bei uns bewirbt", sagt Jacobs. Hauptschüler sitzen bei ihr im Büro genauso wie Abiturienten, auch ältere Menschen, Frauen und Männer aus ausländischen Familien. "Wir können zufrieden sein mit den Bewerberzahlen für den Freiwilligendienst", sagt Rottmann.

170.000 Männer und Frauen sollen nach der Reform dauerhaft in den Truppen stehen. Um diese Zahl aufrechtzuerhalten, muss die Bundeswehr pro Jahr 13.000 neue Mitarbeiter einstellen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) will die Streitkräfte mit 5000 bis 15.000 Freiwilligen ergänzen. Sein Ministerium rechnet damit, dass die Bundeswehr jährlich 40.000 Bewerber benötige, um den "Rekrutierungsbedarf" angemessen zu decken. Doch die Jahrgänge junger Menschen werden kleiner, derzeit sind es rund 320.000 Personen. Und auch die Konkurrenz ist auf der Suche nach Fachkräften, IT-Firmen, Maschinenbauer, Krankenhäuser. Bei der Marine suche man derzeit vor allem Antriebstechniker, Elektroniker und IT-Fachleute. "Die sind auf dem Arbeitsmarkt begehrt. Das spüren wir natürlich auch", sagt Rottmann.

Früher war die Wehrpflicht ideal zur Rekrutierung, ein staatlich verordneter Schnupper-Dienst, um junge Menschen für eine Laufbahn als Offizier zu begeistern. Auch der freiwillige Dienst wird gut angenommen. Ende Dezember waren es mehr als 11.000. Doch hoch ist auch die Zahl der Abbrecher. 30 Prozent quittieren den Dienst in den ersten sechs Monaten. Bei den Freiwilligendiensten des Bundes in sozialen Einrichtungen wie der Diakonie sind es nur 15 Prozent. Hinter Abbrüchen stünden oft individuelle Gründe, sagt Sabine Upmann, Leiterin des Karrierecenters Wilhelmshaven. Falsche Vorstellungen von der Arbeit, manchmal Stress mit der Familie. Fünf Prozent der Abbrecher kündigt die Bundeswehr von ihrer Seite aus, weil es nicht funktioniert mit dem Freiwilligen. De Maizière sagte in einem Interview, dass einige offenbar überrascht seien, wenn sie mit geputzten Stiefeln zum Dienst erscheinen sollen, in der Stube mit mehreren Soldaten schlafen müssen oder nur in der Pause rauchen dürfen.

Der Hauptgefreite R. sagt: "Wer sich freiwillig für die Bundeswehr bewirbt, muss geduldig sein und genauso an seine körperlichen und psychischen Grenzen gehen können. Du musst auch mal aushalten, dass du angeschrien wirst." Aber R. habe auch "tolle Kameradschaft und Teamarbeit" erlebt. "Als Egoist kommst du im Einsatz nicht weit."

R. hat sich für die vollen 23 Monate verpflichtet. Und er will weitermachen, Offizier werden. Zwar habe er einen Plan B, eine Ausbildung als Bankkaufmann. Doch wenn er davon spricht, klingt es eher wie Plan D oder E.

R. erzählt, wie sie in Afghanistan den Menschen in den Dörfern Kleidung und Feuerholz brachten. Er hörte ihre Geschichten über die Bedrohung durch die Taliban und wie froh die Bewohner seien, dass die Deutschen sie schützen. "Das hat mich alles sehr geprägt", sagt R. Nach seinem Einsatz bekam er wie jeder Soldat von der Bundeswehr eine Medaille. Er zeigte sie den Eltern, und die Mutter gleich der ganzen Familie. Sie war dann auch stolz auf ihren Sohn.