Bischofskonferenz stellt Abschlussbericht zu Telefon-Hotline vor. Hinweise auf Sexualverbrechen in staatlichen Einrichtungen und Familien.

Berlin. Es war eine katholische Hotline. Doch obwohl sich die Deutsche Bischofskonferenz damit von März 2010 bis Dezember 2012 eigens für die Erfahrungsberichte von Missbrauchsopfern aus dem kirchlichen Bereich geöffnet hatte, gab es auch zahlreiche Hinweise auf Sexualverbrechen in staatlichen Einrichtungen sowie in Familien. Von den 1207 Delikten, die den Mitarbeitern der Lebensberatung im Bistum Trier bei dieser bundesweiten Anlaufstelle geschildert wurden, fanden 407 nicht im katholischen Raum statt. Gut 50 ereigneten sich im Gesundheitswesen, mehr als 300 in Familien oder deren Umfeld. In den Familien scheint die Schwere der Verbrechen am größten zu sein: Der Anteil von Penetrationen bei Minderjährigen war in den Opferberichten hier mit rund 70 Prozent deutlich höher als bei Schilderungen aus kirchlichen Bereichen, wo er zwischen 30 bis 40 Prozent lag.

Doch der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Bischofskonferenz für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, war am Donnerstag weit davon entfernt, den katholischen Anteil zu relativieren, als er eine wissenschaftliche Auswertung der Opferberichte vorstellte. Vielmehr thematisierte Ackermann fast ausschließlich Ausmaß und Umstände der Sexualverbrechen von katholischen Geistlichen. Dabei sagte er nicht nur, dass er "erschüttert" sei, sondern auch, dass es im katholischen Raum eine regelrechte "Spiritualität des Verbrechens" gegeben habe. Tatsächlich berichteten einige der Menschen, die sich telefonisch, brieflich oder per Mail an die Beratungsstelle gewandt hatten, dass Priester nach Missbrauchsdelikten gesagt hätten: "Wir sind jetzt in der Liebe Christi verbunden", oder "Du bist eine auserwählte Braut Christi". Ja, zuweilen hätten missbrauchende Priester den Opfern sogar angekündigt, diese bei Gottesdiensten besonders ins Gebet einzuschließen.

Deutlicher als in fast allen anderen bisherigen Studien zum Thema Missbrauch werden in dieser Auswertung der Hotline-Berichte das Verhalten der Täter und auch die Folgen für die Opfer. Was Letztere betrifft, so leiden viele oft noch nach Jahrzehnten unter Depressionen und Partnerschafts- sowie Sexualproblemen oder zeitweiligen Wahrnehmungsstörungen. Manche Telefonate, bei denen die Opfer sowohl über ihre Erfahrungen sprechen als auch Hilfsangebote erhalten sollten, wurden abgebrochen, weil die Betroffenen nicht weitersprechen konnten oder zusammenbrachen.

Was die Täter betrifft, so scheint es, als habe diese Auswertung viele bisher noch gar nicht bekannte Verbrechen ein Stück weit ans Licht gebracht. Es "konnten Einsichten in einen Bereich des 'Dunkelfelds' gewonnen werden", so heißt es im Abschlussbericht, "die bisher kaum der wissenschaftlichen Diskussion zugänglich waren." Besonders erschreckend dabei ist, dass eher wenige "leichte oder minderschwere Delikte" berichtet wurden, sondern es "im Regelfall um schwere und schwerste Delikte über längere Zeit durch enge Vertrauenspersonen" ging.

Allerdings sind die Daten aus dieser Befragung nicht repräsentativ und nicht verifizierbar. Denn ausgewertet werden konnte nur, was Menschen, die sich von sich aus meldeten, anonym und ohne Überprüfungsmöglichkeiten berichteten. Wissenschaftler erstellten insgesamt 1824 Datensätze einzelner Fälle, bei denen 1059 Menschen von sexueller und/oder körperlicher Gewalt persönlich betroffen waren.

Von den 753 Missbrauchsvergehen im kirchlichen Bereich waren dabei 473 männliche und 283 weibliche Personen betroffenen. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Anteil von Männern unter den Opfern deutlich höher ist als sonst oft angenommen. Die meisten Vergehen im kirchlichen Bereich ereigneten sich in Pfarreien (53 Prozent) meist rund um die Erstkommunion und dann später in Jugendgruppen. Es folgen Ordenseinrichtungen, etwa Internate (28 Prozent) und Diözeseneinrichtungen, wozu Jugendlager gehören (zehn Prozent). Die überwiegende Mehrheit der geschilderten Fälle stammt aus den 50er- bis 70er-Jahren, doch auch aus den 90er-Jahren und später. Extrem schlimm müssen die Verhältnisse in katholischen Heimen der 50er- und 60er-Jahre gewesen sein, wo sich die Mönche und Nonnen zuweilen planmäßig schwache und ausgegrenzte Kinder ausgesucht haben, um sie gewaltsam zu missbrauchen. In Gemeinden wiederum scheint das Ansehen der Priester dafür gesorgt zu haben, dass auch mutige Kinder, die ihren Eltern vom Missbrauch erzählten, kaum eine Chance auf Gehör hatten. "Ich schäme mich bis heute angesichts der Opfer, die Menschen in der Kirche vertraut haben und so bitter enttäuscht sind", sagte der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke in der ARD.

Für Bischof Ackermann folgt aus dem Bericht, "dass wir uns weiterhin mit gleichbleibender Intensität und Konsequenz um eine gründliche und transparente Aufarbeitung bemühen werden". Dabei deutete er an, dass sich bei der Kirche bereits mehrere Forschungsinstitute gemeldet hätten, die bereit seien, jenes Forschungsprojekt zu übernehmen, über das sich die Kirche und das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen von Christian Pfeiffer unlängst zerstritten hatten. Es gebe, so Ackermann, Meldungen und Angebote zu einem "Neustart des kriminologischen Projekts". Hingegen erneuerte Pfeiffer in der "Zeit" seine Vorwürfe, dass die Kirche seinen Bericht habe "zensieren" wollen.