EU will Wasserbetriebe stärker privatisieren. Viele Menschen sind besorgt, Städte wie Hamburg sperren sich. Droht ein Kampf ums lebenswichtige Gut?

Hamburg. Es war das Feuer, das Hamburg sauberes Wasser brachte. 1842, der große Brand, 51 Tote, die Häuser der Altstadt standen in Flammen. Auch deshalb, weil die Versorgung mit Löschwasser nicht funktionierte. Als der Brand gelöscht war, beauftragte der Senat den englischen Ingenieur William Lindley mit dem Neubau der Stadt - einschließlich einer modernen Trinkwasserversorgung. Das gilt als Geburtsstunde der Hamburger Wasserwerke.

Wasser ist Leben. Zugang zu dem Rohstoff zählt für die Uno zum Grundrecht. 150 Jahre sind die Verbraucher in Hamburg sauberes Wasser gewohnt, wenn sie den Hahn aufdrehen. Deutschlands Wasserwerke sind zu sehr großen Teilen in der Hand der Städte und Kommunen.

Doch in diesen Wochen ist das Wasser in Europa auch Quelle der Unsicherheit. Und Quelle der Erregung.

Der französische EU-Wettbewerbskommissar Michel Barnier will den Wassermarkt liberalisieren. Er entwarf eine Richtlinie, die bald in ganz Europa gelten soll. Dokument 2011/0437, 98 Seiten lang. Es geht darin um die Vergabe von Konzessionen, also die Übertragung von Nutzungsrechten durch Behörden an Unternehmen, zum Beispiel beim Autobahnbau, aber eben auch bei der Wasserversorgung.

Es gibt diese Richtlinie - und zwei Interpretationen: Verbraucherschützer, Vertreter der Städte und viele Kunden befürchten eine Zwangsprivatisierung, steigende Preise und eine schlechtere Qualität. Barnier, Firmen und Verbände sehen darin endlich klare Regeln für eine Zusammenarbeit von Kommunen und Privaten, bessere Produkte durch Wettbewerb und mehr Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Fest steht: Die EU-Kommission will den Wettbewerb verstärken. In einem Beratergremium der EU-Kommission zum Wassermarkt saßen nach Recherchen der ARD zahlreiche Vertreter großer Unternehmen. Erlöse durch Verkäufe an privates Kapital sollen aber auch die Kassen von Krisenstaaten wie Portugal und Griechenland füllen. Das Geschäftsvolumen des EU-Wassermarktes schätzen Experten auf einen dreistelligen Milliardenbetrag.

Die Richtlinie zwingt Kommunen, den Betrieb der Wasserversorgung europaweit auszuschreiben - unter bestimmten Voraussetzungen: Kommunen und Städte wie Hamburg, die sich komplett eigenständig versorgen, sollen dies weiterhin dürfen. Nur wo bereits Firmen in die Versorgung eingestiegen sind, gilt die Richtlinie. Das aber trifft viele EU-Regionen. Auch hier.

Lange blieb die Richtlinie unbeachtet, Verhandlungen liefen in EU-Büros ab. Nun unterzeichneten mehr als eine Million Menschen die Petition "Wasser ist ein Menschenrecht", ein europaweites Bürgerbegehren. Politiker debattieren in Parlamenten. Droht ein Kampf um den Rohstoff?

Leslie Franke und Herdolor Lorenz sitzen vor Bildschirmen in ihrem Büro im Hamburger Stadtteil St. Georg. In den Regalen von Kern Filmproduktion liegen Ordner und DVDs. Für ihre Dokumentation "Water Makes Money" sind die beiden Filmemacher nach Paris, Bordeaux, London, Kiel, Berlin gereist. Sie interviewten Lokalpolitiker, Umweltaktivisten, Pressesprecher. Sie drehten in Wasserbetrieben, auf Öko-Bauernhöfen, in Kläranlagen. Und sie zeigen mehrere Fälle, in denen ihre Gesprächspartner über stark gestiegene Preise und verschmutztes Wasser nach einer Teilprivatisierung der Versorgung klagen. "In Bordeaux wurde Grundwasser massiv übergenutzt und teilweise fahrlässig verschmutzt. In London ließ das Unternehmen Thames Water teilweise ungeklärtes Abwasser in die Flüsse ab", sagt Lorenz. Der Fall Kiel habe gezeigt: Nachdem die Wasserversorgung in privaten Händen war, sei die Sanierung der Rohre halbiert worden. "Das hat nicht nur der Qualität geschadet, sondern auch Arbeitsplätze gekostet." Geld für teuren Leitungsbau passe nicht zu schnellen Gewinnen.

Franke und Lorenz filmten auch in Berlin. 1999 verkaufte die Stadt 49,9 Prozent der Wasserbetriebe, je zur Hälfte an das französische Unternehmen Veolia und den Essener Energiekonzern RWE. Ulrike Kölver ist Aktivistin beim "Berliner Wassertisch" und sammelte Unterschriften für ein Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Betriebe, sie demonstrierte mit vielen anderen gegen die vom Senat geheim gehaltenen Verträge mit den Firmen. Sie sagt, die Preise für Trinkwasser seien zwischen 2003 und 2012 in Berlin um 37 Prozent gestiegen. 2012 forderte das Bundeskartellamt dann eine Senkung um bis zu 18 Prozent. Das Fatale bei der Privatisierung sei gewesen, dass die Stadt in den Verträgen Gewinne für die Unternehmen garantiert habe, sagt Kölver. Und die Stadt habe nachzahlen müssen, sobald die die Profite nicht den versprochenen Margen entsprachen.

Gleichzeitig sank die Belegschaft von rund 6300 auf 4900 Mitarbeiter. Der Gewinn der Betreiber stieg laut "Spiegel" von acht auf 250 Millionen Euro. Pro Jahr. Doch etwas sagt Kölver nicht: Auch kommunale Betriebe wie die Berliner Verkehrsgesellschaft stehen unter Sparzwang, bauen Stellen ab. Und auch in der Zeit vor der Teilprivatisierung ist der Wasserpreis in Berlin gestiegen. Das sind Argumente, die Matthias Kolbeck nennt. Er ist Sprecher bei Veolia. Der Preis wuchs an, weil der Verbrauch nach der Wende deutlich zurückging: durch Sanierungen der Anlagen in Wohnungen und den Zusammenbruch der Industrie. In vielen Fällen, die heute kritisch diskutiert würden, hätten Kommunen Privatisierungen vor allem mit dem Ziel schneller Einnahmen durchgesetzt. Und deshalb Privaten gleich die Netze und Anlagen mit verkauft. "Veolia hat von sich aus nicht das Interesse, Infrastruktur zu kaufen", sagt Kolbeck. Es gehe vor allem um Hilfe für Kommunen bei Aufgaben der Wasserversorgung. Die Diskussion über die Richtlinie hält er für übertrieben. Wo man Partner der Stadt sei, könne es Ausschreibungen geben, "in denen wir uns dem Wettbewerb stellen müssten". Berlin hat mittlerweile die Anteile von RWE zurückgekauft, für 618 Millionen Euro. Auch ein Verkaufsangebot von Veolia liegt laut Senat vor.

Natalie Leroy arbeitete von 2005 an bei Veolia Wasser in Berlin, als Projektleiterin und später Geschäftsführerin. Sie hat jetzt die Stadt gewechselt - und die Seite. Seit Januar ist Leroy die neue Chefin der Hamburger Wasserwerke. Sie meint: Wasserversorgung gehöre zur Daseinsvorsorge. Die Kommunen müssten dem Versorger den Rahmen für Preise und Qualität setzen. Der Versorger wiederum müsse im Sinne der Kunden handeln. Dann, so Leroy, sei es egal, ob Stadtwerke oder Firmen die Wasserversorgung übernehmen. In Berlin habe es Probleme gegeben, räumt sie ein. Die Verantwortung sieht sie aber nicht bei Veolia, sondern bei der Stadt: "Die war bei den Verhandlungen offenbar zu sehr von den eigenen Erwartungen an die Privatisierungserlöse getrieben worden." Berlin war Mehrheitseigner, gab aber die Geschäftsführung an die Konzerne ab.

Die EU-Richtlinie sieht Leroy kritisch. Nicht so sehr wegen der Hamburger Wasserversorgung. Alle Parteien in der Bürgerschaft mit Ausnahme der FDP lehnen die EU-Richtlinie ab. Doch die Vorgaben aus Brüssel könnten Hamburg das Expansionsgeschäft verderben. Schon jetzt liefert der Betrieb Wasser nach Lübeck, Stormarn oder Schenefeld. Doch steigt der Umsatz außerhalb der Stadt über 20 Prozent, müsste Hamburg die Versorgung nach Wunsch der EU europaweit ausschreiben. Derzeit sind es fünf Prozent.

In Bad Bramstedt besitzt E.on Hanse Anteile der Stadtwerke. 2017 läuft die Konzession aus. Laut EU ein Fall für eine europaweite Ausschreibung. Jan- Uwe Schadendorf, SPD-Politiker und Aufsichtsratsmitglied der Stadtwerke will das verhindern. "Ein städtischer Betreiber soll keine Gewinne machen, sondern kostendeckend wirtschaften", sagt er. Überschüsse müssten in den Erhalt des Netzes investiert werden. Bei einem privaten Betreiber gelte dieser Grundsatz nicht mehr. Private zahlen viel Geld für den Kauf der Konzessionen. In der Regel seien dies große Energiekonzerne. Sie würden in den Wassermarkt drängen, weil ihnen mit der Abschaltung der Atomkraftwerke ein ganzer Geschäftszweig wegbricht.

Als die Hamburger 1842 ihre Wasserleitungen bauen ließen, gab es keine Atomanlagen. Aber schon eine Debatte. Man solle sich nicht mit dem "ersten Lebensbedürfnis" von Privatleuten abhängig machen, hieß es in Zeitungen. Aber auch: Durch den Betrieb der "Privat-Compagnien" in England gebe es "nicht den geringsten Übelstand".