Die SPD-Basis befragt den Kanzlerkandidaten Steinbrück in der Markthalle am Hauptbahnhof. Und der zeigt sich als großer Erzähler.

Hamburg. Peer Steinbrück muss Sabine Stratenschulte nicht mehr überzeugen. Ihr Onkel in Kiel hat mit ihr Bundestagsdebatten geschaut, als sie noch ein Kind war. Der smarte Helmut Schmidt redete über die Nato, RAF und Ölkrise. Seit 14 Jahren ist Stratenschulte, 46, Mitglied der SPD. Schmidt, sagt sie, sei der einzige Mann, der bei ihr überall in der Wohnung rauchen dürfte. Und in Peer Steinbrück sehe sie auch ein gutes Stück Helmut Schmidt. Stratenschulte wohnt auf St. Pauli und ist mit ihrem Fahrrad zur Markthalle am Hauptbahnhof gefahren, um Steinbrücks ersten Auftritt vor der Basis in Hamburg zu erleben, seitdem er Kanzlerkandidat der SPD ist. "Charisma hat Steinbrück wie der Schröder und der Schmidt. Und auf jede Frage auch eine Antwort", sagt sie. Alles super, den wählt sie. Kein Zweifel.

Als Steinbrück unter der Discokugel in der Markthalle noch einen Schluck Wasser trinkt und ein paar Hände schüttelt, hält ein junger Mann, der die Maske der Globalisierungsgegner trägt, auf der Bühne einen Zettel in die Höhe: "Bankenlobbyist" steht dort. Eine junge Frau in blauem Kapuzenpullover ruft Steinbrück noch ein paar Worte hinterher, bevor sie nach draußen verschwindet. Alles Augenwischerei sei das. Nicht alle hat Steinbrück an diesem Tag gewinnen können. Vielleicht hätten ihm auch fünf Stunden nicht gereicht, sie zu überzeugen.

Steinbrück, 65 Jahre alt, war eigentlich nur noch ein Ehemaliger. Ein Ex. Ex-Staatssekretär, Ex-Ministerpräsident, Ex-Finanzminister. Als seine SPD 2009 im Bundestagswahlkampf scheiterte und Schwarz-Gelb regierte, begann er seine Karriere als Finanzfachmann der Euro-Krisen-Jahren, als Freizeit-Professor tourte er durch deutsche Hörsäle und Gemeindesäle, schrieb ein Buch: "Unterm Strich". Er las, debattierte, plauderte. Peer Steinbrück ist ein Erzähler. Das kommt gut an bei vielen, auch an diesem Nachmittag in der Hamburger Markthalle.

Jetzt ist Steinbrück kein Ex mehr. Er ist Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten. Überraschend, denn lange stand er im Schatten von Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Vor Steinbrück ist jetzt nur noch Kanzlerin Angela Merkel. Viele sagen, dass seine größte Hürde aber die eigene Parteibasis ist. Und deshalb tourt Steinbrück jetzt nicht mehr mit seinem Buch unter dem Arm, sondern mit seinem Wahlprogramm. Und er sagt zu den 200 Besuchern in der Markthalle: "Ihr sollt das mitbestimmen." Nicht nur irgendwelche Chefs in Hinterzimmern der Partei. Also los, Debatte.

Es folgen rund 30 Fragen, zu rund 20 Themen, von 30 Bürgern. Rentner, Studenten, Gewerkschafter, Lehrer. Steinbrück rattert mit ihnen durch die politische Agenda der Republik. Energiewende. Vorratsdatenspeicherung. Rentenkürzung. Betreuungsgeld. Verkehrspolitik. Rüstungsexporte. Es gibt ein paar Buh-Rufer und oft viel Applaus. Nach seinen umstritten hohen Vortragshonoraren wird er nicht gefragt. Steinbrück, in Hamburg geboren, in Hamburg zur Schule gegangen, und, wie er in der Markthalle witzelt, auch "in Hamburg sitzen geblieben", dieser Peer Steinbrück hat an diesem Tag ein Heimspiel - mit nur wenigen Grätschen von hinten in die Beine.

"Hi, lieber Peer! Mich würde interessieren, wie du Frauen fördern wirst als Kanzler." Steinbrücks Antwort: "Also erstmal: Ich habe nicht das verklemmte Verhältnis zu Frauen, wie es mir die Zeitungen nachsagen."

Dann fordert Steinbrück gleiche Löhne für Frauen und Männer, eine Begrenzung der Niedriglohnarbeit, die vor allem Frauen betreffe, und auch eine Frauenquote. Früher sei er gegen die Quote gewesen - auch weil seine Töchter ihm gesagt hätten, sie wollten keine Quotenfrauen sein. "Heute weiß ich: Es funktioniert nicht anders." 40 Prozent der Aufsichtsräte und Vorstände in deutschen Unternehmen sollen unter seiner Regierung von Frauen gestellt werden. Der Applaus ist am lautesten, als Steinbrück eine Koalition mit der Linkspartei ausschließt. Gibt es Zwischenrufe, gibt er Kontra. Ein Dialog entsteht an diesem Nachmittag in der Markthalle selten. Es ist mehr eine Fragestunde, das SPD-Volk fragt den Peer.

Den Hamburger Schnack in seiner Stimme hat Steinbrück nie verloren. Er kennt die Stadt, ist oft hier - und das will er in der Markthalle auch zeigen. Zur angeschlagenen HSH Nordbank sagt er: "Unter bestimmten Voraussetzungen muss man auch über eine Abwicklung von Landesbanken nachdenken." Applaus. Allerdings müsse die "Ansteckungsgefahr" für andere Institute minimiert werden.

Noch ein Hamburg-Thema und eine Steinbrück-Geschichte dazu: Vor fünf Monaten war er in der Stadt, eine Demo versperrte den Weg für das Taxi zu seinem Hotel. "Ich bin dann ausgestiegen und habe gefragt, was los ist", erzählt Steinbrück. Die Studenten protestierten gegen Leerstand und für bezahlbaren Wohnraum. "100 Bewerber auf eine freie Wohnung", das hätten sie ihm auf der Demo gesagt. Im Falle seiner Wahl werde er gegen zu hohe Mieten in Ballungsräumen vorgehen. Er habe schon ein Gespräch mit Bürgermeister Olaf Scholz geführt, der solle ein konkretes Konzept mit seinen Kollegen aus Hannover und München erarbeiten. Wieder Applaus.

Eine Geschichte aus der Stadt, eine politische Forderung - Steinbrück weiß, was bei den Genossen ankommt. Dann noch eine Frage zu Europa. Wichtiges Thema, klar, und ein Lieblingsthema. Steinbrück hat da noch eine Geschichte, die er erzählen möchte ...