DIe Grünen-Fraktionschefin Renate Künast spricht im Abendblatt-Interview über die EEG-Reform, die Bildungsministerin und Peer Steinbrück.

Berlin. Renate Künast ist in diesen Tagen viel unterwegs. Neben ihrem Job als Fraktionschefin der Grünen im Bundestag tingelt sie mit 14 Mitbewerbern durch Deutschland, um sich den Parteimitgliedern als potenzielle Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2013 zu präsentieren. Heute Abend ist sie deshalb in Hamburg. Das Abendblatt traf Künast gestern Morgen in Berlin.

Hamburger Abendblatt: Frau Künast, sind Politiker besonders gute Menschen?

Renate Künast: Wir sind wie alle anderen Menschen, wir sind mitten aus dem Volk. Aber Politiker müssen wissen, dass man sie als Vorbild sieht.

Die Bürger erleben gerade, dass Bildungsministerin Annette Schavan möglicherweise nicht ganz fehlerlos ist. Sie steht wegen ihrer Plagiatsaffäre unter Druck. Muss sie zurücktreten?

Künast: Die Vorwürfe, die erhoben werden, müssen sorgfältig geprüft werden. Das müssen wir abwarten. Das jetzt bekannt gewordene Gutachten weckt aber Zweifel an ihrer Legitimation als die Ministerin, die für Wissenschaft zuständig ist. Ob Frau Schavan diese Zweifel ausräumen und ihr Amt als Bildungs- und Wissenschaftsministerin nach Abschluss der Untersuchung noch glaubwürdig ausfüllen kann, wird sich zeigen.

Was sagt es uns, dass die Bundeskanzlerin der Ministerin ihr "volles Vertrauen" ausgesprochen hat?

Künast: Das hat die Kanzlerin bei Guttenberg auch gemacht mit bekannten Folgen. Das sagt also erst mal gar nichts aus. Schavan selbst hat die moralische Latte bei Plagiaten extrem hoch gehängt. Über Guttenberg hat sie damals gesagt, sie schäme sich nicht nur heimlich. Derzeit kann sie, meines Erachtens, ihr Amt nicht mehr unbelastet ausüben. Es stehen erhebliche Vorwürfe im Raum, die ausgeräumt werden müssen.

Hat SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Fehler gemacht?

Künast: Peer Steinbrück hat sich offenbar zu jeder Zeit an die existierenden Regeln gehalten. Die Kritik an ihm geht für Union und FDP nach hinten los. Unter den zehn Top-Nebenverdienern im Bundestag sind neben Steinbrück neun Unions- und FDP-Abgeordnete.

Sollen Politiker ihre Nebeneinkünfte komplett offenlegen?

Künast: Ich hätte nichts dagegen. Wir schlagen zwölf Stufen vor, in denen Nebeneinkünfte angegeben werden können, beginnend bei 1000 Euro. Den Vorschlag der SPD, die Untergrenze auf 10 000 Euro anzuheben, lehnen wir ab. Es ist ja absurd dabei noch von Bagatelle zu sprechen. Mit uns gibt es keine Aufweichung, sondern wir wollen schärfere Regeln und das schon seit Jahren. Wir wollen aber darüber hinaus ein viel weitreichenderes Paket verabschieden.

Das heißt?

Künast: Wir sollten den Verhaltenskodex der Europäischen Kommission für ausscheidende Regierungsmitglieder übernehmen. Hier benötigt ein früheres Kommissionsmitglied bis 18 Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Amt die Genehmigung der EU-Kommission, wenn es einen neuen Job annehmen will. Für ehemalige Bundesminister schlagen wir drei Jahre vor. Wir wollen auch, dass Parteien nicht nur Parteispenden offenlegen sollen, sondern auch das Sponsoring von Parteien durch Unternehmen muss öffentlich gemacht werden. Wir wollen dazu ein Lobbyregister einführen. Und der Bundestag muss endlich das Uno-Abkommen gegen Korruption ratifizieren und Abgeordnetenbestechung unter Strafe stellen.

Mit Umweltminister Altmaier wird es vorerst keine EEG-Reform geben. Hat er versagt?

Künast: Altmaier hat großes Showtalent. Er inszeniert sich als jemand der anpackt, tut aber in Wirklichkeit nichts anderes, als die Energiewende zu konterkarieren. Wenn Altmaier den Ausbau der Erneuerbaren verlangsamen will, dann nicht um die Bürger vor hohen Stromkosten zu schützen, sondern nur, um konventionelle Energieerzeuger zu protegieren und die Marktmacht der großen Konzerne zu zementieren.

Geht die Energiewende auch billig?

Künast: Umsonst gibt es die Energiewende nicht. Schauen Sie sich allein Hamburg an: Mit Brunsbüttel, Brokdorf, Krümmel und Stade war die Stadt von vier Atomkraftwerken umzingelt. Jetzt sind drei vom Netz. Die Region ist deutlich sicherer geworden. Dieser Umbau für die Region und für ganz Deutschland ist aber nicht für wenig Geld zu haben. Vergessen wird aber oft, dass es angesichts des Preisanstiegs von Öl und Gas auch ohne Energiewende teuer geworden wäre. Zudem wurden allein für die Atomenergie in Deutschland bislang rund 180 Milliarden Euro öffentliche Gelder ausgegeben.

Die von den Strompreisen belasteten Verbraucher tröstet das nicht.

Künast: Mir liegt am Herzen, dass die Kosten fair verteilt werden. Es ist doch absurd, dass Altmaier so tut, als seien allein die erneuerbaren Energien für die aktuellen Kostensteigerungen verantwortlich. Tatsache ist: Ein Drittel der Kosten machen die Erneuerbaren aus, zwei Drittel aber die zahlreichen Ausnahmen für die Industrie. Diese Ausnahmen kosten uns vier Milliarden Euro, das geht auf einen Beschluss von Schwarz-Gelb 2011 zurück. Das wird kleinen Unternehmen und den Privathaushalten aufgebürdet. Das ist zutiefst unsozial.

Die Endlagersuche will Altmaier vor der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar regeln. Ist das mit den Grünen möglich?

Künast: Wir warten seit Monaten auf einen Vorschlag für ein Endlagergesetz, aber Altmaier hat nicht geliefert. Und dieser Vorschlag muss sehr klar und eindeutig sein. Dabei kommt es auch aufs Kleingedruckte an. Diese Detailfragen sollten dann in kleiner Runde geklärt werden und nicht wie Altmaier vorgeschlagen hat, in einer großen Showveranstaltung.

Was muss im Endlagergesetz zwingend stehen?

Künast: Es muss zum Beispiel klar sein, dass für jede Gesteinsschicht mindestens zwei Standorte untersucht und verglichen werden. Es muss klar sein, dass das Bundesamt für Strahlenschutz nicht zum Postboten für ein neues Institut degradiert wird, sondern seine Aufgabe als Trägerin der Endlagersuche behält.

Gehört Gorleben einbezogen?

Künast: Wir wollen eine weiße Landkarte und können keinen Standort im Vorfeld ausschließen - auch nicht Gorleben. Es darf aber auch nicht sein, dass man nur so tut, als würde es eine Endlagersuche geben, und sich faktisch doch auf Gorleben festlegt.

Nach der Bundestagswahl 2013 wollen die Grünen nur mit der SPD koalieren. Was machen Sie, wenn Kanzlerkandidat Steinbrück doch die FDP ins Boot holen muss?

Künast: Mit vier Prozent kommt die FDP weder in Niedersachsen noch bei der Bundestagswahl ins Parlament. Die Frage einer Ampel-Koalition stellt sich nicht - inhaltlich schon gar nicht. Oder glauben Sie, Herr Rösler nimmt die Steuerentlastung für Hotels wieder zurück? Wir wollen einen handlungsfähigen Staat, die FDP will einen schwachen Staat. Einen schwachen Staat können sich aber nur Reiche leisten. Ich bin zuversichtlich, dass wir Rot-Grün bekommen.

Heute treten Sie in Hamburg beim Urwahlforum auf. Was machen Sie eigentlich, wenn sie nicht Spitzenkandidatin werden?

Künast: Das können Sie mich fragen, wenn es so käme.

Aber Sie haben einen Plan B?

Künast: Jetzt konzentriere ich mich erst mal darauf möglichst viele grüne Mitglieder zu überzeugen, um am Ende zu gewinnen.