Bernd Althusmann ist derzeit einziger CDU-Kultusminister. Bei der NiedersachsenWahl geht es auch um den Einfluss der CDU auf die Bildung.

Hannover. Für einen Moment steht Bernd Althusmann alleine da. Niemand beachtet ihn, wie er vor dem Podium auf dem blauen Teppich wartet. Hier, im Saal des Gästehauses der niedersächsischen Landesregierung, bereiten Kameraleute ihren Dreh vor, im Nebenzimmer stehen die Schüler, trinken an Cocktailtischen O-Saft aus Sektgläsern. Manche haben sich schick gemacht mit Anzug und Krawatte, manche tragen Kaputzenpulli und Jeans. Aber keiner merkt, dass es losgehen soll. "Kommt ran, kommt ran", ruft Althusmann ins Mikrofon. Es soll jetzt nicht unangenehm werden.

In der kommenden Stunde verleiht er den niedersächsischen Schülerfriedenspreis. Althusmann lobt den Mut der Jungen und Mädchen, er nennt die Projekte gegen Rassismus oder Mobbing vorbildlich. "Schule bildet wache Demokraten", sagt er. Am Ende singen Grundschüler noch ein Lied. Bernd Althusmann steht ruhig daneben, faltet die Hände merkelesk vor den Bauch, dann sagt er mit tiefer Hörspiel-Stimme ins Mikrofon: "Meine Damen und Herren, jetzt wissen Sie, warum das Amt des Kultusministers das schönste ist, das man sich vorstellen kann."

Als Angela Merkel 2005 Kanzlerin wurde, stellte die Union neun Kultusminister in den Ländern. Heute gibt es Ludwig Spaenle von der CSU in Bayern. Und es gibt Bernd Althusmann. Er ist der Einzige, der übrig geblieben ist. Der Einzige mit CDU-Parteibuch. Wenn die Niedersachsen am nächsten Sonntag wählen, geht es auch um die Frage, wie viel Einfluss der CDU noch auf die Bildung in Deutschland bleibt. Nach der Wahl in Hessen 2009, im Saarland, in Thüringen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt gaben die Christdemokraten das Ressort ab. Auch wenn sie als stärkste Partei in die Regierungen gingen. In Berlin zeigte die CDU als Juniorpartner keine großen Bemühungen, das Bildungsministerium an sich zu reißen.

In Niedersachsen liegt Schwarz-Gelb in Umfragen knapp hinter Rot-Grün. Bernd Althusmann, 46, Hauptmann der Reserve, geschieden, neu verheiratet und Vater von drei Kindern war lange CDU-Generalsekretär in Niedersachsen, dann Staatssekretär im Kultusministerium. Christian Wulff machte ihn 2010 zum Minister. Heute ist Althusmann um sieben Uhr am Morgen in seiner Heimat Lüneburg gestartet. Er wird nicht vor zehn Uhr abends zu Hause sein. Althusmann sagt: "Natürlich steigt der Druck auf mich als einzigen CDU-Kultusminister, gerade vor der Wahl in Niedersachsen." Es könnten die letzten Tage für ihn als Minister sein.

Früher hatte die Bildungswelt noch klare Fronten, in der die CDU für Dreigliedrigkeit im weiterführenden Schulsystem stand, für die Förderung der Gymnasien und der Berufsbildung, gegen die Gesamtschule und für Aufstieg durch Leistung. Die Partei ist damit gut gefahren: Die PISA-Studie zeigte, dass Schüler dort bessere Leistungen bringen, wo die CDU lange Zeit regiert hat. Doch dann holte die Zeit die Politik der Union ein. Vor allem durch Rückgang der Bevölkerung. Bis 2040 wird sich die Zahl der Schüler fast halbieren. In manchen Orten meldeten sich nur noch drei Schüler zur Hauptschule an. Vielleicht fing damit alles an in der CDU.

Heinz-Peter Meidinger ist Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands. Der Verband steht den Zielen der Union nahe. Aber Meidinger sagt: "Heute fehlt der Partei die bildungspolitische Grundidee. Und ihr fehlen die Köpfe." Eklatant sei, dass auch viele junge Politiker bei der Union das Thema Bildung meiden würden. "Bildungspolitik gilt mittlerweile als karriereschädlich."

Althusmann sitzt in seinem Dienstwagen, neben ihm auf der Rückbank liegen Akten in einer kleinen Holzkiste. Er hat das Sakko ausgezogen, sein Fahrer reicht ihm Aspirin und ein Glas Wasser. Er habe sich wohl bei seiner kleinen Tochter angesteckt, sagt Althusmann. "Manchmal verbringe ich mehr Zeit mit meinem Fahrer als mit meiner Familie. Das ist auch nicht wirklich gut." Aber es ist Wahlkampf. Sein Fahrer düst über die Autobahn in Richtung Delmenhorst, Einladung vom CDU-Kreisverband, und Althusmann erzählt gerade die Anekdote über die Mittelleitplanke. Er zitiert Werner Remmers, in den 70ern Kultusminister in Niedersachsen. Der habe gesagt, er halte sich politisch an der Mittelleitplanke. Da sei kein Gegenverkehr. "Die Wahrheit in der Bildungspolitik liegt oft in der Mitte", sagt Althusmann dann.

Die Mitte. Punkt. Diese politische Parole steht wie kaum eine andere für Parteichefin Angela Merkel und ihre CDU. Bei der Atomkraft, beim Mindestlohn und auch bei der Bildungspolitik. Sie sucht den Kompromiss, baut Fronten ab. Beispiel: Aufweichung des dreigliedrigen Schulsystems. Beispiel: Lernen in der Ganztagsschule. Beispiel: Kita-Ausbau. In der politischen Mitte will Merkels CDU Wahlen gewinnen. 2008 rief sie die "Bildungsrepublik Deutschland" aus. Chefsache soll es sein. Deutschland hat kaum ein größeres Pfund als die Bildung. Wer gute Bildungspolitik macht, macht gute Wirtschafts-, gute Innen- und Arbeitsmarktpolitik. Nur hat Merkel bald keine Kultusminister mehr, die ihre Bildungsrepublik Deutschland aufbauen.

Längst wächst Kritik in der Partei. "Die CDU hat das Bildungsressort in den Ländern vernachlässigt", sagt der Hamburger Bundestagsabgeordnete und Bildungsexperte der Partei, Marcus Weinberg. Das habe aber weder mit Fahrlässigkeit noch mit Lustlosigkeit zu tun. In Koalitionen sei es für die Union stets auch um die wichtigen Ressorts für Finanzen, Wirtschaft und Inneres gegangen. "In Zukunft müssen wir auch wieder stärker das wichtige Bildungsressort an uns ziehen." Auch CDU-Bildungspolitiker im Bundestag, Stefan Kaufmann, warnt: "Die CDU verpasst die Chance, Schulpolitik zu gestalten." Viele CDU-Politiker wüssten, dass es nicht einfach ist, sich mit Themen wie Schule und Kita zu profilieren - anders als in den Ressorts Soziales, Inneres oder Gesundheit, sagt Kaufmann.

Bernd Althusmann sagt: "Die CDU muss da mehr Mut beweisen. Wir können das." Er steht wieder an einem Pult. Es ist nach sieben Uhr abends im Festsaal des Hotels Thomsen in Delmenhorst. 60 Menschen sind gekommen, auf dem Tisch stehen CDU-Papierfähnchen, daneben liegen Ansteck-Buttons mit "I'm a Mac" und Bierdeckel im Schottenmuster. "Mac" wird David McAllister, der Ministerpräsident des Landes, genannt. Bernd Althusmann hat jetzt keine Märchenonkel-Stimme mehr, er ballt die Faust, wird auch mal lauter. Er will jetzt auch noch mal allen klarmachen, warum Deutschland die CDU in der Schulpolitik braucht. Fast eine Stunde spricht er über neue Lehrerstellen, die sie geschaffen haben, über Niedersachsens Modell der Oberschule, von denen es schon 220 gebe. Sie ist Althusmanns Weg, Elemente der Gesamtschule zu integrieren, gleichzeitig bleiben Haupt- und Realschule erhalten. Auch das Abitur ist möglich. Die Oberschule ist Althusmanns Weg durch die Mitte. Er erzählt dann wieder die Geschichte von Werner Remmers und der Mittelleitplanke. Die CDU-Mitglieder klatschen Althusmann Beifall. Er hat hier wenig Gegenverkehr.

Wer Bildungspolitiker ist, wird oft zerrieben zwischen Fronten: Lehrer, Schüler, Eltern, Verbände, Gewerkschaften, Studien. Allein in den letzten zwölf Monaten traten vier Kultusminister zurück. Auch von FDP und SPD.

Und aus der eigenen Partei weht Bildungspolitikern Wind entgegen. Vor allem in der Union war das gut zu beobachten - beim Streit über Zwei- und Dreigliedrigkeit, bei der Debatte um Ganztagsbetreuung und dem Ausbau der Krippenplätze. Es gab Stimmen, die konservative Ideale verraten sahen. Anderen war der Kurswechsel das Gebot der Zeit. Es habe zu lange gedauert, den zentralen Wandel Richtung Zweigliedrigkeit anzunehmen, sagt Hamburgs CDU-Chef Weinberg. Sowohl in der Partei als auch bei der eigenen Klientel.

Glaubt man einer Studie des Emnid-Instituts sind Eltern von Schülern kein klassisches CDU-Klientel. Mehrheitlich jedenfalls. Sie favorisieren Bildungsideale, die oft von links kamen und für die heute vor allem SPD und Grüne stehen: ganztägiger Unterricht, längeres gemeinsames Lernen, Chancengleichheit. Auch das neunjährige Gymnasium ziehen 79 Prozent der befragten Eltern vor. Im G8, dem "Turbo-Abitur" nach acht Jahren, sehen sie vor allem den Leistungsdruck auf ihre Kinder. 74 Prozent glauben, dass der Leistungsgedanke in der Bildungspolitik im Vordergrund steht. Es ist vor allem die CDU, die für diesen Gedanken steht. Das sagen auch Parteimitglieder wie Althusmann und Kaufmann. Doch nur 28 Prozent der Eltern halten das für ein wichtiges Ziel. Und die CDU muss nun auch Politik nach Umfragen machen.

G8 war nie ein Projekt von links oder rechts. Die politischen Lager sind auch beim Thema Bildung längst nicht mehr so starr wie früher. Fast alle Bundesländer übernahmen das "Turbo-Abi". Und viele kehrten nach den Protesten der Eltern zurück zum Abitur nach 13 Jahren. Althusmann will das nicht. Natürlich nehme er die Sorgen der Eltern ernst, man werde Lehrpläne entschlacken, Druck aus dem Kessel nehmen. Was aber aufhören müsse, sei das Hin und Her in der Bildungspolitik, sagt Althusmann. "Lehrer und Schüler brauchen Kontinuität." Die Opposition in Niedersachsen hat schon angekündigt, die Schulzeit bei einem Wahlsieg nächste Woche wieder zu verlängern.