Altersbezüge werden künftig fast so stark klettern wie Löhne, weil viele Dämpfungsfaktoren auslaufen. Sozialverbände skeptisch.

Berlin. Ulrike Mascher rät zur Vorsicht. Angesichts der Prognose der Bundesregierung über steigende Renten in den kommenden Jahren weist die Präsidentin des größten deutschen Sozialverbandes VdK darauf hin, dass diese Vorhersagen nicht mehr "als ein Blick in die Kristallkugel" seien. Die Erfahrung lehre, dass es oft eine magerere Rentenanpassung gebe, als vorab prophezeit worden sei. "Wir können heute nicht sagen, ob die Beschäftigungslage weiterhin so gut ist und die Löhne in den nächsten Jahren angemessen steigen", sagte Mascher. Es wäre erfreulich, wenn sich die optimistische Vorhersage diesmal bewahrheiten sollte.

Die Bundesregierung stellt den 20 Millionen Rentnern in den kommenden Jahren stetig steigende Bezüge in Aussicht. Laut dem diesjährigen Rentenversicherungsbericht können die Ruheständler im Westen bis 2016 mit einem Plus von 8,5 Prozent rechnen. Im Osten sollen die Renten gar um 11,55 Prozent klettern. Allein für das kommende Jahr rechnet der Bericht mit einem Anstieg von 3,49 Prozent in den neuen Bundesländern - den höchsten Anstieg seit 1997. Im Westen soll es 2013 zwar nur eine Steigerung von einem Prozent geben. Doch 2015 können die Senioren hier mit einer Erhöhung um 2,55 Prozent rechnen. Dies wäre dann der höchste Zuschlag seit 1994. Weil der Prognose nach die Anpassungen im Osten im gesamten Vier-Jahres-Zeitraum höher ausfällt als im Westen, steigt das Ostrentenniveau von jetzt 88,8 auf 91,2 Prozent. 2030 soll schließlich die vollständige Angleichung an das Westniveau erreicht sein.

Für den Rentenexperten der Union, Peter Weiß, spricht vieles dafür, "dass die Durststrecke für die Rentner vorbei ist". Denn wesentliche Dämpfungsfaktoren, die in den vergangenen Jahren für niedrigere Anpassungen gesorgt hätten, liefen aus. "Deshalb werden die Rentensteigerungen im Osten schon ab kommenden Jahr und im Westen ab 2013 nahe bei der Lohnentwicklung liegen", sagte der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der Union.

Allerdings ist die Rentenformel, nach der die Altersbezüge jedes Jahr im Juli angepasst werden, eine Gleichung mit sehr vielen Unbekannten. Grundsätzlich folgen die Renten mit einem Jahr Verzögerung den Löhnen. Allerdings wurden im Zuge der Rentenreformen einige Abschlagsfaktoren in die Berechnungsformel eingebaut. Auf diese Weise sollen die Lasten der Alterung der Gesellschaft gerecht auf Jung und Alt verteilt werden. So dämpft beispielsweise die "Riester-Treppe" den jährlichen Rentenanstieg um 0,65 Prozentpunkte. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die heutigen Beitragszahler zusätzlich privat vorsorgen müssen, um im Alter das Versorgungsniveau der heutigen Rentnern erreichen zu können. Der Riester-Faktor mindert 2013 zum letzten Mal den Rentenanstieg. Das Gleiche gilt für den "Nachholfaktor", der seit 2010 die Höhe der Anpassung mindert. Weil im Rentenrecht eine Schutzklausel die Kürzung der Renten in schlechten Jahren verhindert, müssen ausgesetzte Einsparungen in guten Jahren nachgeholt werden. Diese Regel sorgte dafür, dass die Ruheständler ungeschoren durch die schwere Finanzkrise gekommen sind. Allerdings profitierten sie später auch weniger stark vom Aufschwung. Der Nachholfaktor läuft gleichfalls aus: in Ostdeutschland bereits in diesem Jahr, im Westen dämpft er 2013 zum letzten Mal den Rentenanstieg.

Somit bleibt in den Folgejahren lediglich der "Nachhaltigkeitsfaktor" wirksam. Es spiegelt die Veränderungen im Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern wider. Infolge des Beschäftigungsboom ist die Zahl der Arbeitnehmer in den der vergangenen Jahren stetig gestiegen. Anders als ursprünglich vom Gesetzgeber geplant, wirkte der Nachhaltigkeitsfaktor deshalb bislang eher rentensteigernd als dämpfend. "Doch dies wird sich in Zukunft angesichts der demografischen Entwicklung ändern", sagte CDU-Rentenexperte Weiß. Über die Rentenformel sind die Altersbezüge somit eng an die Beschäftigungsentwicklung gekoppelt. Im Rentenbericht unterstellt die Regierung, dass es nicht zu einem Konjunktureinbruch kommt. Laut Prognose sollen die Bruttolöhne in den kommenden vier Jahren zwischen 2,5 und 2,8 Prozent steigen. Für Ostdeutschland wird sogar mit einem höheren Lohnanstieg von bis zu 5,6 Prozent gerechnet. Und die Zahl der Arbeitslosen soll bundesweit im Jahresdurchschnitt unter der Marke von drei Millionen bleiben.

Der CDU-Wirtschaftsrat wertete die positive Rentenprognose als Beleg dafür, dass die Senioren am Aufschwung beteiligt werden. "Es ist richtig und entspricht der Idee unseres Generationenvertrages, dass Jung und Alt gemeinsam vom Wirtschaftsaufschwung profitieren und auch die Renten mit angehoben werden", sagte der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger. Gleichzeitig warnte er die Sozialdemokraten davor, in der Rentenpolitik das Rad zurückzudrehen. Die SPD hatte am Wochenende ein Rentenkonzept beschlossen, das unter anderem die Einführung einer Solidarrente von 850 Euro im Monat für langjährig versicherte Geringverdiener vorsieht. Außerdem sollen 63-Jährige auch in Zukunft abschlagsfrei in Rente gehen können, wenn sie 45 Versicherungsjahre nachweisen können.

Verbesserungen stellt die größte Oppositionspartei zudem für Invaliden sowie für Mütter in Aussicht, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben. Langfristig soll eine stärkere Absenkung des Rentenniveaus verhindert werden. "Es wäre ungerecht und ein Verstoß gegen den Generationenvertrag, wenn die Lasten der Bevölkerungsalterung zum größten Teil der erwerbstätigen jungen Generation aufgebürdet würden", monierte Steiger. Deshalb lehne der Wirtschaftsrat "das maßlose, nicht finanzierbare Rentenkonzept der SPD und die Rolle rückwärts der Sozialdemokraten bei der Rente mit 67 strikt ab."

Auch der Arbeitnehmerflügel der Union warnt die SPD vor unhaltbaren Versprechen. Die Pläne der SPD bedeuteten Mehrausgaben bis 2030 in Höhe von 90 Milliarden Euro, rechnete Rentenexperte Weiß vor. "Die SPD will im großen Stil Beitragsmittel einsetzen, um soziale Ausgleichselemente zu finanzieren", kritisierte der CDU-Politiker. Dies gehe voll zulasten der Beschäftigten. Weiß warnte zudem vor der vom SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück angekündigten vorzeitigen Anpassung der Ostrenten an Westniveau: "Viele Ostrentner würden dadurch zu Verlierern." Zwar liege der Rentenwert in den neuen Bundesländern nur bei knapp 90 Prozent. Doch profitierten die Ostrentner von einer Höherwertung ihrer Rentenentgeltpunkte: Für den gleichen Beitrag erwerben sie einen höheren Rentenanspruch als im Westen. Dieser Zuschlag ist ein Ausgleich für die geringere durchschnittliche Lohnhöhe. Unter dem Strich sind die Ostrentner im Vorteil.