Tatort Bundesgesundheitsministerium: Ein IT-Spezialist soll im Auftrag eines Apotheke- Lobbyisten Geheimdossiers ausspioniert haben.

Berlin. Daniel Bahr war schon länger erstaunt. Dass im Milliardengeschäft Gesundheit mit harten Bandagen gekämpft wird, war der Gesundheitsminister längst gewohnt. Aber immer wieder erreichten sein Ministerium Fragen zu Bahrs angeblichen Plänen – von denen der Hausherr selbst allerdings noch gar nichts wusste. Dass wohl ein ausgeklügelter Datenklau dahintersteckte, wusste der FDP-Politiker damals noch nicht.

Bevor ein Minister mit Gesetzes- und Verordnungsplänen an die Öffentlichkeit geht, läuft ein längerer Prozess ab. Referenten schreiben Vermerke und Entwürfe. Die elektronischen Texte wandern vom Abteilungsleiter über Staatssekretäre zum Computer des Ministers - dabei sollen die Daten ausspioniert worden sein. Und zwar über Jahre.

„Das begann Ende 2010“, sagt Bahr. Es passierte immer wieder, ausgerechnet im umkämpften Bereich der Arzneimittel. Informationen, die ihn noch nicht erreicht hätten, seien sogar bereits im Internet zum Download angeboten worden, berichtet der Minister.

Da ging es zum Beispiel um eine neue Apothekenbetriebsordnung. In der Öffentlichkeit spielte sie keine große Rolle, aber in der Branche sorgte sie für Riesenwirbel. Apotheker sollten laut einem Entwurf zum Beispiel etwas weniger prominent Kosmetika verkaufen als bisher - sofort musste der Minister in einschlägigen Fachdiensten Schlagzeilen lesen nach dem Motto: Bahr will Apotheken ohne Kosmetika.

Gerade die organisierte Apothekerschaft hält mit schäumender Kritik nicht hinterm Berg, warnt vor einem Apothekensterben und einem Ausbluten des Berufsstandes. Doch krimineller Datenklau wäre eine ganz andere Dimension.

Es könnte – nach dem, was in Berlin kursiert – so gelaufen sein: Ein Lobbyist aus dem Umfeld der Apothekerschaft bezahlte einen externen IT-Mitarbeiter mit Zugang zu Ministeriumsrechnern für ausgespähte Dossiers. Es soll ein ehemaliger Mitarbeiter der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) gewesen sein, der aber in dem Bereich weiter recherchierte und als Lobbyist tätig war.

Im Ministerium begann man, der Sache nachzugehen, zunächst ohne Erfolg. Die Mitarbeiter mussten eidesstattliche Erklärungen unterschreiben. Erleichtert war man in den oberen Etagen des Hauses wohl, als sich herauskristallisierte: Feste Mitarbeiter des Hauses waren nicht involviert. Doch erst ein anonymer Hinweis brachte ein heiße Spur.

„Ich kann als Bundesgesundheitsminister nicht akzeptieren, wenn hier Versuche unternommen werden, interne Informationen, die für den Gesetzgebungsprozess wichtig sind, auf kriminelle Art und Weise zu erlangen“, sagt Bahr. Also schaltete er die Staatsanwaltschaft ein, es gab Durchsuchungen im Ressort und bei zwei Verdächtigen: dem Lobbyisten und dem IT-Experten, der sich bezahlt haben lassen soll. Der Mann bekam Hausverbot.

Was war der Zweck des Datenklaus? Es könnte eine Art sportlicher krimineller Ehrgeiz eines gesundheitspolitischen Insiders gewesen sein. Es dürfte aber auch um gezielte Lobbyarbeit gegangen sein. Denn wenn ein Verband drastische Warnungen vor angeblich folgenreichen Regulierungsplänen bereits früh an die am Ende entscheidenden Abgeordneten richten kann, hat er bessere Karten. Dann findet er unter Umständen größeres Gehör, als wenn das Ministerium die Pläne zunächst selbst begründen kann.

Bahr betont: „Ich bin stinksauer über solche kriminelle Energie.“ Er sagt aber auch: „In meinen Entscheidungen als Minister hat es mich nicht beeindruckt.“ Zumindest dürfte der Skandal Vorwürfen, der Freidemokrat richte sich auch mal nach der Pharmabranche, entgegenwirken.

Doch Fragen bleiben: War da wirklich nur ein zwielichtiges Duo am Werk? Oder hatte der Lobbyist selbst auch Auftraggeber? Die ABDA weist alle Vorwürfe mit Abscheu und Empörung zurück.

Und war es nur ein Leck in einem überschaubaren Bereich? Oder hat die Bundesregierung ein Sicherheitsproblem? „Externe IT-Beschäftigte werden nach den einschlägigen Geheimdienstvorschriften des Bundes überprüft“, sagt Bahr. Die IT-Firma sei bereits seit 2008 im Einsatz. An ihrer Seriosität zu zweifeln, gebe es keinen Anlass. Doch es kursiert, dass die Firma auch in anderen Ministerien arbeite. Muss das sein, dass Fremdfirmen an sensible Software und Inhalte kommen?

Bahr sagt: „Ich kann auch nichts dazu sagen, ob das nun Einzelfälle sind oder mehr.“ Jetzt sind zunächst einmal die Staatsanwalte gefragt.