Wowereit: Keine Gefahr für Betrieb durch Urteil zur Wannsee-Route. Bundesamt tendiert zu Revision. Platzeck kommentiert Urteil noch nicht.

Berlin/Potsdam/Schönefeld. Der von Pannen begleitete neue Hauptstadtflughafen in Schönefeld kommt aus den Schlagzeilen nicht heraus. Nach dem Verbot der sogenannten Wannsee-Flugroute durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG) äußerte sich Chefaufseher Matthias Platzeck am Donnerstag jedoch zunächst zurückhaltend. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (beide SPD) beschwichtigte. Die Grünen im Bundestag nannten das Urteil „richtig und wichtig“. Bürgerinitiativen, die seit Jahren das Airport-Projekt bekämpfen, zeigten sich skeptisch und erfreut zugleich. Der Direktor des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung (BAF), Nikolaus Herrmann, sagte, seine Behörde erwäge die Revision gegen das Urteil.

Das Gericht hatte die Route zwischen Berlin und Potsdam am Mittwochabend für rechtswidrig erklärt. In der Urteilsbegründung hieß es, der Luftweg führe zu nah am Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums in Wannsee vorbei. Das Risiko eines Absturzes und eines terroristischen Anschlags mit Flugzeugen sei bei der Festlegung der Route nicht ermittelt worden.

Geklagt hatten die Stadt Teltow und die Gemeinden Stahnsdorf und Kleinmachnow in Brandenburg sowie die Deutsche Umwelthilfe und Privatpersonen. Die Revision wurde zugelassen. Der Reaktor befindet knapp 20 Kilometer entfernt westlich von Schönefeld. Die Wannsee-Route und alle anderen Flugrouten des künftigen Flughafens hatte das BAF vor einem Jahr verbindlich festgelegt.

Bundeaufsichtsamt tendiert zu Revision

Herrmann beschrieb „eine Tendenz“ seiner Behörde zur Revision. „Es geht um eine Grundsatzfrage, bei der eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht sinnvoll ist.“ Das jetzige Urteil habe das BAF so nicht kommen sehen. Zwar habe es vor Festlegung der Routen einen entsprechenden Hinweis der deutschen Atomaufsichtsbehörde zu Wannsee gegeben. Unter Betrachtung ähnlicher möglicher Risiken rund um die Flughäfen Frankfurt am Main und München sei das BAF aber davon ausgegangen, dass ab einer Entfernung einer Atomanlage von mehr als fünf Kilometern das Risiko „extrem gering“ sei. Ob mit dem Urteil das gesamte bisherige System der Routenfestlegung grundsätzlich infrage gestellt wird, könne erst nach Abschluss der anderen Verfahren vor dem OVG zu Schönefeld gesagt werden, ergänzte er.

Platzeck wollte das Urteil noch nicht kommentieren. „Ich muss das erst einmal in Ruhe lesen“, sagte er am Donnerstag in Potsdam. Zuständig für die Festlegung sei ein Bundesamt. Dennoch werde er sich das Urteil genau ansehen und bewerten.

Wowereit sieht Flughafenbetrieb nicht gefährdet

Aufsichtsratsvize Wowereit sagte, es sei jetzt Sache der zuständigen Bundesbehörden, das Urteil sorgfältig zu prüfen. „Sie haben die Flugrouten festgelegt und selbstverständlich muss bei solchen Entscheidungen die Sicherheit Vorrang haben.“ Der Betrieb des Flughafens sei durch den Rechtsstreit um Flugrouten aber nicht gefährdet, betonte er. „Wenn sich nach dem jetzigen Urteil Verbesserungen im Interesse der Menschen erreichen lassen, dann ist das positiv.“

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, sagte: „Wir Grüne haben den Überflug des Helmholtzreaktors immer vehement abgelehnt. Für den Berliner Senat und den Bundesverkehrsminister ist das Urteil die nächste schallende Ohrfeige.“ Beide hätten „die unverantwortliche Flugroute“ jahrelang stillschweigend hingenommen. Das Urteil sei ein großer Erfolg für die Bürgerinitiativen.

Gleichlautend äußerte sich die Berlin-Brandenburger Vereinigung „Neue Aktion“. Das Urteil beweise, dass der Flughafenstandort Auslöser aller Risiken sei, sagte Sprecher Ferdi Breidbach. Daher müsse nun die Neuplanung für einen anderen Bauplatz und eine „Nachnutzung“ von Schönefeld erfolgen. Nur durch schnellstmögliche Standortaufgabe könne das Problem gelöst werden.

Er warnte zugleich vor einer Verlagerung der Gefahren und des Fluglärms in den Südosten Berlins. „Tatsächlich sind die Risiken aus Überflügen von Müggelheim, Schmöckwitz, Karolinenhof, Bohnsdorf, Waltersdorf, Blankenfelde-Mahlow, Diedersdorf-Großbeeren ungleich größer als über der Region des Wannsee-Gebiets.“

Die Vorsitzende des Bürgervereins Friedrichshagen, Sigrid Strachwitz, wies darauf hin, dass hinsichtlich der Wannsee-Route bislang noch nicht über Umweltfragen entschieden wurde. Allerdings hätten die OVG-Richter bereits erkennen lassen, dass es auch dabei Versäumnisse gab. Ähnliches werde sich wohl auch bei den Verhandlungen zur Müggelsee-Route erweisen, die wahrscheinlich im April beginnen. Kläger sind der Bürgerverein und die Naturfreunde Deutschlands, Berlin.