Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband warnt vor steigender Altersarmut. Beiträge können dank voller Sozialkassen sinken.

Hamburg/Berlin. Ulrich Schneider ist der Chef-Lobbyist der Armen in Deutschland. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist allgegenwärtig, wenn es um Sorgen und Rechte des unteren Zehntels der Bevölkerung geht. Und wie einst das "Maschinengewehr Gottes", der legendäre US-Prediger Bill Graham, kann Schneider Zahlen, Fakten, Forderungen herunterrattern, dass einem mulmig wird. Dabei täuscht die imposante Erscheinung des Mannes über sein empathisches Wesen hinweg. Er ist sanfter, als man meint. Nur mit der Politik hat er kein Erbarmen.

Den groß angelegten Regierungsdialog Rente, den Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor einem Jahr angestoßen hat, sieht er als gescheitert an: "Totgeredet." Schneider sagte dem Abendblatt: "In den Rentendialog wurden alle eingebunden. Nur hat Frau von der Leyen vergessen, ihre Parteikollegen und den Koalitionspartner FDP einzubeziehen, geschweige denn den Wirtschafts- und den Finanzminister."

Die Hürden für von der Leyens Zuschussrente für Niedrigverdiener seien zu hoch. 40 Versicherungsjahre in der Rentenversicherung weise künftig kaum jemand auf, der zwischenzeitlich arbeitslos sei und sich von Job zu Job hangele. "Die heutige Rentnergeneration hat auf einem anderen Planeten gelebt." Wenig Arbeitslosigkeit, gute Gehälter, ein Berufsleben lang oft bei einem oder zwei Arbeitgebern. Das war einmal.

Geringverdiener hätten keinen Euro übrig für eine private Vorsorge, die Ministerin von der Leyen verpflichtend machen will für die, die ihre Rente auf 850 Euro aufstocken lassen wollen. "Sie haben nicht das Geld und kein Vertrauen in Riester", sagt Schneider.

Überhaupt, so findet er: "Nach zehn Jahren wissen wir: Die Riester-Rente ist eindeutig gefloppt." Bei gut 15,5 Millionen Verträgen ist das eine harsche Einschätzung. Schneider lässt auch die Statistik der Zentralen Zulagenstelle nicht gelten. Danach lohnen sich auch für Geringverdiener kleine Beiträge zu einer Riester-Rente zusammen mit den staatlichen Zuschüssen für Kinder. Immerhin - jeder dritte Riester-Sparer verdient weniger als 10 000 Euro im Jahr brutto. 70 Prozent haben ein Einkommen unter 30 000 Euro, also klar unter dem Durchschnittsverdienst, den die Rentenversicherung zugrunde legt (rund 32 000 Euro).

Dass der Beitragssatz zur Rente nun von 19,9 auf 19,6 und 2013 dann auf 18,9 Prozent gesenkt wird, halten alle Verbündeten außerhalb des Bundestages und des Hauses der deutschen Wirtschaft in Berlin für falsch: Wohlfahrts- und Sozialverbände, Gewerkschaften. DGB-Vorstand Annelie Buntenbach sagte, die Absenkung jetzt komme in kurzer Zeit wie ein Bumerang als "drastische Beitragserhöhung" zurück. Die SPD ließ verlautbaren: Die Zeche für die Beitragssenkung würden die künftigen Generationen zahlen.

Dabei schreibt das Gesetz die Absenkung vor, wenn die Reserven der Rentenkasse das 1,5-Fache einer Monatsausgabe übersteigen. Ende Dezember wird es das 1,7-Fache sein. Im kommenden Jahr werden also Arbeitnehmer und Firmen entlastet.

Das ist nach dem Gusto des Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt. Er hatte von der Leyens Zuschussrente in Bausch und Bogen verworfen: "Frau Merkel, stoppen Sie diese Frau." Im Kampf gegen Altersarmut, so der schwäbische Unternehmer, "helfen Arbeit und Eigenvorsorge". Innerhalb des Rentensystems könne man Altersarmut nicht vermeiden.

Genau das aber wollen die Anwälte der Geringverdiener. Die Ideen reichen von höheren Rentenansprüchen während der Arbeitslosigkeit über bessere Anerkennung von Erziehungszeiten bis zur Rente nach Mindesteinkommen. Die gab es bis 1992 und funktionierte in etwa so: Wer 35 Jahre rentenrechtliche Zeiten vorweisen kann, aber eine Rente unter einem bestimmten Niveau erwartet, bekommt nachträglich Entgeltpunkte gutgeschrieben.

Junge Abgeordnete aus Union und FDP zerreißen von der Leyens Konzept in der Luft. Die SPD plant dagegen mit der Solidarrente eine ähnliche Aufstockung wie die Arbeitsministerin. Die CSU will vor allem die Mütter besserstellen. Und die Position von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist wie gewohnt biegsam. Den Arbeitgebern schrieb sie ins Stammbuch: Wer dauerhaft unter zehn Euro pro Stunde verdiene, werde eine Rente unterhalb der Grundsicherung erhalten - auch die, die 45 Jahre eingezahlt hätten. "Das geht politisch nicht", sagte Merkel.

Der Paritätische fordert deshalb einen Mindestlohn von 10,50 Euro. Hauptgeschäftsführer Schneider rechnet damit, dass in zehn bis 15 Jahren bis zu 20 Prozent der Rentner die Grundsicherung im Alter bekommen. Derzeit sind es bundesweit etwa 2,6 Prozent, in Hamburg ist der Anteil mehr als doppelt so hoch. Merkel konnte sich zunächst für eine Idee der Jungen Union erwärmen. Der Parteinachwuchs will, dass die private Vorsorge nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet wird. Dann neigte Merkel wieder von der Leyen zu, die private Vorsorge auch nicht voll anrechnen, aber die gesetzliche Rente stärken will.

Gegen die Schreckensszenarien von der Altersarmut spricht der neue Alterssicherungsbericht der Bundesregierung. Demnach stehen Ehepaaren über 65 monatlich netto 2433 Euro zur Verfügung - nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherung. Und immer mehr Rentner kommen in den Genuss einer privaten Altersvorsorge. Doch die kommenden Rentnergenerationen haben auch die Rezession auf dem Arbeitsmarkt Ende der 80er-Jahre und rund um die Jahrtausendwende in Deutschland miterlebt. Dadurch wurden ihre Zahlungen in die Rentenkasse und damit ihre Renten geschmälert.

Und Ulrich Schneider gibt zu bedenken, dass sich mit dem Abschied aus dem Erwerbsleben für Geringverdiener, die wenig in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, nichts mehr ändern wird: "Altersarmut dauert bis zum Tode an."